Kaizen 2 go 275 : Funktionieren selbststeuernde Prozesse?


 

Inhalt der Episode:

  • Was verstehst Du unter selbststeuernden Prozessen? Wo kommen diese zum Tragen?
  • Wie unterscheiden sich selbststeuernde Prozesse von automatisierten Prozessen?
  • Wie ist der Gedanke der selbststeuernden Prozesse entstanden, welche Vorteile ergeben sich daraus?
  • Welche Kontexte gibt es, in denen selbststeuernde Prozesse ihre Stärken ausspielen können?
  • Wo kommt der Faktor Mensch bei selbststeuernden Prozessen noch vor?
  • Wie reagieren die Führungskräfte darauf? Welche Rolle spielt also hier der Faktor Mensch?
  • Welche Herausforderungen begegnen Dir im Kontext selbststeuernder Prozesse?
  • Wie unterscheidet sich ein Systemwechsel von einer Transformation mit allen bekannten negativen/ungewollten Begleiterscheinungen
  • Was ist für den erfolgreichen Systemwechsel notwendig?
  • Wie sieht ein möglicher Einstieg aus?

Notizen zur Episode:


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(Teil)automatisiertes Transkript

Episode 275 : Funktionieren selbststeuernde Prozesse?

Herzlich willkommen zu dem Podcast für Lean Interessierte, die in ihren Organisationen die kontinuierliche Verbesserung der Geschäftsprozesse und Abläufe anstreben, um Nutzen zu steigern, Ressourcen-Verbrauch zu reduzieren und damit Freiräume für echte Wertschöpfung zu schaffen. Für mehr Erfolg durch Kunden- und Mitarbeiterzufriedenheit, höhere Produktivität durch mehr Effektivität und Effizienz. An den Maschinen, im Außendienst, in den Büros bis zur Chefetage.

Götz Müller: Heute habe ich wieder Gebhard Borck bei mir im Podcast-Gespräch. Er begleitet und beschleunigt den Systemwechsel in mittelständischen Unternehmen. Hallo Gebhard.

Gebhard Borck: Hallo Götz.

Götz Müller: Ja, klasse, dass du dabei bist. Ich glaub, das ist jetzt schon die mindestens vierte oder vielleicht sogar schon die fünfte Episode und wenn man die Minuten zusammenzählt, bist du absolut an der Spitze meiner Gesprächspartner, aber sind ja immer wieder spannende Dinge dabei und ich glaube diesmal eben auch, aber stell dich gern nochmal den Zuhörern in ein paar Sätzen vor für den Fall, dass sie die anderen, die alten Episoden nicht gehört haben.

Gebhard Borck: Ja, gern. Gebhard Borck, ich bin seit 20 Jahre selbständig im Consulting unterwegs, beschäftige mich maßgeblich mit kleinen, mittelständischen Unternehmen und der Fragestellung: Wie kriegen die unter Umständen sinnvollere Führung hin? In dem Zusammenhang spielen und Schlagworte Dezentralisierung, Selbststeuerung, Selbstorganisation und so weiter eine große Rolle. Ich habe drei Bücher darübergeschrieben und bin in der Zwischenzeit auf dem Punkt, dass wir Systemwechsel hinbekommen und auch relativ schmerzfrei hinbekommen und wir nennen den Zielbahnhof in der Zwischenzeit zusammen mit unseren Kunden die adaptive Organisation.

Götz Müller: Ja, und jetzt haben wir uns heut eine These ausgesucht, selbststeuernde Prozesse mit der Fragestellung: Funktionieren sie? Und ich glaube, da ist es zum Einstieg auf jeden Fall mal wichtig, überhaupt sich über die Definition zu unterhalten, also was verstehst du unter einem selbststeuernden Prozess?

Gebhard Borck: Das sind Firmenprozesse, Firmenvorgänge, die keine Überwachung durch irgendeine Führung oder durch eine formalisierte Führung brauchen, sondern die aus sich selbst heraus die anfallenden Führungsaufgaben erkennen und dann tatsächlich auch in der Organisation wahrnehmen können, wodurch ist mir die, was wir heute kennen, die Politikspielchen und so weiter ersparen kann und tatsächlich effizienter und effektiver mit der Firma unterwegs bin. Wenn es mir gelingt, meine Mitarbeiter, nennen wir es mal in die Reife der Selbststeuerung zu bekommen.

Götz Müller: Mhm. Ich höre da auch aus, im Grunde geht es jetzt nicht um Dinge wie Prozessautomatisierung, weil da habe ich ja dann immer noch jemanden, einen Automat, der steuert, sondern eben Selbststeuerung von innen heraus und wahrscheinlich auch mit einem bestimmten Schwerpunkt, wenn man so die drei großen Kategorien Wertschöpfungsprozesse, Führungsprozesse, unterstützende Prozesse betrachtet.

Gebhard Borck: Ja, also ich denke, die meisten verwechseln den Begriff mit Selbstorganisation sehr häufig. Da würde ich jetzt sagen, selbstorganisiert ist jedes System, auch ein System mit einer harten Führung oder auch ein automatisiertes System, wenn keine Menschen drin sind schon weniger, aber jedes lebendige System, jedes System, das mit Lebendigem zu tun hat, ist aus sich selbst heraus organisiert. Selbststeuerung ist genau eben das, dass ich in die Führungsprozesse, in die unterstützenden Prozesse nicht mehr mit Vorgaben, mit Anweisungen arbeite, sondern dass ich aus der Organisation selbst heraus in einem Wechselspiel dort arbeite und diese Lösung, die die Wertschöpfung aus sich selbst heraus generieren kann, wenn man so will, nur noch, in Anführungsstrichen, moderiere und dahin gelange ich zu selbständigen Prozessen. Das heißt, ich habe ein hohes Bewusstsein bei allen Menschen in der Organisation. Wenn Fehler passieren, wenn Qualität runtergeht, wenn Geld verschwendet wird, wenn Verschwendung entsteht, dass das passiert und gebe aber tatsächlich auch allen Mitarbeitern die Möglichkeit, gestaltend, bis zur Strategie hin gestaltend einzugreifen in die Firma und damit zukunftsichernd sinnvoll umzugehen.

Götz Müller: Jetzt glaube ich so dieser Kontrast eben zu gerade schon erwähnten automatisierten Prozessen, der hat ja seinen Ursprung, das müssen wir gar nicht großartig vertiefen, aber eben, wenn wir uns jetzt die selbststeuernden Prozesse anschauen, wie ist bei dir der Gedanke entstanden, dass es Sinn macht, so etwas zu haben? Ich muss ja irgendeinen Vorteil daraus ziehen, sonst würde ich über solche Dinge und viele andere ja gar nicht nachdenken.

