Kaizen 2 go 278 : Prozesse im Qualitätsmanagement


 

Inhalt der Episode:

  • Was sind typische Hürden, die in Prozessen des Qualitätsmanagements auftauchen?
  • Was sind die Folgen daraus?
  • Wie lassen sich die Ursachen beseitigen? Woher müssen die Impulse dafür kommen?
  • Wie muss das Umdenken aussehen, damit sich an dieser Situation etwas verändert?
  • Was kann man als Betroffener tun, wenn man in seinem Unternehmen diese Effekte wahrnimmt und nach einer Veränderung strebt?
  • Was können Qualitätsmanager selbst tun, wenn sie mit der Situation unzufrieden sind?
  • Welche Besonderheiten bestehen bei Medizin- und Pharmaprodukten?
  • Wie kann diesen Besonderheiten begegnet werden?
  • Was lässt sich daraus auf das Qualitätsmanagement in “gewöhnlichen” Branchen übertragen?

Notizen zur Episode:


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(Teil)automatisiertes Transkript

Episode 278 : Prozesse im Qualitätsmanagement

Herzlich willkommen zu dem Podcast für Lean Interessierte, die in ihren Organisationen die kontinuierliche Verbesserung der Geschäftsprozesse und Abläufe anstreben, um Nutzen zu steigern, Ressourcen-Verbrauch zu reduzieren und damit Freiräume für echte Wertschöpfung zu schaffen. Für mehr Erfolg durch Kunden- und Mitarbeiterzufriedenheit, höhere Produktivität durch mehr Effektivität und Effizienz. An den Maschinen, im Außendienst, in den Büros bis zur Chefetage.

Götz Müller: Heute habe ich Hilke Sudergat bei mir im Podcast-Gespräch. Sie ist strategisch-beratende Qualitätsmanagerin mit dem Fokus Medizinprodukte. Hallo Hilke.

Hilke Sudergat: Ja, Hallo Götz. Vielen Dank für deine Einladung. Ich freu mich sehr in deinem Podcast zu sein und, ja, freu mich auch drauf, mich mit dir auszutauschen, weil wir doch einiges an gemeinsamen Erfahrungen und Hintergründen haben. Und ja, als strategisch-beratende Qualitätsmanagerin habe ich ja nicht angefangen, sondern ich habe vor vielen Jahren, man wird älter, mal Chemie studiert mit dem Schwerpunkt Analytik. Dann promoviert und auch schon die Diplomarbeit geschrieben in der Industrie mit dem Schwerpunkt HPLC-Analytik und war dann über verschiedene Stationen mit steigender Führungskraftverantwortung in unterschiedlichen Bereichen unterwegs, also einerseits in der Onkologie-Forschung und bin dann aber tatsächlich auch damals schon in den Medizinproduktebereich gegangen, die Spezialität der In-Vitro-Diagnostika, war lange in der Qualitätskontrolle und habe in meinem Angestelltendasein zum Schluss eine Abteilung geleitet für die Insulinpumpenentwicklung und -zubehör und war verantwortlich für Designvalidierung und Designverifizierung von Hardware und Software.

Götz Müller: Mhm ja, was ja viel ein Thema von Qualitätsmanagement letzten Endes und gerade im Medizintechnik-Umfeld.

Hilke Sudergat: Genau. Also es ist tatsächlich so, dass ich sage, diese Entwicklungsaufgabe ist im Grunde das Analoge. Wenn die Qualitätskontrolle einzelne Freigaben macht, ja, dann macht die Designvalidierung, Designverifizierung, die Entscheidungsvorbereitung für die Freigabe von einem Produkt für den Markt.

Götz Müller: Und das ist ja gerade in dem Kontext auch nichts, was man dann geschwind aus dem Ärmel schüttelt.

Hilke Sudergat: Nein, richtig. Ganz genau. Das dauert eine ganze Weile. Und seit 2015 habe ich mein eigenes Unternehmen, bin eben strategisch-beratende Qualitätsmanagerin, habe mich neben der vielen Erfahrungen, die ich als Führungskraft auch mitgebracht habe, noch mehrfach in unterschiedlichen Methoden qualifizieren lassen als Coach, weil ich tatsächlich auch festgestellt habe, ja, ich habe eigentlich keinen Auftrag gehabt, wo es nicht früher oder später tatsächlich auch um menschliche Themen geht, ja, nicht tief persönliche, aber tatsächlich Herausforderungen, wo man merkt, das sind Themen, die durchaus da auch noch was machen können und dass es dann gar nicht so sehr um die Sache, ums Fach geht. Und wenn es mir erlaubt wird, also ich frage da auch immer um die Erlaubnis, dann unterstütze ich auch in dem Bereich, weil das manchmal tatsächlich Durchbrüche bringt, die mal anders sehr viel härter erarbeiten muss.

Götz Müller: Ja. Ja, ich denke, das wird auch ein Thema in unserer Unterhaltung sein und im Grunde steckt es vermutlich schon in meiner ersten Frage drin: Nämlich würden wir über solche Themen ja überhaupt nicht reden, wenn es nicht Herausforderungen, Hürden gäbe? Das heißt, was sind so typische Hürden in Prozessen des Qualitätsmanagements, die dir so begegnen?

