Kaizen 2 go 271 : Remote-Führungsprozesse


 

Inhalt der Episode:

  • Was war der Ausgangspunkt und die Randbedingungen Deiner Untersuchung?
  • Was sind die Kategorien, unter denen Du das Thema betrachtet hast?
  • Wie hast Du die Ergebnisse der Literaturstudie eingesetzt?
  • Wie hast du dann die Mitarbeiter in die Untersuchung eingebunden?
  • Was hat sich daraus ergeben?
  • Was waren Gemeinsamkeiten bzw. Unterschiede?
  • Was waren dann die konkreten Schlussfolgerungen?
  • Universalität der Erkenntnisse, potenzielle Unterschiede in bestimmten Branchen oder Unternehmensbereichen

Notizen zur Episode:


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(Teil)automatisiertes Transkript

Episode 271 : Remote-Führungsprozesse

Herzlich willkommen zu dem Podcast für Lean Interessierte, die in ihren Organisationen die kontinuierliche Verbesserung der Geschäftsprozesse und Abläufe anstreben, um Nutzen zu steigern, Ressourcen-Verbrauch zu reduzieren und damit Freiräume für echte Wertschöpfung zu schaffen. Für mehr Erfolg durch Kunden- und Mitarbeiterzufriedenheit, höhere Produktivität durch mehr Effektivität und Effizienz. An den Maschinen, im Außendienst, in den Büros bis zur Chefetage.

Götz Müller: Heute habe ich Philip Thiel bei mir im Podcast-Gespräch. Er hat sich im Rahmen seines Studiums mit einem spannenden Thema beschäftigt. Hallo Philip.

Philip Thiel: Hallo Götz.

Götz Müller: Ja, schön, dass du dabei bist, sag‘ aber gerne noch mal zwei, drei Worte zu dir und dann werden wir uns ja ganz intensiv eben auch mit den Ergebnissen deiner Arbeit da beschäftigen.

Philip Thiel: Das mache ich sehr gerne. Also, vielen Dank noch mal für die Einladung zu dem Podcast. Ja. Bei mir ist es so, ich habe für ein paar Jahre normal gearbeitet, habe mich dann vor ein paar Jahren noch mal dazu entschlossen, zu studieren und, genau, im Rahmen des Studiums von meiner Bachelorarbeit bin ich dann auf dieses Thema gestoßen, habe das untersucht und, genau, freue mich, heute mit dir darüber zu sprechen.

Götz Müller: Ja, vielleicht zum Einstieg, so ein bisschen, was war der Ausgangspunkt oder der Impuls, wo kam es her? Natürlich könnte man jetzt sagen, in den aktuellen Zeiten beschäftigt man sich natürlich auch primär mit dem, aber ich glaube, da steckt noch mehr dahinter.

Philip Thiel: Mhm ja, also der Impuls kam daher, dass ich im Rahmen meines Studiums in verschiedenen Abteilungen gearbeitet habe und in den verschiedenen Abteilungen hatte ich natürlich auch mit verschiedenen Führungskräften zu tun und war mit vielen davon in Kontakt und habe so einfach mitbekommen, wie das Frühjahr 2020 viel verändert hat. Und ich hab das mitbekommen, habe das beobachtet und habe mir dann die Frage gestellt, eigentlich wäre das doch ein sehr spannendes und wirklich aktuelles Thema, um das dann auch auf wissenschaftlicher Grundlage zu untersuchen.

Götz Müller: Mhm ja, und ich glaube eben, ich meine, da kommen wir nachher noch dazu, dadurch dass du eben das jetzt nicht direkt an der Hochschule, klassisch vielleicht, gemacht hat, sondern im Rahmen auch deiner, in Anführungszeichen, normalen Arbeit, hast du natürlich sehr viel in das Tagesgeschäft auch Einblick gehabt.

Philip Thiel: Genau. Das muss man vielleicht noch dazu sagen, auch für deine Zuhörer, dass ich mein Studium, also ich habe parallel auch gearbeitet. Also das macht es vielleicht noch mal, gerade natürlich für diese Thematik, nochmal ein bisschen spezieller. Dadurch hatte ich natürlich bessere Voraussetzungen, dadurch, dass ich studiert und gearbeitet habe und dadurch natürlich auch permanent den Kontakt zu den Führungskräften hatte.