Gebhard Borck: Also tatsächlich ist das eine sehr interessante Wurzel. Ich habe Logistik studiert in den Neunzigern und in den Neunzigern waren selbststeuernde Prozesse, sagen wir mal die größte Herausforderung in der Logistik. Damals haben wir noch sehr stark angeschaut, tatsächlich verbunden mit Automatisierung, sehr stark verbunden mit Vorwegnahme, also mit dem Glauben, man kann die Ereignisse vorwegnehmen und man kann wissen, was kommt. Und trotzdem ist da irgendwo die Wurzeln, dass die Logistiker damals schon erkannt haben, die Logistiker würden sagen: Wir haben den Risikofaktor Mensch. Von dem wissen wir nicht, wie er wirklich agiert und wie er wirklich reagiert und wie er in unserem System sozusagen funktioniert. Und damals in meinem Studium war es noch eine Störgröße und in den letzten zwanzig Jahren ist halt immer klar geworden: Will ich mit schnell sich verändernden Umweltbedingungen klarkommen, will ich mit so etwas wie Corona gut klarkommen, ja, dann brauche ich diese selbststeuernden Elemente, die man in der Logistik schon eine ganze Weile kennt, schon dreißig Jahre kennt, dann brauche ich diese Elemente tatsächlich auf der menschlichen Zusammenarbeitsebene auch. Die gibt es dort auch, die kann ich dort auch abbilden und anschauen, nur eben immer wieder mit dem Streufaktor Mensch, der interpretiert, wir interpretieren Informationen. Wir interpretieren Wissen. Wir verarbeiten es nicht nur linear, vorstellbar, erkennbar, sondern kreativ und das kann helfen und das kann schaden und deswegen lohnt es sich, sich darüber Gedanken zu machen, wie kommt eine Organisation in eine Zwischenmenschlichkeit, die für die Organisation wieder sinnvoll funktionieren. Das verbindet sich dann mit den Schlagwörtern wie Beidhändigkeit. Man muss Innovationen und man muss das Tagesgeschäft beherrschen können. Wir brauchen die Klugheit von den Mitarbeitern und das zielt natürlich darauf ab, dass wir sagen: Unsere Kontexte in der Ökonomie haben sich geändert. Die Veränderungen sind viel schneller, sie kommen häufiger, sie haben größeren Einfluss auf unsere Firmen, auf unsere Geschäftsmodelle, als das noch vor fünfzehn, zwanzig, dreißig Jahren der Fall war. Und gerade bei Mittelständlern, die abhängig sind davon was machen die Großen, die abhängig sind davon was macht der Gesetzgeber und da nicht viele Einflussmöglichkeiten, also nicht so große Einflussmöglichkeiten über Lobbyismus und so weiter haben, für die ist es nochmal spannender, interessanter und wertvoller, dort Nischen belegen zu können, komplexe Geschäftsmodelle abwickeln zu können und das trotzdem gewinnbringend hinzukriegen.

Götz Müller: Ich höre auch ein bisschen raus, wenn ich eben im Kontrast über automatisierte Prozesse rede, dann überlege ich mir doch möglichst umfangreich und möglichst vollständig, was könnte denn alles passieren und da habe ich jetzt rausgehört, wenn ich aber über selbststeuernde Prozesse, über komplexe Situationen, wie du das Stichwort auch gerade genannt, wenn ich über so etwas nachdenke, dann versuche ich das im Grunde erst gar nicht vorherzusagen und dann einen Algorithmus mir zurechtzulegen, so nach dem Motto „wenn … dann“.

Gebhard Borck: Ja, also genau das ist das großartige. Während der automatisierte Prozess versucht, alle Wahrscheinlichkeiten abzudecken und auch alle Wahrscheinlichkeiten eine Antwort zu haben, sagt der selbstgesteuerte Prozess, der soziale selbstgesteuerte Prozess: Das mache ich gar nicht. Also ich tu in dem Sinne gar nicht versuchen, mir ein Zukunftsbild zu machen, sondern ich nehme immer das Ist wieder neu wahr. Ich nehme regelmäßig immer wieder das Ist neu wahr und gehe mit diesem Ist adaptiv um, also adaptiere entweder mich oder soweit ich es kann, das System auf eine Balance, in der es mir dann wieder gut geht und da bringt mir die ganze Zukunft, also diese ganze Abklärerei in der Feinheit, bringt mir relativ wenig, wenn sich die Situation halt häufig ändert und sich dadurch wieder Rahmenbedingungen ändern würden. Und meistens ist es dann so, dass wenn die Änderungen und das geht ganz schnell, zu tief gehen, dann kommt der automatisierte Prozess gar nicht mehr damit klar, sondern der hakt dann einfach aus und der selbstgesteuerte Prozess kommt genau mit dieser Situation klar, weil er das gar nicht antizipiert, sondern er sich lieber überlegt: Wie bin ich schnell in der Adaption?

Götz Müller: Und eben den Menschen wieder einbeziehen, nicht aus dem System rausschieben, wie ich es im Grunde ja bei einem automatisierten Prozess mache.

Gebhard Borck: Genau. Jetzt hat der Menschen einen unglaublichen Wert, weil das können wir. Menschen können das. Also Menschen, im Vergleich zu Maschinen, können genau mit diesen unvorhersehbaren Veränderungen, genau mit diesen kleinen Einflussfaktoren, die große Auswirkungen haben und so weiter und sofort, damit können wir Menschen tatsächlich umgehen. Das können wir und das heißt im Umkehrschluss, der Mensch wird total wertvoll und ich muss verstehen lernen, wie funktionieren wir jetzt wieder zusammen in einem solchen Kontext, also nicht in einem Anweisungs- und Erfüllungskontext, in einem Gehorsamskontext, sondern wie funktionieren wir in dem, was halt Menschen können in einem Improvisationskontext der Kreativität von uns verlangt. Wie funktionieren wir aber dort immer noch ökonomisch sinnvoll zusammen? Das ist die Frage.

Götz Müller: Jetzt hast du es an ein paar Stellen genannt, ich möchte es ein bisschen vertiefen, im Sinne von Kontext, auch KMUs, also kleine und mittlere Unternehmen, warum gerade da? Einerseits ist es klar, wie du es erwähnt hast, weil dort der Schmerz relativ groß ist, ich habe zum Beispiel keine Lobby, ich muss also mit den unbekannten Dingen verschärfter umgehen können und kann es nicht auf einer anderen Ebene lösen, aber vielleicht auch vor dem Gedanken in einem Großunternehmen könnte es auch funktionieren, aber die haben dann wieder andere Mechanismen.