Hilke Sudergat: Typisch ist manchmal gar nicht so leicht zu sagen, weil tatsächlich jeder Fall, in dem ich mitwirke, sehr unterschiedlich ist. Also der Startpunkt, von dem aus wir beginnen, der hat ja eine Historie und es gibt gute Gründe, warum der Startpunkt da so ist, wie er jetzt gerade ist und wenn ich aber, sage ich mal, ein bisschen generalisieren möchte, dann treffe ich immer mal wieder die Situation, dass es heißt „Das muss so sein.“, also dass man tatsächlich sagt „Ich muss das so machen.“ und ein ganz historisches mittlerweile Beispiel ist ja der blaue Kugelschreiber, ja, die Fälschungssichere Unterschrift. Und es gab ehrlich gesagt nie eine Vorgabe, die gesagt hat: „Du musst mit einem blauen Kugelschreiber unterschreiben.“ Das war immer nur schon die Lösung zu einer Vorgabe, dass die Unterschrift halt fälschungssicher sein muss. Ja, und da war der blaue Kohlschreiber halt eine sehr gute Lösung. Aber wo die Technik sich entwickelt hat und sehr gute Farbkopien entstehen, kannst du heute ja gar nicht mehr gut unterscheiden, ist das das Original oder eine Kopie. Also das war … aber es hat sich als lange festgehalten: Wir müssen mit blauem Kugelschreiber unterschreiben.

Götz Müller: Ja und es ist im Grunde eine Abwandlung wahrscheinlich einer Aussage, die dir auch das eine oder andere Mal begegnet ist: „Das haben wir schon immer so gemacht.

Hilke Sudergat: Ja, das ist auch eine schöne … genau richtig. Das haben wir schon immer so gemacht und das sind auch Situationen, die ich tatsächlich auch sehr wertschätze, weil es gibt gute Gründe, warum das, was man bisher gemacht hat, so gemacht hat und ich finde es auch immer, ja, ich fände es vermessen, wenn ich sagen würde: „Schmeißt weg, was ihr bisher gemacht habt und macht es vollkommen neu.“ Das ist nicht richtig, da ist einfach wahnsinnig viel Wertschätzung drin und Erfahrungen drin und die sollte man auch bewahren, aber sie muss halt unter Umständen in einen neuen Kontext gebracht werden. Und das ist dann die Herausforderung. Eine zweite Hürde, der ich oft begegne, die kennst du wahrscheinlich auch, das ist so ein bisschen Grabendenken: „Die anderen da drüben, die haben doch keine Ahnung.“ Ja, und auch da ist es tatsächlich so, dass ich sage, ein bisschen was ist dran, weil der Austausch zwischen Disziplinen manchmal nicht so funktioniert, wie er eigentlich hilfreich wäre. Den idealen Zustand gibt es nicht, aber ich erinnere mich auch, dass das mal ein Kollege zu mir gesagt: „Vielen Dank, dass du bei allen Fragestellungen, die du hattest, auch immer zu uns in den Produktionsbetrieb gekommen bist und geguckt hast, was ist denn vor Ort da eigentlich los, was ist denn die Situation.“ Denn dann steht das manchmal in einem ganz anderen Kontext als einfach so pauschal über mehrere Gebäude hinweg unter Umständen zu sagen „Ja, mach dies, mach das, mach jenes.“ und das ist vollkommen an den Möglichkeiten der Realität vorbei.

Götz Müller: Ja, und das sind Dinge, die haben, mal von Kleinigkeiten vielleicht abgesehen, mit Medizinprodukten und Co gar nicht mehr so viel zu tun. Da kommt vielleicht ein bisschen herausfordernd so etwas wie good manufacturing practice dazu, aber diese Kommunikationsprobleme und die Gräben die halt, warum auch immer, da sind, die gibt es überall.

Hilke Sudergat: Ich finde es auch per se nicht schlimm, aber es ist halt, man merkt halt, wie hilfreich das ist, wenn man doch mal in den Garten des Nachbarn steigt und guckt: Was hat er denn da eigentlich so angepflanzt? Statt nur von der Gartenzaunrückseite drauf zu gucken, weil eben ein Löwenzahn sich einen Weg durchbahnt, das ist ja merkwürdig.

Götz Müller: Ja. Ich denke, wir wären allgemein als, ja, vielleicht fast großes Wort, Menschheit nicht dort, wo wir heute sind, wenn man sowas wie Arbeitsteilung nicht irgendwann mal eingeführt hätten und das hat angefangen, schon vor im Grunde Jahrmillionen vielleicht nicht, aber schon die ersten Steinzeitmenschen, wo man halt einen hatte, der war besonders geschickt drin beim Pfeilspitzen klopfen und die anderen waren halt schnelle Renner und haben die Sachen eingeholt, die davonlaufen wollten, die Tiere.

Hilke Sudergat: Ja, genau. Und eine andere generelle Hürde, die mir jetzt noch einfällt, der ich tatsächlich auch, ja, so generisch, wie sie klingt, ist sie natürlich nicht immer, aber so dieses, je größer ein Unternehmen wird, desto stärker gibt es die Tendenz zu sagen oder die Botschaften auszusenden, alles, was mit Qualität zu tun hat, liegt in der Verantwortung von den Leuten, die irgendwie einen Q in ihrer Funktions- oder Aufgabenbezeichnung haben und das ist tatsächlich manchmal ganz, ganz schwierig. Ich habe neulich bei dir kurz gelesen, wo du gesagt hast: „In Qualität kann man nicht reinprüfen.“ Und das ist genau der Punkt, man kann nicht reinprüfen, die Qualität oder dieses Bewusstsein für Qualität, das geht echt jeden einzelnen Mitarbeiter an, so komisch das klingt, aber ich hatte halt auch immer die Frage und die stelle ich heute auch noch: Was tut jeder einzelne irgendwie auch dazu, übers Jahr gesehen, dass die Qualität erhalten bleibt oder sich verbessert?