Götz Müller: Mhm. Gut. Was waren jetzt die Kategorien oder Blickwinkel, wie man es vielleicht auch ausdrücken könnte, unter denen du das Thema Remote-Führung betrachtet hast?

Philip Thiel: Ja, ich habe mir das ein bisschen … ich sage mal umfangreicher gemacht, als ich es vielleicht hätte machen müssen. Der Fachbegriff dafür lautet Methodentriangulation, auf Neudeutsch nennt man das Mixed Method. Ich finde aber, wir sollten die deutsche Sprache doch noch etwas würdigen und bleibe deswegen bei der Methodentriangulation. Wie der Name schon impliziert, setzt sich das aus drei Bereichen zusammen. Triangulation, das bedeutet, ich habe den Forschungsgegenstand in die Mitte gesetzt und dann aus drei verschiedenen Perspektiven. Die erste Perspektive war die Literatur. Die zweite Perspektive waren die Führungskräfte selbst, die selbst Remote geführt haben und die dritte Perspektive waren die Mitarbeiter und somit habe ich dieses Thema aus drei verschiedenen Blickwinkeln betrachtet und deine Frage beginnt ja mit der Literatur und bei der Literatur habe ich erst mal geschaut, was sind denn die wirklich dominierenden Führungsstile und was kennzeichnet diese, um davon dann ableiten zu können, wie können denn die Anforderungen an einen Remote Leader lauten, damit ich eine Grundlage habe, um dann auch zu den Führungskräften zu gehen und das auch abzugleichen?

Götz Müller: Da höre ich jetzt raus oder interpretiere vielleicht rein, also bei der Literatur selber ging es gar nicht mal so sehr um das Thema Remote, sondern da geht es eher um das Thema Führung im Allgemeinen, oder?

Philip Thiel: Exakt. Das hat auch den Hintergrund, dass es zu dem Thema Remote Leadership kaum Literatur gibt. Man kann zu dem Thema Führung alles finden, Bachelorarbeiten, Masterarbeiten, Promotionen, wahrscheinlich Bibliotheken voll. Allerdings war das Thema Remote Leadership bis zum Frühjahr 2020 noch gar kein Thema.

Götz Müller: Ja, klar.

Philip Thiel: Es gibt zum Beispiel Statista. Auf Statista gibt es, die haben das untersucht und haben mal geschaut: Wie war denn die Verteilung von Home Office vor der ersten Corona-Welle, vor dem ersten Lockdown und danach. Und die Statistik ist ja spannend. Denn bevor, also noch ganz im Frühjahr 2020, Januar, Februar, lag der Anteil der im Home Office Beschäftigten bei 4% bundesweit. Das heißt, jemand, der ein Unternehmen führt, das 25 Mitarbeiter hat, jetzt mal grob geschätzt, der führt 24 Mitarbeiter oder hat 24 Mitarbeiter ganz normal geführt und einen einzigen remote. Da war natürlich keine Nachfrage nach Literatur für Remote Leadership. Doch die Zahl hat sich natürlich mit dem Ausbruch der Corona-Pandemie massiv erhöht. Das heißt, wir hatten dann im März 2020 bereits 27% aller bundesweit Beschäftigten im Home Office und das quasi über Nacht und somit ist jetzt natürlich diese Relevanz da, aber, klar, als ich dann auf die Suche gegangen bin nach passender Literatur gab es natürlich kaum etwas und deswegen habe ich geguckt nach dem dominierenden Führungsstil, um davon dann meine Punkte abzuleiten und in Interviews zu gehen.

Götz Müller: Ja, okay, und das vielleicht noch ein bisschen vertieft. Ich meine, die Literaturstudie hast du ja wahrscheinlich nicht nur zum Selbstzweck gemacht, das wäre dann auch eine, wahrscheinlich im klassischen Kontext, halt eine Meta-Studie, von denen es wahrscheinlich auch schon ein paar gab, sondern das hat irgendeinen Sinn und Zweck gehabt, vermute ich mal.