Gebhard Borck: Ja. Also, es gibt verschiedene Dinge, wo wir festgestellt haben, da hat es gut funktioniert und das ist, also ein großen Punkt, den wir nach wie vor haben, das ist die Eigentümerstruktur, schlicht und einfach, also das Eigentümerrecht, leitet Ansprüche an eine Firma ab und leitet Automatismen auch tatsächlich an eine Firma ab. Und wenn ich natürlich mit einer Eigentümerstruktur einfach sprechen kann, also wenn jetzt zum Beispiel eine Belegschaft, aber auch der Markt mit dem … wenn der Eigentümer einfach eingebunden werden kann in die Firmengemeinschaft, kommt das selbststeuernden Prozessen total entgegen, weil er dann sich zwar einbringen kann, aber kein überdimensioniertes Gewicht hat, was ja auch wieder eigentlich nur ein individuell eingeschränkter menschlicher Blick mit den ganzen Fehlerprozessen, die wir Menschen halt haben, was das wieder mit sich bringen würde und ich hätte wieder einen, vielleicht keinen automatisierten oder zumindest einen ferngesteuerten Prozess, der mit der Fernsteuerung wieder so seine Probleme entwickelt. Das ist so die eine Geschichte, wo man eben bei KMUs sagen kann, es fällt denen eigentlich nicht schwer, über alle, über die gesamte Belegschaft, die Klugheit nach vorne zu bringen, die Klugheit der vielen nach vorne zu bringen, weil sie lernen können, das sauber anzuwenden und da habe ich einen großen Interessenskonflikt, wenn die Eigentümerstruktur ein bisschen abstrahiert ist von Unternehmen, also wie zum Beispiel bei Aktiengesellschaften und so weiter, wo die Eigentümerstruktur abstrahiert ist von Unternehmen und deren Kerninteresse sind Zinsen. Bei einem mittelständischen Unternehmer ist das Kerninteresse nicht zwangsweise nur der Zins, da gibt es noch ganz viele andere, auch menschliche Interessen und auch inhaltlichen Interessen an der Firma. Für die ist sehr spannend, mit selbststeuernden Prozessen zu arbeiten, weil sie sich dadurch sozusagen Wirtschaftspotenzial erschließen, was große Unternehmen sich unter Umständen gar nicht erschließen können, also weil es denen entgegensteht und eine zweite Geschichte, das stellen wir zumindest fest, viele Mittelständler haben heute schon, weil sie in Nischen unterwegs sind, komplexe Geschäftsmodelle. Also sei es die Erstellung ihrer Prozesse, sei es die Abrechnung ihrer Leistungen und Produkte, sei es die Variabilität der Kundensegmente, stellt man fest, dass Mittelständler häufig mit viel komplexeren Geschäftsmodellen umgehen müssen. Wir haben zum Beispiel einen Kunden, der arbeitet im Bereich IT-Support, der tut für B2B-Kunden praktisch das Management von heutigen Cloud-Services Datenschutz konform und mit Hochsicherheitsdaten tut der übernehmen ist und anbieten und dann haben die in ihrem Geschäftsmodell Beratung drin und haben dann in ihrem Geschäftsmodell Software as a Service drin. Dann haben sie in ihrem Geschäftsmodell Abo-Abrechnungen, dann haben die Stundensatz-Abrechnungen, dann haben die 5-Jahres-Verträge, dann haben sie Tagessatz-Verträge. Dann haben Sie Schulungen. Das ist ein total komplexes Geschäftsmodell eigentlich, das über eine, ich sag jetzt mal, Fern- oder automatisiert versuchte Steuerung einfach nicht funktioniert, weil es zu viele Variablen gibt, die sie spielen, aber das ist eben auch genau ihre Nische, weil das größere Unternehmen, industriell aufgestellte Unternehmen gar nicht anbieten können. Die können diese Variabilität, diese Varianz gar nicht mehr leisten und das ist eine Riesenchance auch für den Mittelstand dort Zugang zu haben, zu Märkten oder sich Märkte zu erhalten und damit auch ein gutes Einkommen zu erhalten, wo industrielle oder durchgestylte oder mit starkem Eigentümerinteresse, stark heterogenen Eigentümerinteresse geplagte Firmen gar keine Chancen haben reinzukommen.

Götz Müller: Ja, spannend. In der Vorbereitung auf unser Gespräch hatte ich dann mal so den Gedanken, klassisch automatisierte Prozesse brauche ich bestimmte Tätigkeiten von Menschen nicht mehr, egal ob es sich jetzt um wertschöpfende Prozesse, also irgendwas Produzierendes direkt handelt oder vielleicht auch unterstützende Prozesse. Und jetzt haben wir ja im Fokus das Thema Führung und dann dachte ich mal kurz: Ja, da brauche ich in der Führung auch keine Menschen mehr, jetzt höre ich bei dir aber natürlich in den letzten Sätzen, in den letzten Minuten definitiv raus, der Mensch spielt da weiter eine ganz, ganz wichtige Rolle. Also, die, in Anführungszeichen, gute Botschaft an Führungskräfte: Ihr werdet nicht überflüssig. Oder?

Gebhard Borck: Ja. Sie bekommen eine komplett andere Aufgabenstellung. Also, die Führungskraft heute ist ja genau in diesem Modell von wir müssen, ich nenne es jetzt mal die Eigentümerinteressen nach unten durchspielen und müssen sozusagen die Menschen überzeugen, davon, dass das auch ihr Interesse ist, dass man da ein gemeinsames Interesse hat und so weiter. In einem selbststeuernden Prozess hat die Führungskraft, die die das Anweisungsrecht nicht mehr. Das kann es dort nicht geben, weil es diesen Prozess blockieren würde. Also in Softwaresprache, das wäre ein Showstopper. Also wenn es jemanden geben könnte in einem selbstgesteuerten Prozess der qua Weisungsbefugnis den Prozess bremsen, den Prozess beenden, den Prozess in eine andere Richtung lenken kann, ein einzelner Mensch, dann ist es ein Showstopper für einen selbstgesteuerten Prozess, dann ist er nicht mehr selbstgesteuert, dann ist er entweder fern- oder fremdgesteuert. Und deswegen haben sie die Herausforderung, sie müssen praktisch ihren Belegschaften völlig ohne Weisungsbefugnis Risiken aufzeigen, die Tragweite von Verhaltensänderungen versuchen klarzumachen, sodass die Menschen selbst auch sichere, sinnvolle Entscheidungen treffen können, wie sie sich weiter verhalten, wie sie sich in unvorhersehbaren Situationen trotzdem sinnvoll verhalten und so weiter. Beispiel dazu ist zum Beispiel in der Corona-Krise als Corona kam haben unsere Kunden alle innerhalb von fünf Tagen die Firma wieder vollständig am Laufen gehabt für den Kunden und oftmals kam der Impuls mit Lösungsvorschlägen direkt aus der Belegschaft. Das heißt dadurch, dass sie selbststeuernde Prozesse schon leben können und in dem Sinne adaptiv sind, haben sich ganze Belegschaften sofort mit der Problematik Lockdown, mit der Problematik Kontaktbeschränkungen und so weiter auseinandergesetzt, haben Lösungen entwickelt, unterschiedliche Lösungen entwickelt, sind aber auch fähig, diese Lösungen koordiniert untereinander abzustimmen und innerhalb von fünf Tagen und dann die Firma, solange der Geschäftsführer, also bei einer Firma weiß ich, da hat Geschäftsführer noch darüber nachgedacht, da waren die Leute schon im Home Office, also der hat noch darüber nachgedacht, wie er das hinkriegen will, da waren die Leute schon dort. Und das ist, was Selbststeuerung ausmacht und das bedeutet natürlich bei der Führungskraft im Vergleich zu heute, ich muss zulassen, ich muss loslassen und zulassen können. Ich muss auf meine Weisungsbefugnis verzichten können und muss mir überlegen, welchen sinnvollen Beitrag kann ich denn hier noch leisten, damit die Menschen in dieser Selbststeuerung sinnvolle Entscheidungen und sinnvolle Handlungen für die Firma durchführen und nicht eigensinnig sinnvolle Handlungen und Entscheidungen umsetzen.