Götz Müller: Ja und dass ich sie halt am Anfang überhaupt schon schaffe, also sie entsteht ja nicht von alleine.

Hilke Sudergat: Genau.

Götz Müller: Es wäre schön, wenn es so wäre, aber die Realität, glaube ich, von ganz wenigen Ausnahmen, zeigt, dass es eben nicht so ist.

Hilke Sudergat: Mhm, genau.

Götz Müller: Gut. Jetzt haben wir über die Herausforderungen gesprochen. Wir würden natürlich nicht darüber sprechen, wenn sie nur da wären, aber sich keine Folgen daraus ergeben.

Hilke Sudergat: Ja, genau. Also, ja, die Folgen … was war es …“Das muss so sein“ war das eine, was ich sagte oder „Die anderen haben keine Ahnung“ „Qualität ist nur was für die Leute, die ein Q in ihrer Aufgaben- und Funktionsbezeichnung haben“, also das, was ich dann tatsächlich auch öfter mal sehe, sind starre und wenig flexible Qualitätsmanagementsysteme, ja, die so aufgebaut werden, weil man es halt machen muss, aber gar nicht wertschöpfend genutzt werden. Das schmerzt mich immer so ein bisschen, wenn Leute Dinge tun, weil man sie machen muss, statt zu überlegen, wie kann ich die Anforderungen, die ich da erfüllen soll, auch so umsetzen, dass ich als Unternehmen etwas davon habe.

Götz Müller: Absolut, ja.

Hilke Sudergat: Ja, das ist so und so finden halt auch viele Qualitätsmanagementsysteme heute immer noch eigentlich in einer dokumentierten Form statt im Sinne wirklich klassisches Papier, virtuell oder physisch, aber immer irgendwie aufgeschrieben und dann auch, ja, so aufgeschrieben, dass ich sage, das ist super, wenn ein Auditor kommt, aber was soll der Mitarbeiter damit. Also der erste Kunde von so einem Qualitätsmanagementsystem ist ja eben nicht ein Auditor oder eine Behörde, sondern es sind die Mitarbeiter, die in einem System arbeiten.

Götz Müller: Ja, da kommen wir dann schon ziemlich stark in den Bereich meiner, es fast schon eine Trilogie der Fragen, also die Hürden, die Folgen und dann die Ursachen, weil letzten Endes erst, wenn wir uns eben mit den Ursachen beschäftigen, können wir etwas verändern und da dann sehr eng damit verwandt, wenn ich mal Ursachen ausgemacht habe, ja, dann können wir nicht nur alle im Kreis da außen rum stehen und sagen „Okay, da liegt jetzt die Ursache und jetzt?“, also irgendjemand muss dann mal Hand anlegen, um es mal so auszudrücken.

Hilke Sudergat: Genau. Also, vielleicht ganz witzig … Ursachen sind gar nicht so schwer festzumachen, muss ich sagen. Also eine Hauptursache sehe ich darin, dass über die Vielfalt von Aufgaben, die erledigt werden müssen, ganz häufig halt Spezialisierungen entstehen und dann irgendwann so ein Gesamtverständnis verloren geht.

Hilke Sudergat: Ich sage jetzt mal, ich war tatsächlich zu Studienzeiten mal in einem Unternehmen unterwegs, wenn du eine Frage hattest und dein Gegenüber konnte das nicht beantworten, dann hat er dir eigentlich auch weitergeholfen, indem er gesagt hat: „Frag aber mal den und den, der kennt sich aus.“ Also dieses Wissen war einfach vorhanden, den kann ich dann fragen, wenn ich dir nicht weiterhelfen kann und das war auch so die Bereitschaft da zu sagen, die Frage ist ja richtig und wichtig, aber ich kenne keine Antwort darauf, frag mal den und den. Und witzigerweise habe ich das gleiche Unternehmen dann in einem ganz anderen Kontext noch mal erlebt und dann hatte sich das komplett geändert. Und das war die Situation, dass, dass man tatsächlich versucht hatte „Ich bräuchte da und da eben eine Auskunft dazu.“ und dann sagt er „Kann ich Ihnen nicht geben.“ und dann war der Satz zu Ende und dann sagst du, fragst du vielleicht nochmal nach: „Haben Sie eine Idee, wer mir die geben könnte?“ „Nö.“ Und das irgendwie eine Veränderung, die man gar nicht so greifen kann, aber ich glaube tatsächlich, das ist eine Hypothese, dass das auch so das Thema der flachen Hierarchien möglicherweise Transparenz weggenommen hat, die vorher gegeben war. So wertvoll auch flache Hierarchie sind und wirklich Ihre Vorteile haben, aber nur in flachen Hierarchien zu denken und dann umgekehrt nicht mehr transparent zu machen, was ist in einer Firma wie in welchem Zusammenhang unterwegs, das ist eine Herausforderung.