Philip Thiel: Exakt, exakt. Der Sinn und Zweck von meiner Literaturstudie war, dass ich … man muss sich das vorstellen wie eine Art Sieb oder wie ein Filter, dass ich nach Kategorien gesucht habe, die diese dominierenden Führungsstile kennzeichnen. So, damit ich dann, wenn ich nämlich diesen Leitfaden für die Interviews erstelle, dass ich den natürlich nach speziellen oder genau nach den richtigen Kategorien auch erstellen kann. Und dabei ist es mir gelungen, sechs Kategorien zu identifizieren, die sich in jeweils drei unterteilt haben. Einerseits die Mitarbeiterführung und andererseits die Selbstführung der Führungskraft. Das ist ja auch noch mal ein ganz wichtiger Punkt.

Götz Müller: Die eventuell auch im Home Office sitzt, kommt mir gerade so der spontane Gedanke.

Philip Thiel: Die wird mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit auch im Home Office sein. Und wie es ja auch heißt zum Thema Führung. Man kann die Menschen halt auch nur so gut führen wie man sich auch selbst führen kann. Und so war es dann auch, dass diese sechs Anforderungen, das hieß halt der Arbeitsalltag zum Beispiel die Aufgaben, die Anforderungen, aber auch auf der anderen Seite im Kontext mit den Mitarbeitern, wie haben sich dann zum Beispiel die Instrumente verändert über die Entfernung, mit denen eine Führungskraft nun ihre Mitarbeiter motiviert. Denn, es ist natürlich etwas anderes, wenn die Mitarbeiter alle in einem Büro sitzen oder wenn die Mitarbeiter in ihrem Wohnzimmer sitzen. Da hat jemand hundert Angestellte und die sitzen in hundert verschiedenen Wohnzimmern. Wie motiviere ich die weiterhin?

Götz Müller: Ja, ja. Und halt die klassischen Kaffeeküchengespräche, an denen ja auch Führungskräfte teilnehmen, fallen halt plötzlich weg.

Philip Thiel: Exakt. Der Flurfunk, der berühmt-berüchtigte Flurfunk fällt weg, der Klatsch in der Kaffeeküche fällt weg. Das Vertrauen auch, dass die Mitarbeiter von der Führungskraft auch zu spüren bekommen, auch durch die Interaktion, wird auch weniger. Ja, und das Vertrauen, das der Mitarbeiter spürt, hat ja wieder mit der Motivation auch zu tun. Also da gab es wirklich sehr viele neue Punkte, sehr viele Veränderungen, die durch das Remote Leadership jetzt auch, ja, auf alle zugekommen sind.

Götz Müller: Das heißt, ich höre jetzt auch raus, also der erste Schritt war diese Literaturstudie, um das Thema Führung jetzt erstmal generell zu greifen? Da hast du dann diese sechs Kategorien oder sechs Aspekte raus destilliert und dann im zweiten Schritt die Interviews.

Philip Thiel: Genau, genau. Ich bin ja mit diesen sechs Punkten, also wie gesagt, die hießen Arbeitsalltag, Anforderungen, die Einflüsse auf die Anforderungen, neue Aufgaben, Motivation, Vertrauen und das Führungsverständnis, damit bin ich in die Interviews gegangen, in die Experteninterviews. Und habe dann die Experten, Voraussetzung war, alle zu diesem Zeitpunkt auch wirklich remote geführt haben, wo ich dann gefragt habe zu den Kategorien.

Götz Müller: Okay, und was … kann man dann die, wahrscheinlich ein relativ breites Antwortspektrum, kann man das dann in irgendeiner Form verdichten? Haben sich da dann Schwerpunkte gebildet? Gerade unter diesen sechs Blickwinkeln wieder.