Götz Müller: Ja, den Punkt würde ich ganz gerne noch vertiefen, weil das sind im Grunde auch Themen, die, wenn man jetzt über Lean und Co nachdenkt, ja auch immer wieder auftreten, dass sich quasi die Rolle der Führungskraft verändert. Dass die Führungskraft nicht mehr der Feuerwehrmann ist, der alle Probleme selber löst, sondern eben auch Mitarbeiter befähigt und da höre ich hohe Ähnlichkeiten raus und ich erlebe aber dann eben auch, dass sich Führungskräfte mit diesen Rollenwechsel, mit diesem anderen Selbstverständnis, so nach dem Motto „Hier auf meiner Schulter sind halt drei Streifen und bei dir sind nur zwei“, damit gar nicht so einfach umgehen können. Welche Erfahrungen hast du in dem Kontext gemacht?

Gebhard Borck: Wir haben total viel Glück. Wir nennen das Phasenwechsel oder Systemwechsel und wir gehen über den Weg der Problemlösung an das System ran und stellen, also das ist, wir haben Glück, aber das ist auch ein bisschen fies, weil wir stellen sozusagen in dem Prozess den Führungskräften die Frage: Was ist dein sinnvoller Beitrag zur Lösung? Wir kennen das Problem, wir wollen das Problem gemeinsam lösen, nicht nur mit der Führungskraft, sondern auch mit den Mitarbeitern, und wir stellen den Führungskräften in diesem Prozess, indem wir aufzeigen, wie eine Professionalisierte, Entscheidungskommunikation und so weiter stattfindet, stellen wir halt auch der Führungskraft die Frage: Was ist ein sinnvoller Beitrag hier an der Stelle? Ist es wirklich, dass du deine Position hältst? Ist es wirklich noch, dass du den Leuten vorsagst, wie sie etwas zu lösen haben oder liegt es irgendwo anders? Dann haben wir natürlich schon die Schwierigkeit, also zum einen, es wird praktisch aus einem situativen Kontext heraus für die Führungskraft sinnfälliger oder weniger sinnfällig sich daran anzupassen. Beispiel: Wir haben einen Kunden, der, also das glaubt man gar nicht, aber der arbeitet mit ganz, ganz vielen organisationalen Systemen. Also, der hat Teams, die haben keinen Teamleiter mehr, die haben auch keinen Abteilungsleiter oder Bereichsleiter mehr. Dann gibt es Teams, die haben noch einen Teamleiter. Dann gibt es Menschen, die als Satelliten in der Organisation rumfliegen und da gibt es aber Organisationseinheiten, also Teams, die sind funktional zusammengesetzt, arbeiten aber selbstgewählt, selbstbestimmt mit einem anderen Team crossfunktional zusammen. Wenn man das von außen angeguckt, also ich komme aus der Organisationsentwicklung, würde ich sagen: „Heilloses Chaos.“ Wenn man aber die Menschen fragen wissen die alle, welchen Sinn welche Konstellation hat und wann die wichtig ist und können das. Dort ist aber ganz klar selbst bei den Teamleitern, die es noch gibt, ist es tatsächlich so, dass sie wissen, sie sind so etwas wie die Rückversicherung ihres Teams? Wenn das Team mit irgendwas ganz und gar nicht klar kommt, dann leisten sie sich noch einen Teamleiter, dem sie das dann praktisch auf den Schreibtisch legen und sagen: Das ist jetzt mal ein Ei oder die Kartoffel ist uns zu heiß. Was sagst denn du dazu? So im Prinzip im Sinne von Erfahrungswissen und so weiter. Und dadurch, dass wir das situativ machen, dass wir praktisch mit den Führungskräften zusammen die Probleme und die Situationen auflösen, stellen sie selber fest, wo sie einfach einen wertvollen Beitrag leisten können und wo unter Umständen nicht mehr und dann machen sie das, was Menschen tun: Sie gehen da entweder mit oder sie stellen sich da halt quer und querstellen heißt dann tatsächlich oft sie verlassen irgendwo auch das Unternehmen am Ende des Tages, aber die allermeisten, also wir haben in der Zwischenzeit unglaubliche Quoten von Führungskräften, die sich total wohl fühlen, da dann einfach mitzugehen und auch sagen: Das ist so gut. Also wir haben im Moment gerade einen Strategieprozess, den wir begleiten, mit 2 Führungskräften. Also die fangen gerade an mit dem Systemwechsel und die wollten dann im ersten Schritt, die sind Bereichsleiter, die wollten dann praktisch ihren Direct Lead, also die Abteilungsleiter oder Teamleiter, die wollten sie mitnehmen in die Entscheidung über die Strategie und dann haben wir ihnen vorgeschlagen: Warum nicht gleich die ganze Belegschaft? Dann war erstmal ein erster Schock, „nein, das sind potenziell sechzig Leute oder fünfundsechzig Leute sogar, das ist viel zu viel“ und dann sagen wir halt „Nee, das ist okay. Fünfundsechzig kriegen wir hin“ und dann sagen sie „Ja, da bin ich jetzt aber gespannt“ und dann entwickeln wir ein Design, wir die fünfundsechzig hinkriegen und dann machen wir das. Jetzt haben wir das erste Zwischenergebnis und dann sehen sie plötzlich: Das ist ja voll cool. A) Unsere Menschen denken ja über dieselben Probleme wie wir nach. B) Sie sehen ja dieselben Mittel, die sie zur Verfügung haben, um diese Probleme zu lösen oder mit den Problemen umzugehen. C) Wir haben jetzt eine viel einfachere Kommunikation mit denen, weil wir ja schon, wenn man so will, im Lösungsgespräch sind, müssen wir nur noch aufgreifen und ermöglichen. Da freuen die sich. Also dann, viele freuen sich dann tatsächlich und sie merken halt, wir brauchen überhaupt keine Weisungsbefugnis dafür, also das ist völlig unnötig und dann gibt es halt eben die, die sagen: Ich finde das voll cool und arbeite da sozusagen maßgeblich inhaltlich mit. Und dann gibt es die anderen, die gehen ein bisschen unseren Weg steigen dann unseren Weg ein und diese Prozessdesigns zu entwickeln und so weiter, das werden wir tun. Diese Professionalisierung der Entscheidungskommunikation, wie das geht, und da kriegt man auch schon relativ viele dann unter in der Firma. Und so haben wir in der Zwischenzeit viele Kunden, bei denen die Fluktuation bei Führungskräften relativ gering ist, also sehr einstelliger Prozentbereich. Die meisten finden einen Weg, wie sie damit klarkommen, weil er in sich sinnfällig wird. Ja, weil es ist selber merken, wenn ich jetzt wieder auf Anweisungen zurückschalten, dann werden wir wieder langsamer, dann verliere ich wieder die Kommunikation mit meinen Mitarbeitern. Dann verlieren meine Mitarbeiter wieder das Hintergrundwissen und dann kommen wir zu schlechteren Ergebnissen.