Götz Müller: Ja und wenn natürlich dann so etwas wie ein Qualitätsmanagementsystem, wo ja solche Dinge ein Stück weit schon nachlesbar sind, wenn die dann aber eher zur Schrankware verkommen, dann kommt auch fast keiner mehr auf die Idee: „Da könnten wir doch mal in diesem Ordner nachschauen, da steht so etwas Komisches wie DIN ISO trallala drauf.“

Hilke Sudergat: Ja, genau das. Ja, genau, also Schrankware finde ich einen wunderbaren Ausdruck dafür, auch wenn es ein virtueller Schrank heute ist, es ist immer noch Schrankware. Ich muss wissen, wo ich blättern kann. Ja, ich muss die Situation finden und ich habe dann trotzdem unter Umständen eben eine einzelne Antwort gefunden, aber der Gesamtkontext ergibt sich daraus nicht. Das ist so das Thema Prozesse sichtbar machen.

Götz Müller: Ja. Ich habe aber jetzt bei dir daraus gehört, es war jetzt nicht irgendwie so böser Wille, sondern die Person hat es einfach nicht gewusst.

Hilke Sudergat: Ja, genau. Also es ist nie böser Wille. Das ist tatsächlich nicht da. Aber es ist auch dann, ja, es fehlt einfach und möglicherweise fehlt dann auch das Interesse. Ich weiß es nicht, es sind ja wie gesagt Einzelfälle. Ursachen sind vielfältig, warum man da steht, wo man gerade steht, aber wenn ich so generisch drüber nachdenke, dann könnte das eine These sein, die sich vielleicht nochmal nachzugucken lohnt, ja. Dass man sagt: Wo haben wir denn da eigentlich etwas verloren? Und umgekehrt sind dann auch Standards manchmal zwar vorhanden, auch in Schriftform, in der schönen Schrankware, die du eben gesagt, hast, aber die Ausübung des Standards im Unternehmen ist wieder persönlich sehr geprägt, je nachdem, wer es macht.

Götz Müller: Ja und wenn sich das dann, glaube ich, paart mit dem, was du auch schon gesagt hast, im Sinne von „muss so sein“ oder „haben wir schon immer so gemacht“, das ist ja keine echte Ursache, kein echter Grund, sondern nur wenn ich den hinter Frage wie werde ich einen Ansatzpunkt finden, darüber nachzudenken: „Vielleicht sollten wir hier mal was verändern.“

Hilke Sudergat: Ja, genau und ich denke, wenn ich etwas verändern würde, also so mit eine Richtung „Wie kann ich umdenken?“ – Das eine ist in einer alltäglichen Situation, dass ich immer sage „Erstmal dreimal tief atmen“, ja, wir sind heute, glaube ich, auch sehr schnell reaktiv auf irgendein Ereignis, das auf uns zukommt und dadurch halt möglicherweise auch im Handlungsfokus eingeengt, statt dreimal tief durchzuatmen, und Viktor Frankl hat das ja so schön gesagt, ich gebe es nur sinngemäß wieder und nicht im Originalzitat, dass der Raum zwischen Aktion und Reaktion der Raum ist, den wir gestalten können und dadurch, dass wir so unter Druck stehen heute oft, ja, und wirklich so schnell agieren und handeln müssen, ist genau dieser Raum, den wir gestalten können, wo wir sagen, einmal kurz innehalten, was mache ich als nächstes, der ist so eng, so klein geworden, ja, bis gar nicht mehr vorhanden. Und das tut gut, wenn man sich das tatsächlich ab und zu mal aneignet. Dann finde ich es natürlich auch tatsächlich gut, wenn eine Balance stattfinden wird und ein guter Austausch zwischen Spezialisten und Generalisten. Wir brauchen nämlich beides, ja. Also da irgendwie einen Austausch gut hinzukriegen und ich habe eine Idee im Kopf, wo ich tatsächlich denke, das täte vielleicht gut, vielleicht auch mit der aktuellen Situation, dass wir wirklich brutalen Fachkräftemangel haben, dass man eigentlich immer überlegt, ob nicht alle Menschen, die eine Führungsverantwortung im Unternehmen haben, zumindest einen bis vier Tage im Monat, mal an einer Stelle arbeiten, wo ihre Mitarbeiter sitzen, die keine Führungsverantwortung haben.

Götz Müller: Mhm. Ja. Um überhaupt zu wissen, was … und jetzt im Lean-Kontext haben wir da diesen Begriff Gemba, go and see, wie man es auch immer im Detail nennen will, aber das geht auch sehr oft verloren.

Hilke Sudergat: Ja, genau, also wirklich sich einmal in die Schuhe reinstellen, eben mit zwei Gründen, weil wirklich da oft dann ein Mangel herrscht. Ich kann also meine eigenen Lücken unter Umständen kompensieren. Ich habe aber auch eine Wertschätzung für diese Arbeiten, die getan werden und die ja teilweise auch nicht unbedingt sehr beliebt sind. Ich habe also wirklich während des Studiums sehr viel auch im Akkord gearbeitet und in Schicht gearbeitet und ich weiß heute, warum ich das nicht möchte, aber ich habe ein komplett hohen Respekt für die Menschen, die das tun. Ich verstehe auch die Motivation, warum sie das tun. Und da wirklich dafür zu sorgen, dass die das gut tun können, das kann man, glaube ich, am besten sich überlegen, wenn man selber da drinsteht in den Schuhen.