Philip Thiel: Ja, ja definitiv. Ich hatte dann die Experteninterviews und hatte ja dann das Material. Dieses Material habe ich dann anhand eines anerkannten wissenschaftlichen Verfahrens ausgewertet. Dieses Verfahren nennt sich die qualitative Inhaltsanalyse nach Phillip Mayring. Und das funktioniert so, dass ich die Interviews alle durchgehe und sogenannte Codes bilde. Die Codes sind immer Aussagen, die sich zu einer jeweiligen Kategorie zuordnen lassen. Und so konnte ich dann dem gesamten Interviewmaterial 89 Codes entnehmen und daraus sieben Kategorien bilden.

Götz Müller: Vielleicht ist der eine oder andere, also zumindest bei mir ist das schon eine Ecke her, dass ich im Studium unterwegs war, vielleicht kannst du das eine oder andere Beispiel mal machen, um das jetzt noch greifbarer zu machen.

Philip Thiel: Ja, gerne, weil das auch der Kern natürlich ja auch ist dessen, worüber wir hier auch sprechen. Denn die sieben Anforderungen, die daraus entstanden sind, waren, dass es ein neues Führungsverständnis gibt, worauf wir natürlich noch mal vertieft eingehen, dann, dass die Führungskräfte im Remote Leadership noch mehr den regelmäßigen Austausch mit ihren Mitarbeiter suchen, dann der Ausbau der digitalen Kompetenzen. Dann dass mehr Eigenverantwortlichkeit übertragen wird, das agile Denken bei der Führungskraft und das ergebnisorientierte Führen und dass die Resilienz gesteigert wird. Und das waren die sieben Kategorien, die ich erstmal diesem Material entnehmen konnte, also dem Material mit den Experten. Genau, und ich sage mal, dann wurde es natürlich spannend, weil ich hätte jetzt an diesem Punkt schon meine Studie abbrechen können. Ich hätte ja sagen können: Ok, ich hab jetzt diese sieben Kategorien, alles Remote Leader, also alles Führungskräfte, die aktuell wirklich Remote führen, dann reicht das ja so. Und dann wurde es aber spannend, denn ich bin mit diesen sieben Kategorien zu den Mitarbeitern gegangen. Zu den direkten Mitarbeitern der zuvor befragten Führungskräfte, habe einen online Fragebogen ausgearbeitet, mit diesen sieben Kategorien und zu jeder dieser Kategorien habe ich den Mitarbeitern zwei Fragen gestellt. Die erste Frage hatte immer die Wahrnehmbarkeit behandelt bei den Mitarbeitern und die zweite die Relevanz. Das bedeutet, ich habe gefragt in der ersten Frage: Nehmt ihr diese Anforderungen an einen Remote Leader auch war? Und die zweite, und die fand ich persönlich noch viel wichtiger: Ist denn diese neue Anforderung an eure Führungskraft für euch auch relevant? Weil wenn die Mitarbeiter mir dann signalisieren und zurückspielen: Wir nehmen es zwar, aber es ist für uns gar nicht relevant, dann ist es aus meiner Sicht auch keine Anforderung an einen Remote Leader.

Götz Müller: Mhm. Also, um es für mich nochmal zusammenzufassen oder so ein Zwischenfazit zu ziehen: Im Grunde aus den zwei Blickwinkeln draufgeguckt, einerseits das, was die Führungskraft glaubt, was, nennen wir es mal, was wichtig ist, unter dem Aspekt Remote-Führung und das, was die Mitarbeiter dann davon halten und wie du es ja schon angedeutet hast, speziell beim Thema Führung und geführt werden kann das ja durchaus, um es mal vorsichtig auszudrücken, eine unterschiedliche Wahrnehmung sein.

Philip Thiel: Definitiv. Ja. Ich denke, die meisten kennen das Bild von der Katze, die in den Spiegel guckt und da den Löwen sieht. So ähnlich war es. Also es gab eine teilweise, ja, also speziell in bestimmten Punkten gab es wirklich eine große Diskrepanz in der Selbstwahrnehmung und in der Fremdwahrnehmung der Führungskräfte, es gab aber auch viele Überschneidungen, ich denke, wie in allen Bereichen, aber war natürlich sehr spannend und natürlich auch für die Führungskräfte selbst, das auch festzustellen, da auch dieses Feedback zu erhalten, aber das war natürlich ein sehr spannender Verlauf des Forschungsprozesses.