Götz Müller: Weil ja im Grunde, das höre ich so ein bisschen raus, weil im Grunde die Führungskraft eigentlich der Flaschenhals ist, wenn sie der einzige Entscheider ist.

Gebhard Borck: Genau. In dem Moment, wo praktisch dieses Entscheidungsdelegationsspielchen gespielt werden kann, merken sie auch, also die, mit denen wir zusammenarbeiten, die kommen aus einem Kontext, das haben sie uns auch geschildert, dass sie, also die haben ein total gutes Betriebsklima und verstehen sich super mit ihren Mitarbeitern, aber die Mitarbeiter delegieren jedes Problem an sie, die Führung, zurück und erwarten dann von ihnen halt eine Lösung. Wenn dann die Lösung kommt, urteilen sie darüber, ob sie sie gut oder ob sie die blöd finden. Ja, und wenn sie sie halt blöd finden, dann machen sie halt nicht mit. Und denen geht halt beides auf den Nerv. Denen geht auf den Nerv, dass sie das mit der Erwartungshaltung zurückdelegiert kriegen: Löst bitte für uns unser Problem. Wo sie aber sagen: Leute, das sind Probleme, die müsst ihr irgendwie auf eurer Ebene selber gelöst bekommen. Das ist das eine und dann sind sie natürlich aber auch sehr enttäuscht, wenn sie dann sich die Arbeit machen und das Problem lösen, eine Lösung entwickeln, dass die Lösung dann schlecht beurteilt wird. Da sind sie dann darüber enttäuscht und in dem Zwiespalt befinden die sich und die freuen sich jetzt halt total, dass sie an einen Punkt kommen, wo sie sehen, wie Verantwortung auch zum Mitarbeiter zurückkommen. Also der Mitarbeiter merkt: Hey, ich darf und soll, aber irgendwann muss ich hier tatsächlich auch lösen. Und die Führungskraft merkt halt, ja, diese ganzen Politikspielchen rund um Leistungen und Entscheidungsdelegationen hoch und runter und Denkdelegationen hoch und runter, die fallen alle weg, die brauchen wir nicht mehr.

Götz Müller: Da geht mir jetzt durch den Kopf, du hast den Begriff nicht verwendet, aber ich verwende ihn ganz gern, da spielt ja auch so etwas wie eine erlernte Unselbständigkeit ein, da habe ich eine Führungskraft, die sich um alles kümmert, die so ein bisschen wie die Kavallerie ist, ich muss sie nur rufen und dann rettet sie mich. Das muss ich also selber nicht mehr machen, da könnte ich mir vorstellen, dass das für beide Seiten und das möchte ich noch ein bisschen vertiefen, eine Herausforderung ist, wie man dann konkret damit umgeht, dass halt die Kavallerie jetzt nicht mehr kommt mit den durchaus geschilderten Vorteilen, wie du es gerade gemacht hast, aber ich könnte mir vorstellen, so initial ist das halt schon für die Beteiligten, für beide Seiten, eine gewisse Herausforderung.