Götz Müller: Ja, und ich fand auch sehr spannend, also du hast die Person oder den Personenkreis Führungskräfte genannt, eben auch im Sinne von an der einen oder anderen Stelle eben Impulse setzen, auch Freiräume geben, den Mitarbeitern sich solche Fragen, wie du es angedeutet hast, auch mal nur dieses tief Luft holen und nicht gleich weiter Steine klopfen, auch wenn wir jetzt hier nur über drei Sekunden vielleicht reden, aber auch das ist eine Zeit und den Impuls dazu „Hey, kommt mal runter, schnauft mal tief durch, reflektieren wir mal unsere Situation.“, das passiert meiner Ansicht nach viel zu wenig und Führungskräfte können da auch, meiner Ansicht nach, wieder gestaltend wirken. Darum haben sie diese Rolle auch?

Hilke Sudergat: Ja, genau und dieses drei Sekunden durchatmen, ich habe gerade kürzlich tatsächlich eine Kommunikation gehabt, wo ich dann gesagt habe, ganz ehrlich, was ich tue, wenn einer mit einer Idee kommt, und das tue ich immer immer immer und immer zuerst: Ich frage mich immer zuerst, was ist gut an der Idee? Was mag ich an der Idee? Bevor ich anfange, zu überlegen, was steht der Umsetzung der Idee im Weg oder was fehlt ihr möglicherweise auch noch. Was fehlt ihr noch, dass man halt einfach so sagt: Okay, der Ansatz ist gut, wie kann ich den verbessern, gedanklich erstmal? Und dann zu überlegen: Was steht der Idee im Weg und warum nicht? Aber da kommen dann wirklich so viele Potenziale plötzlich rein, ja, und dann einfach wirklich nur mal durchatmen und zuerst denken: Was ist gut an dem, was ich da höre?

Götz Müller: Ja, und ich glaube, das sollte man sich als Führungskraft bewusst sein. Es sind auch bei einem selber nur die anderthalb Kilo graue Masse und der Tag hat auch für die Führungskraft nur vierundzwanzig Stunden und wenn halt bei den Mitarbeitern der Eindruck entsteht, und dann kommen sie mit den Ideen ja gar nicht mehr, so nach dem Motto „Geh nie zu deinem Fürst, wenn du nicht gerufen wirst.“, dann braucht man sich nicht wundern, wenn ich eine ideenlose Belegschaft habe.

Hilke Sudergat: Ja, genau. Und trotzdem, ich meine, ich muss manchmal jetzt auch die Führungskräfte wirklich auch mal anders beleuchten, weil ich schon den Eindruck habe, dass es manchmal fast leichter ist, zu Barbie oder zu Ken zu werden als zur idealen Führungskraft, weil da ja auch Poster aufgeklebt werden müssen, wie die ideale Führungskraft sein muss, wo ich auch manchmal sage: Och nee, ehrlich? Das muss auch nicht sein. Führungskräfte müssen eben halt auch situativ reagieren. Und wie sagte mal jemand Weises zu mir? Die gleiche Behandlung unterschiedlicher Menschen ist nicht Gerechtigkeit, das ist Gleichmacherei. Und unter dem Aspekt ist es halt auch so, im Miteinander Führungskräfte zu Mitarbeiter, dass sie eben auch sehr genau in der Regel hingucken: Wen haben Sie vor sich und wie agiere ich da?

Götz Müller: Gut. Jetzt würde ich gerne … also sehr spannende Aspekte, die ich im Vorfeld so nicht vermutet habe, aber trotzdem absolut wichtig und, ja, wie gesagt spannend … wenn ich jetzt Betroffener bin, in irgendeiner Form, und ich nehme wahr, bei mir im Unternehmen, egal, an welcher Stelle ich tätig bin, da passiert irgendetwas, was mir nicht hilft, was den anderen nicht hilft, was dem Unternehmen nicht hilft, was den Kunden nicht hilft. Was ist so deine Empfehlung, wenn ich mich gerade der Chef-Chef-Chef-Chef bin und hier den richtigen Hebel habe? Weil das nehme ich immer wieder wahr, Menschen wissen dann manchmal einfach nicht, was sie noch tun können, vielleicht haben sie sich schon die Finger verbrannt eben.

Hilke Sudergat: Ja. Das gibt’s ja auch öfter, dass Menschen sich dann nicht mehr trauen, weil sie eben sich tatsächlich mal verbrannt haben und böse wehgetan haben, in Anführungszeichen, und dann, ja, aus Schutzmechanismen wie auch immer trotzig reagieren, wütend reagieren, ablehnend reagieren, schweigen und damit ganz viel Schatz verloren geht. Was kann ich tun? Also ein bisschen Vorbild sein, ja, also auch, wenn ich eben keine Führungsverantwortung habe, kann ich auch Vorbild sein. Ich kann auch als Mitarbeiter Vorbild sein für das, was ich gut finde und dann kann ich natürlich über Strategien nachdenken: Was kann ich tun? Da sind wir ganz oft wirklich bei einem menschlichen Faktor, wo man sagt: Wie kann ich zum Ausdruck bringen, was ich ausdrücken möchte? Ja, und das ist ein Miteinander, ein, ja, ein Tanz ist vielleicht jetzt ein bisschen überzogenes Bild dazu, aber es gibt auch Möglichkeiten, das Ohr zu öffnen, damit man tatsächlich in einen konstruktiven Austausch kommt, ja, und auch für alle … betroffen ist ja immer, ich wollte noch mal fragen, was für ein betroffen hast du da im Blick? Die so also unter einem schlechten QM-System leiden, oder?