Götz Müller: Ja. Gut, an der Stelle würde ich jetzt gern noch ein bisschen in die Tiefe gehen. Was waren, nennen wir es mal Gemeinsamkeiten einerseits, wo also gleiche Wahrnehmung, gleiches Verständnis geherrscht hat und was waren Unterschiede?

Philip Thiel: Mhm. Beispielsweise war natürlich ein Ergebnis die Übertragung von der Eigenverantwortlichkeit. Das heißt, die Mitarbeiter, also die Führungskräfte erstmal selber haben gesagt, dass sie den Mitarbeitern jetzt natürlich mehr Eigenverantwortlichkeit übertragen, ist ja auch klar. Die Mitarbeiter sind jetzt auch mehr, sind jetzt mehr auf sich allein gestellt, wenn sie zu Hause sind und ich habe acht Führungskräfte befragt. Und davon haben sieben der acht gesagt, dass sie das tun. Und von den Code, ich habe ja gesagt, es waren 89, waren es 12. Das heißt, das war die vierthäufigste Kategorie, die genannt wurde. Bei den Mitarbeitern jedoch, wie gesagt, die erste Frage war ja die Wahrnehmbarkeit, da war das so, dass die Hälfte der Mitarbeiter gesagt hat: Ja, es wird mir mehr Eigenverantwortung übertragen. Und die Hälfte jedoch hier schon keine Veränderung wahrnehmen konnte, also etwas mehr als die Hälfte sogar, es waren von 54%. Was natürlich irgendwie komisch ist, wenn sieben von acht Führungskräften sagen, sie machen es vermehrt. Auf der anderen Seite, jetzt könnte man ja auch sagen, aber das kann ja den Mitarbeitern auch vielleicht gar nicht so wichtig sein, dass die dann irgendwie sagen: Ja, aber wir wollen eigentlich gar nicht die Verantwortung. Und das war zum Beispiel ein überwältigendes Ergebnis, dass 87% der Mitarbeiter gesagt haben, an der Stelle: Wir wollen aber mehr Eigenverantwortung haben. Ja, also, da haben wir wirklich eine Diskrepanz. Das heißt, da geht noch deutlich mehr. Die Mitarbeiter, die sagen, die wollen wir Eigenverantwortung, gerade jetzt, im Remote Leadership, wo sie auch auf sich allein gestellt sind, aber von Präsenz zu Remote Leadership gibt es leider noch, über die Hälfte der Mitarbeiter sagt, da ist keine Veränderung.

Götz Müller: Obwohl die Führungskräfte glauben, sie hätten mehr Verantwortung gegeben.

Philip Thiel: Genau. Also wir haben hier halt in der Wahrnehmbarkeit eine Differenz. Wobei aber den Führungskräften und den Mitarbeitern bewusst ist, dass sie mehr möchten davon.

Götz Müller: Okay, das waren jetzt also eher Unterschiede. Wo gab es Gemeinsamkeiten oder wo gab es gleiches, wie soll ich das ausdrücken, gleiches Verständnis?