Gebhard Borck: Ja, auf jeden Fall. Also das ist, ich nenne es die erlernte Hilflosigkeit. Der Gegenpol zur erlernten Hilflosigkeit ist die Selbstwirksamkeit und darüber … also das ist tatsächlich so, in jeder Gruppe, wenn die Gruppe mal größer wird wie zwölf Leute hast du Menschen, die doch noch eine Vorstellung davon haben, dass sie etwas leisten könnten, Das ist Selbstwirksamkeit. Also das Gefühl zu haben, ich könnte da schon etwas leisten. Das ist Selbstwirksamkeit. Und was wir praktisch machen … diese Menschen, die es da gibt, gibt es immer, denen geben wir jetzt den Raum, tatsächlich aus Selbstwirksamkeit, aus dem Gefühl herauszukommen, in reale Wirksamkeit zu kommen. Und dann hast du … Also ein anderes Beispiel von einem Kunden ist, da ging es um die Beschaffung von neuen Handlingsgeräten und das ging bis jetzt halt immer über die Führung und dann wurde sich darüber beschwert, warum das Handlingsgerät in der Situation doch nicht funktionieren und in der anderen Situation nur schlecht funktioniert und so weiter. Und dann haben sie jetzt mit uns auch dort der Geschäftsführer gesagt: Diese Entscheidungen treffen wir nicht mehr, die treffen die Leute selber, die entscheiden, welche neuen Handlingsgeräte wir anschaffen. Und dann hat schon die mittlere Führung schon angefangen: Oh, kann man das den Leuten überlassen und was machen wir da? Dann machen wir den Bock zum Gärtner. Und so weiter und sofort. Und dann haben wir gesagt; Nein, das machen wir, und zwar deswegen, weil, dann können die, die sich beschweren, sich bei ihren Kollegen beschweren. So. Das sind … da reden wir jetzt von einer Größenordnung, glaube ich, so 120, 140 Mitarbeiter, und auch da haben wir die Frage gestellt: Nehmt da bitte dran teil, also wer hat Lust praktisch die Handlingsgeräte mit auszuwählen und da haben sich dann sechs gemeldet und drei nur nach persönlichen Gespräch mit ihren Führungskräften und so weiter. Und da merkt man dann, da haben sich von 120 sechs gemeldet, also das ist sehr, sehr wenig. Nichtsdestotrotz haben wir jetzt mit denen das eben gemacht und die haben jetzt die Handlingsgeräte ausgesucht. Die werden jetzt die nächsten drei bis fünf Jahre mit den Geräten arbeiten und jetzt merken die zum einen: Hey, man hat uns wirklich zugehört. Wir durften die wirklich nach unseren Vorstellungen testen diese Geräte. Wir dürfen das damit machen, was wir für richtig halten. So kamen wir zu einer Entscheidung fürs Handlingsgerät, das heißt, wir können das gegenüber unseren Kollegen auch begründen, warum es das ist und nicht das andere oder eins von den anderen. Und die Führung merkt jetzt schon, wie ihr praktisch Last von den Schultern fällt, weil sie sagt: Ich muss mit den nächsten vier Jahren das Genörgel gar nicht anhören, weil ich würde das Genörgel respektive umleiten, aber das muss ich ja auch nicht tun, weil man auch schon gemerkt hat, dass die sechs Mitarbeiter, die dabei waren, die haben schon angefangen, mit ihren Kolleginnen und Kollegen zu reden: Es kommt dieses Handlingsgerät. Das hat die Probleme, das hat die Vorteile, das wird in der Situation so funktionieren, und das wird uns dabei helfen und deswegen haben wir uns dafür entschieden. Also bevor das Gerät überhaupt da ist, reden die schon mit ihren Kolleginnen und Kollegen auf der völligen Augenhöhe, auf derselben Ebene und klären das und wir gehen jetzt natürlich davon aus, wenn wir den nächsten Prozess, die nächste Schleife drehen in dem Bereich, in dem Geschäftsfeld, dann sind es nicht mehr nur sechs, dann sind es fünfzehn. Das sind immer noch keine 150, aber dann sind es halt schon fünfzehn oder achtzehn oder vielleicht zwanzig, die das ausprobieren. Das ist aber das, was du beschreibst. Dass es nur sechs sind, kommt genau daher, dass sich die Leute natürlich in dieser Situation der Problemlösungsabgabe, der Hilflosigkeit, der Unfähigkeit schon auch einrichten und zurechtfinden. Da sagen wir halt, das ist vielleicht ein bisschen böse, aber wir sagen dann, das heißt nur, dass der Mensch es nicht will, das heißt nicht, dass er es nicht kann, und wir fragen natürlich an, genau das von Menschen zu fördern, allerdings immer in diesem Zusammenhang. Du wirst wirksam und du partizipierst an den positiven Konsequenzen. Du erleidest nicht nur die negativen, wenn halt mal was schiefgeht, sondern du partizipiert immer an den Positiven. Also man sieht das auch, dass du das gemacht hast und da gibt es keine Führungskraft, die irgendwelche Lorbeeren dafür einsackt oder sowas, sondern da stehen diese sechs Leute da und diese sechs Leute haben das entschieden und das ist klar, das ist bekannt, und wenn die Handlingsgeräte gut sind und gut funktionieren, dann haben die einen guten Job gemacht und auch das wird denen Anerkennung bringen und diese Zusammenhänge, die bringen wir hervor.

Götz Müller: Jetzt haben wir an der einen oder anderen Stelle den Begriff Systemwechsel oder im Grunde schon bei der Vorstellung, wo ich dich vorgestellt habe, den Begriff Systemwechsel. Jetzt glaube ich in dem Gesamtkontext der Veränderung wird ja ganz oft dieser Begriff der Transformation gebraucht, manchmal auch missbraucht, ja, und jetzt da die Frage, warum der andere Begriff, weil vermutlich ein Unterschied da ist und wenn ja, das noch ein bisschen konkretisieren; wie unterscheidet sich ein Systemwechsel von einer klassischen, in Anführungszeichen, Transformation? Vielleicht mit auch der ein oder anderen negativen ungewollten Begleiterscheinung?