Götz Müller: Wäre eine Variante. Ich meine, ich habe jetzt kürzlich wieder so einen etwas gemeinen Spruch vom Stapel gelassen, den mir mal ein Controller gesagt hat, der hat mir die Frage gestellt oder einen Witz in den Raum gestellt: Was ist denn der Unterschied zwischen dem Controller und einem Terroristen? Der Terrorist hat Sympathisanten. Und mir ist damals sofort der Gedanke gekommen, auch ein Stück weit aus dem eigenen Erleben: Ja, man könnte statt Controller auch Qualitätsmanager manchmal schreiben.

Hilke Sudergat: Ja, das stimmt. Weil die halt immer mit den schlechten Botschaften auch kommen. Das ist so. Ja, sie können die Qualität nicht reinprüfen, aber sie kommen halt mit dem schlechten Botschaften und die Überbringer schlechter Nachricht werden historisch immer, klassisch gern geköpft.

Götz Müller: Genau. Und jeder, wenn es an die Tür klopft und ein Qualitätsmanager den Kopf reinsteckt, dann zieht jeder irgendwie so gefühlt selber den Kopf ein, „Habe ich wieder irgendwas, in Anführungszeichen, verbockt, warum steht jetzt bei mir vor der Tür?“, wenn ich nicht weiß, dass vielleicht das nächste Audit dran ist.

Hilke Sudergat: Ich glaube, deswegen bin ich manchmal auch so provokativ und sage, das kontinuierliche Verbesserungswesen gehört ins Qualitätsmanagement, ja, weil sie eben mit dem, was sie wissen und Erfahrungen haben und was sie sehen und kennen, eigentlich auch immer ganz vorne ihre Botschaften hintragen können und wieder konstruktiv sagen: „Hm, uns fällt auf dies und das und jenes. Also ein Beispiel, das ich tatsächlich öfter habe, dass Kunden mich fragen: „Wie sieht es eigentlich aus mit Kennzahlen? Was muss man da haben?“ Die Frage kommt, ja, und ich verstehe die Frage dann manchmal nicht und frage zurück und sage „Ja, was willst du mit der Kennzahl machen?“

Götz Müller: Das ist der entscheidende Punkt, genau.

Hilke Sudergat: Ja, genau und dann ganz witzig, also eine Situation, vielleicht mal am Beispiel erklärt, es gab eine Situation in einem Labor, wo die Mitarbeiter sagten: „Wir haben zu wenig Geräte, an denen wir arbeiten können, immer ist alles belegt.“ Die haben also die Laborfläche sich geteilt und immer war irgendwie alles voll und die Führungskraft sagte: „Mhm. Ich glaube das nicht.“ Und dann sagten die Mitarbeiter, ja, auch nachvollziehbar erstmal: „Wieso, ist doch klar, immer wenn ich dran bin, ist alles voll, das muss doch irgendwie stimmen.“ Und dann sagte die Führungskraft aber zurück: „Geht mal mittags um drei ins Labor.“ Ups. Da war Schweigen auf der anderen Seite und gar nicht böse. Weil es ist tatsächlich so, die Mitarbeiter haben in diesem Labor sehr früh morgens angefangen, zur gleichen Zeit und mittags um halb drei, drei hatten die ihren Arbeitstag tatsächlich auch erfüllt und sind dann in Feierabend gegangen. Es war also alles richtig, aber die Verfügbarkeit vom Gerät war da. So jetzt war die Führungskraft aber tatsächlich so, dass sie sagte: „Ich will dem nachgehen. Also wir dürfen ja wirklich keinen Engpass haben. Wir dürfen keinen Engpass in die Analysen kriegen, weil das ja die Freigaben auch stoppen würde und von daher gucken wir mal rein und gucken uns mal die Anlageneffizienz an, wie die ausgelastet ist.“ Brachte ihr einen schönen gezeigten Vogel aus der Produktionsnachbarschaft, die gesagt haben: „Was willst du mit einer Gesamtanlageneffizienz, was soll der Käse? Ich muss hier …wie viele Stückzahlen produziere ich, wie viele Flaschen fülle ich“ und so weiter. Und der hat sich aber trotzdem drangemacht hat, die Gesamtanlageneffizienz aufgezeichnet für genau einen Monat, weil das ein repräsentativer Zeitquerschnitt war und hat festgestellt, dass die Anlagen, um die es ging, zu einem Prozentsatz, und gar nicht über 24 Stunden, sondern einen Zeitraum von morgens um sechs bis abends um sechs zu ein bis sieben Prozent ausgelastet waren, also das konnte nicht der Engpass sein. Ja, das konnte wirklich nicht der Engpass sein. Und diese Kennzahl aber nur an einen Moment mal aufzunehmen und dann zu sagen: Wo stehe ich denn da eigentlich? Also dieses subjektive Empfinden, wir haben zu wenig Geräte und haben zu wenig Anlagen, umzusetzen in eine Kennzahl, das war dann halt auch der Schlüssel, mit dem dann wirklich Veränderungen möglich wurden, die in eine ganz andere Richtung geführt haben, aber die tatsächlich dem Laborablauf sehr gutgetan haben.

Götz Müller: Ja, das umreist schon im Grunde das, was ich mir halt als nächsten Punkt aufgeschrieben habe, eben, auch wie du es vorhin nachgefragt, hast Betroffener, und jetzt mal eben, weil ja unsere Überschrift auch Qualitätsmanagement heute ist, was können also Qualitätsmanager tun? Auch ein Stück weit vielleicht, um mit diesem, ja, Feindbild aufzuräumen? Der Qualitätsmanager ist nicht dein Feind, im Sinne von aller anderen.