Philip Thiel: Mhm. Genau, also bei dem Punkt, den ich gerade angesprochen habe, das war ein schönes Beispiel für beides, also da gab es ja in der Wahrnehmbarkeit die Diskrepanz und in der Relevanz die Überschneidung. Ich hätte noch ein Beispiel, wo es wirklich in beide Richtungen die Übereinstimmung gab. Die Übereinstimmung gab es bei dem dritten Platz, zum Beispiel, bei der dritthäufigsten Kategorie: der Ausbau der digitalen Kompetenz. Und dabei geht es nicht darum, dass die Führungskraft jetzt noch buntere PowerPoint-Folien erstellt oder noch längere Excel-Funktionen zusammenbastelt, sondern dass ein Remote Leader in der Lage ist, digitale Formate zu erschaffen und auch durch diese zu führen. Beispiel: Wir haben ja vorhin darüber gesprochen, dass der Flurfunk wegfällt, der Kaffeeklatsch und dass da virtuelle Formate geschaffen werden durch die Führungskraft, damit die Mitarbeiter nicht mehr so isoliert sind, abgeholt werden, auch mal über arbeitsfremde Themen sprechen können und so weiter und natürlich auch, dass Mitarbeiter, die, ich sage mal jetzt, etwas älter sind und vielleicht in dieser digitalen Transformation ihre Probleme haben, auch von der Führungskraft unterstützt werden. Das war von acht Experten absolut wichtig und das haben sie auch angesprochen, haben gesagt, dass sie sich damit mehr auseinandersetzen und das wurde auch von den Mitarbeitern da bestätigt. Das heißt, wir haben da 70% der Mitarbeiter, die sagen, dass sie hier eine Zunahme der digitalen Kompetenzen bei den Führungskräften erkennen. Und auch 75%, also 3 von 4 der Mitarbeiter, die sagen, es ist ihnen auch wichtig, dass die Führungskraft sich auch dahinter setzt und ihre digitalen Kompetenzen gerade jetzt ausbaut.

Götz Müller: Ja, ja, spannend. Mir geht jetzt gerade noch ein Punkt durch den Kopf. Was ich mal vor vielen Jahren gemacht habe, ein sogenanntes 360-Grad-Review. Jetzt wäre es natürlich noch spannend gewesen, die, als eine Möglichkeit, die Vorgesetzten der Vorgesetzten, also die Vorgesetzten, du hast Experten genannt, die zu befragen, wie sie denn ihre Mitarbeiter, ihre zugeordneten, untergeordneten Führungskräfte wahrgenommen haben und vielleicht sogar, wenn man es uns noch ein bisschen weiter treibt, wie sie glauben, dass deren Mitarbeiter da ein Matching oder Mismatching erkennen, dass wäre dann natürlich … ich meine, du kannst ja noch eine Masterarbeit dranhängen.

Philip Thiel: Oder die Promotion widme ich dann dem. Genau. Ja, also es gab wirklich da sehr spannende Punkte, vielleicht noch einen, den ich auch noch anbringen würde, nämlich die meisten, was vielleicht auch deine Zuhörer noch vielleicht sich fragen, ich habe jetzt von der vierthäufigsten und von der dritthäufigsten gesprochen. Was war denn die häufigste Kategorie?

Götz Müller: Ja, auf jeden Fall.

Philip Thiel: Genau. Die häufigste Kategorie war nämlich, also wie gesagt von allen acht Experten angesprochen, und auch die häufigsten Codes, die sich dem haben zuordnen lassen, das neue Führungsverständnis, nämlich, dass der coachenden Führungskraft. Und da gab es wirklich eine spannende Diskrepanz zwischen der Eigenwahrnehmung also, der Selbstwahrnehmung der Führungskräfte und der Fremdwahrnehmung durch ihre direkten Mitarbeiter. Es war so, ich habe ja acht Führungskräfte befragt und davon haben sich fünf der acht als eine Mischung aus Führungskraft und Coach bezeichnet, wahrgenommen. Und drei der acht als reinen Coach ihrer Mitarbeiter.

Götz Müller: Okay, also nochmal etwas draufgesetzt.

Philip Thiel: Genau. Also die haben sich dann wirklich schon von diesem, ich sage mal klassischen Führungskräfteverständnis, mehr oder weniger verabschiedet, wahrscheinlich auch, weil es ein bisschen hart vielleicht auch manchmal klingt, sondern eher als Coach oder jemand, der da ist, ja, mit den Mitarbeitern spricht, auf der Beziehungsebene mehr macht. So. Da ging natürlich auch wieder meine Frage an die Mitarbeiter. Erste Frage: Wie nehmt ihr denn euren Vorgesetzten wahr? Führungskraft oder Coach? Und da war es leider so, dass der Coach nicht allzu viel angekreuzt wurde, insgesamt nicht ein einziges Mal.