Gebhard Borck: Wir haben verstanden, also man kann es so ein bisschen erklären mit im Sommer, wenn man Sonnenbrillen hat, da gibt es ja unterschiedliche Farben, die die Sonnenbrillen haben können und wenn man halt eine blaue Sonnenbrille hat, dann ist die ganze Welt blau. Und wenn man die Sonnenbrille absitzt und man setzt eine, sag ich mal braungefärbte Sonnenbrille auf, dann ist die ganze Welt irgendwie ein bisschen braun und wenn man sich ein bisschen mit damit auskennt, nur wenn man praktisch eine schwarze, eine mit Graufilter, aufsetzt, bleibt die Welt, wie sie ist, nur wird sie ein bisschen dumpfer. So. Und das, was wir halt heute haben, das ist, ich sage mal, das sind Menschen, die haben eine blaue Sonnenbrille auf, die sehen die ganze Welt blau. Und der Systemwechsel findet eigentlich nur im Kopf statt. Man versteht, dass man die Welt auch braun sehen kann. Das heißt, was wir in der Tasche haben, ist eine braune Sonnenbrille. Wir sagen, man kann die ganze Welt, den ganzen Alltag, den man jeden Tag lebt, auch durch eine braune Sonnenbrille anschauen. Nur kommt dann etwas ganz anderes dabei heraus, wenn man sagt, was es ist. Weil das ist dann braun auf jeden Fall. So, und deswegen sprechen wir von Systemwechsel, weil wir sagen, das ist gar kein Prozess wie Transformation. Bei Transformation stelle ich mir immer einen Prozess vor, der irgendwie drei Monate, fünf Monate mit irgendwelchen vorhersehbaren Prozess schritten und so weiter verläuft, ja. Wir machen einen Systemwechsel. Wie funktioniert das? Am Anfang, wo die Menschen diese braune Sonnenbrille noch nicht kennen und noch nie damit umgegangen sind und wo das denn komisch vorkommt, vielleicht sogar schwindlig wird, wenn sie die aufsetzen, ja. Da kommen wir und haben diese braune Sonnenbrille auf und zeigen denen die braune Welt und lösen aber mit ihnen zusammen ihre Probleme. Also wir machen kein Sonderprojekt oder wir machen keine Task Force, machen nicht irgendwie einen speziellen Bereich, der schon braunaffin ist oder so irgendwas oder wo es schon ganz viele Leute gibt, die gerne braune Sonnenbrillen tragen würden. Das machen wir alles nicht, sondern wir sagen: Habt ihr ein Problem? Ja und zum Beispiel eine Aufgabenstellung, wir müssen neue Handlingsgeräte beschaffen, das ist ein ganz normales Alltagsprobleme, hat die Firma alle fünf Jahre dieses Problem oder dieses Thema. So, und dann sagen wir: Ok, jetzt machen wir das mal mit der braunen Sonnenbrille. Was heißt braune Sonnenbrille? Braune Sonnenbrille heißt, Führung entscheidet gar nichts, Führung moderiert nur Entscheidungsprozesse, man entscheidet selbst gar nichts. Mitarbeiter werden gefragt, Mitarbeiter werden einbezogen. Wir machen exakt das, wofür sich die Mitarbeiter entscheiden. Das ist genau dasselbe in diesem Strategieprozess. Wir sagen Strategie, die es bis jetzt gibt, ja, die Strategie vorliegt, das ist ein Vorschlag und auf diesen Vorschlag könnt ihr jetzt Einfluss nehmen, also wir machen euch den ganzen Vorschlag transparent, alle Paragraphen. Wir bauen eine Kommunikationssystematik auf, in der ihr A) das versteht, was damit gemeint ist und B) euch dazu äußern könnt, wie ihr darauf Einfluss nehmen wollt, was für euch da wichtig ist zu berücksichtigen und so weiter und sofort, damit ihr praktisch anfangt, die Strategie zu gestalten und auch hier setzen wir wieder die braune Sonnenbrille auf. Wir sagen eben zur Bereichsleitung: Nein, wir halten nicht bei den Abteilungsleitern ein, sondern wir laden alle Menschen ein. Alle Menschen haben ein Hirn zwischen den Ohren, alle Menschen arbeiten in der Firma, alle Menschen sind von der Strategieumsetzung betroffen. Also laden wir alle ein. Es müssen nicht alle teilnehmen, können immer noch absagen, es ist keine Pflichtveranstaltung. Man muss nicht daran teilnehmen. Aber alle, die teilnehmen, gestalten jetzt mit. So, und das nehmen wir ernst. Wir halten uns daran, was die sagen. Wir steigen aus, da kommen wir zu den Systemwechselpunkten. Es gibt kein Vetorecht für die Abteilungsleiter. Es gibt kein Vetorecht für die Bereichsleitung, sondern es gibt den Inhalt, den man als Gruppe zusammen gestaltet hat. Deswegen arbeitet die im besten Fall die Abteilungsleiter und die Bereichsleitung inhaltlich mit. Und das ist dann das, was wir machen. Dann zeigen wir denen: Das kommt raus, wenn die Welt braun ist. Dann erzeugt ihr andere Ergebnisse, dann kommen andere Ergebnis dabei raus. Und das ist der große Unterschied zwischen Systemwechsel und Transformation. Wenn es bei den Menschen im Kopf Klick macht, geht Systemwechsel wirklich von jetzt auf nachher, das ist wie einen Schalter umlegen. Bis es Klick macht, hat man einen Prozess, aber sobald es Klick gemacht hat, hat man den nicht mehr. Das ist jetzt also … was sind die negativen Auswirkungen? Das haben wir bei einem anderen Kunden, der hat gesagt, ich fange in einer Region an, das zu machen, und schaue mir in der Region, wie das funktioniert und so weiter. Und das hat dort eben den Charakter von einem Prototypen, aber es ist noch nicht entschieden, ob er das macht oder nicht. Das war die Grundkonstellation, die die Geschäftsführung sich vorgestellt hat. Jetzt haben wir dort angefangen zu arbeiten. Jetzt ist der Systemwechsel vollzogen. Jetzt sagen die Menschen, die dort arbeiten: Na ja, jetzt habe ich die Welt braun gesehen und braun gefällt sie mir besser. Ich werde mir nie mehr eine blaue Sonnenbrille aufziehen, das werde ich nicht tun. Ich werde nie mehr mit einer blauen Sonnenbrille durch die Welt laufen, das ist völlig doof. Ich lauf nur noch mit der braunen Sonnenbrille durch die Welt. Und das bedeutet jetzt auch wirklich bis hoch zur Geschäftsführung, dass die Geschäftsführung, wenn man so will, sich unter Umständen ein Ei gelegt hat, kommt jetzt drauf an, es ist noch nicht entschieden, aber sich ein Ei gelegt hat, weil sie jetzt Mitarbeiter haben, die sagen: So wie die anderen Regionen arbeiten, so wollen wir nicht mehr arbeiten. Wir kriegen unsere Probleme supergut gelöst, das ist auch total angenehm und wir sind bereit fast schon die Existenz in der Firma in die Waagschale zu werfen, um nicht mehr zu zurückzumüssen in diese andere Arbeitswelt. Ja, das ist das eine, was passieren kann und das andere, was auch passieren, was wir jetzt auch schon erlebt haben, dass die Firma gar keine Herausforderungen hat, die selbststeuernde Prozesse braucht. Also sagen wir mal, der Markt ist simpel, das Geldverdienen geht einfach, das Geschäftsmodell, das man anbietet, ist total easy nachzuvollziehen. Ja, dann macht man selbststeuernde Prozesse, weil es einem besser gefällt, aber nicht … dann fehlt dieser Mehrwertanspruch, der in uns allen ja drinsteckt, der fehlt dann. Also, der wird dann zumindest mal ökonomisch oder prozessual oder qualitativ … qualitativ könnte man ihn merken, wenn man sagt, es gefällt mir besser in einer braunen Welt zu leben als in einer blauen, aber man kann nicht mehr direkte Vorteile davon ableiten, wie die, die ich jetzt gerade geschrieben hat, sondern man sagt dann wirklich, dort, wo Geschäftsmodelle relativ simpel sind, wo Geld noch einfach im Markt verdient wird, wo der Markt stabiler ist und auch die Prognose des Marktes stabil bleibt, da ist es wirklich eine persönliche Entscheidung: Ich mache lieber selbststeuernde Prozesse als ferngesteuerte Prozesse. Da ist aber kein direkter ökonomischer Mehrwert darin erkennbar. Das haben wir jetzt auch schon gehabt.

Götz Müller: Und dieser Schmerz ist vielleicht als Antrieb auch nicht so vorhanden, vermute ich mal.

Gebhard Borck: Genau. Da gibt es keinen Entwicklungsbedarf. Und dann schleichen sich natürlich gerne die alten Verhaltensmuster einfach auch wieder ein, weil es halt geht, also ich sage jetzt mal, wenn man es sich leisten kann, ja und da haben wir auch schon festgestellt, das ist auch so ein Down Sides, also das würden wir Firmen vielleicht auch gar nicht mehr empfehlen, wenn das Geschäftsmodell einfach ist, der Markt superstabil ist und alles vorhersehbar ist, lasst es bleiben, das macht nur eure Menschen schalu.

Götz Müller: Ja. So die Veränderung nur um der Veränderung willen bringt ja auch nichts.