Hilke Sudergat: Ja, genau. Also witzigerweise schadet das den, ich geh jetzt mal davon aus, das ist ein Qualitätsmanager mit einer Führungsverantwortung, wenn ich so antworte, ja, dass es jemand ist, der auch Mitarbeiter hat und das schadet manchmal nicht, wenn auch die Qualitätsmanager mal die Aufgaben der Mitarbeiter ausüben, weil das oft da auch, ja, viel mit Labor- und Papiertätigkeit zu tun hat und man unterschätzt, das, was da alles ankommt. Also ich hatte mal, in dem genannten Beispiel zum Beispiel, das Vergnügen, also nachdem die Anlageneffizienz damals feststand, einem Mitarbeiter hinterherzulaufen, was der macht. Der hat zwei Analysenaufträge gleichzeitig gemacht und hat für die anderthalb Stunden gebraucht und ich bin ihm hinterhergerannt und habe die Wege abgemessen. Und der hat in anderthalb Stunden geschlagene 1,7 Kilometer zurückgelegt.

Götz Müller: Oha.

Hilke Sudergat: Ja, mit einer Fehlerbreite von der Schrittlänge hier, aber so in der Größenordnung war das. Wenn man sich jetzt überlegt, dass man halt seine Mitarbeiter nicht dafür bezahlt, dass sie laufen, sondern dass sie halt tatsächlich irgendwie Ergebnisse produzieren sollen und dass über das viele Laufen ja auch, sag ich mal, eine Unruhe entsteht, dann ist das schon auch klar, dass es auch wieder eine Fehlerquelle, eine Fehlereintragsquelle sein kann und von daher war das ganz spannend, daran zu schrauben, aber das Gefühl, diesem Mitarbeiter hinterher zulaufen und zu sagen: „Mein Gott, müsst ihr viel laufen.“ Das war irgendwie auch gut und das hilft natürlich auch einem Qualitätsmanager, wenn er sich wirklich mal da reinsetzt, ja, und sich das angeguckt und guckt, was da getan ist, was da gemacht wird, indem er es selber macht und dann noch mal ein ganz anderes Empfinden dafür hat. Übrigens hat nach dieser Verbesserungsmaßnahme, gab es dann immer nochmal eine Kontrollmessung, gleicher Mitarbeiter, gleiche Situation und dann hat er für die gleichen Aufträge nur noch 50 Minuten gebraucht und ist auch nur noch 800 Meter gelaufen. Laufen musste er immer noch, das ließ sich nicht ändern auf die Schnelle, ja, das wäre ein Umbau gewesen, aber das, was er gelaufen ist, hat sich trotzdem deutlich reduziert und es war viel ruhiger, viel entspannter, dementsprechend auch viel konzentrierter in der Arbeit. Also wenn man mal fragt, Qualitätsmanager, ja, auch mal gucken in die Schuhe der Kundschaft, also wirklich, man hat ja auch interne Kunden, ja, und wirklich da in die Kundschaft reinzugehen und zu gucken, was machen die da eigentlich, weil dann kommen eigentlich die guten Ideen, wie man es verändern kann.

Götz Müller: Ja, und es kommen ja zwei Dinge zum Tragen, einerseits der Mitarbeiter in seinem, ja, nennen wir es einfach Prozess, im Prinzip sitzt er in einem Marmeladenglas und jetzt gibt es einen weiteren schlauen Spruch, wenn ich im Marmeladenglas sitze, kann ich das Etikett nicht lesen.

Hilke Sudergat: Genau, ja.

Götz Müller: Ich kann aber nur beurteilen, was im Marmeladenglas passiert, wenn ich mal reinsteige, also dieser Hinweis von dir: Geh mal rein in die Situation. Und dann aber, du hast die Chance, als Führungskraft, die Situation auch mal von außen zu betrachten und eben zu schauen: Was steht denn da eigentlich drauf? Was ist denn das, was zum Beispiel als Wertschöpfung im Marmeladenglas passieren soll und passiert das dann wirklich?

Hilke Sudergat: Ja, richtig und wie gesagt, ich sage mal, jetzt beim sich bewegenden Mitarbeiter, das ist ja schon so, Bewegung ist eben auch gesund und trotzdem muss es im Verhältnis stehen zu dem, was dann auch Tätigkeiten sind, die Ergebnisse liefern, nur Sitzen ist halt auch nicht gerade glücklich. Das passt ja auch dazu. Und was Qualitätsmanager noch machen können, ich glaube wirklich, die Prozesse transparent machen. Das heißt auch da Verbindungen herstellen, auch einladen, zum Gespräch, selber Teil vom Gespräch sein, das ist schon auch etwas ganz Wichtiges. Und was mir auch nahe liegt, was Qualitätsmanager machen, schon auch einen Schritt vorausdenken, wenigstens einen: Was hat das für Konsequenzen, wenn ich jetzt hier ändere? Also auch die Situation, hat glaube ich jeder von uns schon mal erlebt, dass eben eine Änderung stattfindet, die für einen Bereich, der die Änderungen initiiert hat, ganz super toll funktioniert, aber bei allen anderen fallen die Holzklötzen alle um. Und dann hast du plötzlich einen riesigen Schaden, weil man genau dieses Vorausdenken nicht gemacht hat: Was sind die Konsequenzen? Und dadurch, dass heute ja typischerweise in Matrixstrukturen gearbeitet wird, also alles sehr dicht miteinander vernetzt ist, muss ich mir klar sein, wenn ich an einem Knoten in diesem Netz zupfe, dann wackelt etwas mit. Und dadurch, dass die Transparenz eben heute gar nicht mehr so leicht zu geben ist, ist gar nicht klar, was passiert damit, Also auch da wieder die Frage: Wenn wir es bisher so gemacht haben und haben Ergebnisse geliefert, wer hat die denn eigentlich genutzt? Was passiert bei dem und wie nutzt er die, wie braucht er die? Dass also genau diese Verbindung von einem Knotenpunkt zum anderen Knotenpunkt, nicht in ein ganz starkes Schwingen und Schlingern gerät.