Götz Müller: Obwohl du das ja jetzt aktiv im Sinne von eben, Kreuz hast du es genannt, ja, adressiert hast, sonst könnte man ja sagen ja: Ok, sie sind halt nicht drauf gekommen, aber du hast, glaube ich, konkret nachgefragt.

Philip Thiel: Exakt, exakt. Genau. Es gab fünf Antwortmöglichkeiten. Es gab Coach oder eine Mischung aus beiden, größerer Anteil Coach, teils teils, eine Mischung aus beiden, größerer Anteil Führungskraft und Führungskraft. Und da konnten die Mitarbeiter auswählen und kein einziger hat wirklich den reinen Coach gewählt.

Götz Müller: Mhm, also im Grunde schon ein klassisches Beispiel, wo das Selbstbild dem Fremdbild jetzt nicht wirklich entspricht.

Philip Thiel: Exakt. Das ist wieder die Katze, die in den Spiegel schaut. Ja. Also da, wie gesagt, das war tatsächlich sehr überraschend, das war sehr überraschend gewesen, ja, wo dann wirklich eine große Diskrepanz vorliegt. Und da war auch die zweite Frage ganz spannend, nämlich: Welche Art von Führungskraft möchtet ihr denn haben? Also vom Vorgesetzten? Ist denn überhaupt ein Coach im Rahmen von Remote Leadership gewünscht? Das ist ja auch interessant. Als Führungskraft, denn wenn ich sage, ich bin Coach und ich nehme ich auch wahr in dieser Rolle, ist es doch interessant für mich zu erfahren: Erwartet das mein Mitarbeiter überhaupt von mir? Und wie gesagt, die Frage ging an die Mitarbeiter und da gab es auch eine ganz klare Antwort. Von hundert Prozent haben nämlich gerade mal sechs Prozent gesagt, sie möchten den Coach. Elf Prozent haben gesagt, sie wollen die reine Führungskraft und die restlichen 83% haben gesagt, sie wünschen sich eine Mischung aus Führungskraft und Coach. Also diese einbahnige Führungsrolle ist gar nicht gewünscht, bei den Mitarbeitern, die dann irgendwie nur den Coach haben, sondern die Mitarbeiter haben hier mit dem Ergebnis klar zurückgespielt: Sie wollen den Coach, also jemanden, der auch in der Kommunikation auf die Beziehungsebene geht, der Rahmenbedingungen schafft, aber sie wollen auch immer noch, auch über die Entfernung, auch die Führungskraft.

Götz Müller: Jetzt muss man natürlich, glaube ich, mit bedenken, dass du das, in einem, ja, wie soll man das ausdrücken, in einem Kontext gemacht hast, nach meinem Verständnis, korrigier mich aber gerne, in einer Büro-Umgebung und da stellt sich mir die Frage: Inwieweit hat es vielleicht was mit der Branche zu tun? Hat es mit dem Unternehmensbereich etwas zu tun? Und dann kam mir bei deinen Erzählungen auch die Frage, vielleicht hast du es ja gemacht oder vielleicht wäre das noch eine Möglichkeit, jetzt so wie du praktisch die Antworten der Führungskräfte den Mitarbeitern gezeigt hast, wäre es ja auch denkbar, jetzt in einem weiteren Schritt zu sagen: Führungskräfte schaut mal, das waren die Antworten eurer Mitarbeiter. Um mal da eine gewisse, ja, nennen wir es ruhig mal Konfrontation, mit diesem unterschiedlichen Fremd- und Selbstbild zu provozieren.

Philip Thiel: Das habe ich gemacht, Götz. Genau, also tatsächlich muss man auch den Führungskräften, also auch an der Stelle gilt mein allergrößter Dank auch allen Führungskräften, die sich wirklich daran beteiligt haben, weil ohne deren Einsatz, ohne deren Unterstützung, hätte ich dieses Projekt gar nicht umsetzen können und natürlich haben die Führungskräfte dann auch darum gebeten, also wirklich gebeten, einfach ob ich natürlich die Ergebnisse, die ich im Rahmen dieses Forschungsvorhabens auch ermittle, denen auch zur Verfügung zu stellen und das ging. Das habe ich mit meiner Hochschule besprochen. Das war möglich und das habe ich natürlich auch den Führungskräften zukommen lassen. Und muss auch da sagen, das zeigt ja natürlich auch wieder dieses Wachstumsmindset der Führungskräfte, die wirklich da sehr gut darauf reagiert haben und, ja, auch einfach selbstkritisch auch das angegangen sind, auch gesagt haben: Okay, das ist doch mal schön, auch so ein Feedback zu bekommen, auch zu wissen, wie denken die Mitarbeiter. Was erwarten sie von mir in meiner Führungsrolle in dieser neuen Arbeitssituation, die wir seit ungefähr eineinhalb Jahren alle haben?