Gebhard Borck: Ja, bringt halt nur dann was, wenn die … also dort wäre es total cool, wenn die Belegschaft darauf kommen würde: Ich will so arbeiten. Ja, dann könnte vielleicht sogar mal eine Graswurzelentwicklung wieder stattfinden, aber da ist es nicht so, dass man sich selbst dadurch besser fühlt, dass man in die Selbstwirksamkeit kommt. Das sehen wir da nicht. Das sind aber die zwei größten Negativeffekte, die wir wahrnehmen können. Also das eine, dass die Menschen das Gefühl der Entwicklung, ich kann hier nicht mehr zurück, ich kann nur noch so. Das kann positiv sein, wenn ich das in der ganzen Firma haben will. Das kann negativ sein, wenn ich es nur in einem Teilbereich der Firma haben will und dass unter Umständen die Firma gar keine Herausforderungen hat, die sozusagen diese Stressfähigkeit prüft. Und dann überlegt man sich natürlich, warum soll ich mir eine Stresskompetenz erhalten, die gar nicht geprüft wird?

Götz Müller: Ja. Spannend. Gut, zum Ende meiner Gespräche spreche ich immer ganz gern an, wie ein möglicher Einstieg aussieht, ein Stück weit auch, was muss ich vielleicht ein Voraussetzungen schaffen, oder was sollte ich an Voraussetzungen haben? Ein paar hast du gerade oder mindestens eine … ein Schmerz kann ganz hilfreich sein. Was kann man da jemandem vielleicht mitgeben, der sagt, das hört sich ja spannend an, möchte ich mal ausprobieren, in Anführungszeichen?

Gebhard Borck: Also wir empfehlen auf jeden Fall Mitarbeitern, denen das auffällt und die das spannend finden, fangt an mit eurer Geschäftsführung zu sprechen. Also fangt an, mit denen darüber zu sprechen, warum das interessant ist und warum ihr das spannend findet und dass die Geschäftsführung sich auch mit dem Systemwechsel auseinandersetzt, weil es halt ein Systemwechsel ist. Ja, wenn man an der Stelle mal ist, dass die Geschäftsführung und da gibt es in der Zwischenzeit recht viele, die da sagen, das klingt wirklich spannend und das könnte uns tatsächlich helfen, wenn man an der Stelle ist, dann haben wir verschiedene Wege, wie man einsteigen kann. Einen nennen wir zum Beispiel einen Experience Day machen. Das heißt, man hat sich so ein bisschen damit auseinandergesetzt, auch theoretisch und jetzt hat man, meistens haben die dann einen Katalog von Fragen. Und dann bieten wir an entweder mit uns, man kann den Fragenkatalog so in einer, wie heißt das modern, einer Q&A Session, Question & Answer Session einfach mal durchgehen. Wir bieten aber auch an, ihr braucht das gar nicht mit einem Berater durchgehen, der da mit Sicherheit eine hidden agenda hat, sondern ihr könnt auch gerne, wir stellen auch Kontakt zu unseren Kunden her, ihr könnte gerne euch mit unseren Kunden unterhalten, wie die das angehen und wie die das machen. Also wir nennen das Adaptive Org, mit Menschen aus einer Adaptive Org, wie machen die das, wie lösen die das? Und wie antworten die auf diese Fragen? Das ist eine Möglichkeit. Wenn man schon sagt: Nein, mir gefällt es schon richtig total gut. Ich würde schon konkreter etwas probieren, dann kann man tatsächlich einfach mal ein Problem in der Firma mal also lösen und schauen, gefällt einem das in der Umsetzung. Das, was wir ungern machen, ist irgendwie großartig Schulungen vorne raus oder sonst irgendwas, zu sagen, wir lernen das erstmal, sondern wir zeigen gerne erstmal, finden das heraus mit der Firma zusammen: Funktioniert das bei euch, funktioniert das mit euch? Und dann sagen wir, wenn ihr das gut findet, dann könnt ihr Kompetenz darin aufbauen. Aber unsere Einstiege sind eigentlich immer sehr praxisorientiert konkrete Fragen von den Firmen beantworten, auch nicht irgendwie so abstrakte, so wie wir es heute machen, das ist ja ein bisschen abstrakt, sondern gerne einfach auf uns zugehen oder uns fragen nach unseren Kunden und dann den Kontakt mit unseren Kunden suchen und einfach die mal fragen: Wir haben das und das Problem, wie würdet ihr das angehen? Und dann gucken, was ist denn der Unterschied zu dem, was wir vorgehabt hätten? Wo sind denn da die Unterschiede? Und sich dann überlegen, sowas würde ich auch gern mal machen. Und dann kann man sich … also wir lieben Probleme lösen. Das hat für die Firma zwei positive Effekte. Sie kriegen ein Problem gelöst und finden auf dem Weg heraus, ob dieser Systemwechsel für sie interessant ist oder nicht. Wenn dabei rauskommt, ist eh langweilig, dann lassen wir es auch gleich wieder bleiben, und da muss man keine große Vorinvestitionen und irgendwas verstehen machen, sondern man kann während dem Gehen verstehen. Und wenn man davor tatsächlich noch sich auseinandersetzen will, dann würde ich tatsächlich ganz frech empfehlen, mal meine Bücher zu lesen, dann kann man sich komplett anonym sich einfach mal damit auseinandersetzen. Wenn es dann da wieder viele Fragen gibt, auch mal auf uns zukommen oder mir eine E-Mail schreiben und sonst irgendwas, ob es irgendwo eine Veranstaltung gibt, an der man unter Umständen teilhaben kann und mal schauen kann, was dort geredet wird oder was da passiert. Wir bieten mit unseren Kunden zusammen Infoveranstaltungen an. Die sind normalerweise spezifisch für unsere Kunden, aber man lernt halt mal das Umfeld und die Umgebung da kennen und da kann man schon auch reinkommen. Das wären so die Möglichkeiten, wie man da rangeht, die wir für gut halten.

Götz Müller: Da werde ich auf jeden Fall in den Notizen zu Episode deine Kontaktdaten, und du hast mir schon ein, zwei Links geschickt, die werde ich auf jeden Fall mit reinnehmen und natürlich auch deine Bücher dann verlinken. Gebhard, ich danke dir für deine Zeit, das war wieder ein spannendes Gespräch, da habe ich den richtigen Riecher gehabt, wo du auch mit dem Thema auf mich zukamst und hat mich definitiv nicht enttäuscht.

Gebhard Borck: Schön, das freut mich. Dann sage ich mal bis zum nächsten Mal.

Götz Müller: Das war die heutige Episode im Gespräch mit Gebhard Borck zum Thema Funktionieren selbststeuernde Prozesse?. Notizen und Links zur Episode finden Sie auf meiner Website unter dem Stichwort 275.

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Ich bin Götz Müller und das war Kaizen to go. Vielen Dank fürs Zuhören und Ihr Interesse. Ich wünsche Ihnen eine gute Zeit bis zur nächsten Episode. Und denken Sie immer daran, bei allem was Sie tun oder lassen, das Leben ist viel zu kurz, um es mit Verschwendung zu verbringen.

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