Götz Müller: Gut, und jetzt vielleicht noch der andere Punkt nochmal. Inwieweit denkst du, dass jetzt eben die Unternehmensbereiche, in denen Mitarbeiter und Führungskräfte jetzt agieren, eben eher vermutlich in dem Bürokontext sich übertragen lassen auf andere Bereiche, klassisch so ein bisschen die Ecke, wo ich halt dann herkomme, wo man den Begriff Shopfloor verwendet, also die Werkbank oder eben auch in anderen Branchen?

Philip Thiel: Ja. Klar, also bei den sechs Kategorien, die ich ja ausgearbeitet habe, denke ich, also ich hab das am Ende auch noch mal in einer Art Grafik nochmal zusammengeführt diese sechs Kategorien, wie sie auch untereinander in Wechselwirkungen stehen und grob zusammengefasst, an dieser Stelle, gibt es drei Kategorien, einmal geht es um die digitalen Kompetenzen, auf der zweiten Ebene geht es darum, den Mitarbeitern mehr Entscheidungsfreiheit zu geben, mehr Freiräume. Und im dritten Punkt um dieses neue Führungsverständnis. Und ich denke, dass sich diese drei Punkte schon auf mittlerweile fast jeden Bereich des Arbeitens übertragen lassen. Also egal wie die Tätigkeit ist, ohne digitale Kompetenzen geht es heute in fast keinem Bereich mehr. Dass Mitarbeiter keine Freiräume haben möchten, sondern alles immer nur nach Vorgabe machen, die Zeit ist auch vorbei und dieses Verständnis von der Coach und der Führungskraft. Das ist ja auch etwas, auch vor allem, wenn man jetzt auch die Umfrage anschaut, vor allem die, sagen wir jetzt mal, die jüngere Generation, die ja auch zum Beispiel sagt, dass ja auch so etwas wie Geld ja schon gar nicht mehr alles ist. Das belegen ja mehrere Studien schon mittlerweile. Dass Geld vor allem bei den jüngeren Generation nicht mehr der ausschlaggebende Punkt ist, warum sie sich für einen Arbeitgeber entscheiden, sondern Freiheit, Sinn, diese ganzen Punkte. Und das kann ich als Führungskraft ja nur wirklich auch bieten, wenn ich beispielsweise agil denke, Eigenverantwortlichkeit übertrage, mich auch als Coach wahrnehme. Und deswegen denke ich, sind diese drei Punkte natürlich in einer unterschiedlichen Ausprägung, in einer unterschiedlichen Gewichtung schon auf wahrscheinlich auf fast alle Branchen anwendbar, aber jetzt nicht wie eine Schablone immer zu gleichen Teilen, aber im Kern schon.

Götz Müller: Sehr spannend. Gut. Philipp, ich danke dir für deine Zeit, für die interessanten Einblicke.

Philip Thiel: Mhm, sehr gerne.

Götz Müller: Das war die heutige Episode im Gespräch mit Philip Thiel zum Thema Remote-Führungsprozesse. Notizen und Links zur Episode finden Sie auf meiner Website unter dem Stichwort 271.

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Ich bin Götz Müller und das war Kaizen to go. Vielen Dank fürs Zuhören und Ihr Interesse. Ich wünsche Ihnen eine gute Zeit bis zur nächsten Episode. Und denken Sie immer daran, bei allem was Sie tun oder lassen, das Leben ist viel zu kurz, um es mit Verschwendung zu verbringen.

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