Götz Müller: Jetzt wirklich ganz gern noch eine, ja, Chance ergreifen, mit dir im Gespräch aus dem oder durch die Brille Medizinprodukte, Medizintechnik und dieser, doch im Vergleich zu anderen Dingen, recht starken Regulierung, sicher gewisse Beschränkungen bestehen, aber ich glaube eben auch gewisse Chancen sich daraus ableiten, weil die Regulierung an sich ja … nicht jemand mit dem falschen Bein aufgestanden ist und gesagt hat „Hey, jetzt, regulieren hier mal richtig rein.“, sondern das hat ja wieder seine Gründe und wenn ich wenn ich das mal reflektiere, erlebe ich es immer wieder, dass sich daraus dann eben Chancen im Übertragen auf gewöhnliche Branchen ergeben.

Hilke Sudergat: Mhm, ja. Ja, also du hast ganz recht, also das, was die Medizinproduktewelt mit Sicherheit auszeichnet, ist eine extrem hohe Regulation. Ich bin auch manchmal so provokativ, sie ist eindeutig höher als in der pharmazeutischen Welt. Vielleicht liegt es auch daran, dass die Medizinproduktewelt so sehr viel mehr heterogen ist. Also ich sage mal von der Wärmflasche bis zum MRT-Gerät oder anderen riesigen Geräten, ja, sind das alles Medizinprodukte und die zu regulieren, heißt tatsächlich eine Vielfalt von Regulationen zu haben, einen Wald von Regulationen zu haben, unterschiedliche Herausforderungen, dann noch die verschiedenen weltweiten Märkte, ja, die auch zu bedienen sind, die auch immer noch mal ihre eigenen Anforderungen haben. Von daher ist das eine riesige Herausforderung. Und in Europa haben wir natürlich jetzt gerade noch die Besonderheit, dass die, ja, das, was früher Direktiven waren, also zu folgende Empfehlungen und relativ dünne Pamphlete an Regelwerk auch, in der IVDD und in der MDD, also der Medical Device Direktive und für die In-Vitro-Diagnostika die entsprechende Direktive, heute eine Gesetzgebung haben, getriggert natürlich damals durch den Brustimplantat-Skandal, wo man sagt: Das möchten wir nicht mehr haben. Und wenn man dann über die Sinnhaftigkeit nachdenkt, muss man sagen, da ist schon ziemlich hoch geschossen worden, ohne zu überlegen, was das bedeutet. Wir haben im Moment einen Markt, der sehr im Umbruch ist, der sehr herausgefordert ist und wo es ganz, ganz schwierig ist, diese Umsetzung auch zu machen, ja. Also von daher ist der extrem stark und ich erlebe natürlich auch immer wieder, dass Menschen, die aus anderen Branchen in diesen Markt reinkommen, tatsächlich gar nicht verstehen, was da abgeht, warum das so reguliert ist. Aber auch innerhalb dieser Regulation liegen Unterschiede. Also manche Menschen wünschen sich dann eine genauere Anleitung, was sie wie tun sollen, wünschen sich also weniger Freiheitsgrade und andere wünschen sich mehr Freiheitsgrade und dazwischen drin ist die Welt zwischen „Ich habe gute Leitlinien, die ich für mich identifiziere, die ich für mich auch klar mache und dann kann ich den Raum zwischen drin in meinem Unternehmen gestalten“ und diesen Freiheitsgrad innerhalb im Unternehmen dann zu gestalten, sodass es für mein Unternehmen richtig ist und wertschöpfend wertvoll ist, das ist schon spannend. Die Übertragen in gewöhnliche Branchen, aber da würde ich eher wieder allgemeiner sagen, ich finde diese Qualitätsmanagementgedanken sind in allen Branchen hilfreich, weil sie sind ja ganz stark prozessgetrieben, also jetzt für die Medizinprodukte, vielleicht mal drei Standards, die tatsächlich so einen Rahmen bilden und nicht alle sind, aber wertvoll sind. Das ist das Thema Risikomanagement, dann das Qualitätsmanagementsystem ISO 13485 und das Thema Usability Engineering, also die Gebrauchstauglichkeit und da sind ganz tolle Sachen drin, wo ich wirklich sage: Ja, die können wir ab und zu mal brauchen. Also ich erinnere mich an eine Verkehrssituation bei uns, da fährst du auf einer Ampelkreuzung zu und die liegt in einer leichten Kurve und mit noch so einer Miniaturansteigung dran und wenn du hochfährst, siehst du nicht, wo die Pfeile lang führen. Das führt dazu, dass Leute manchmal, weil sie davon ausgehen, rechts abbiegen und geradeaus, ist rechts angeordnet, sich wundern, dass just an dieser Ampel links abbiegen und geradeaus auf einer Spur angeordneten, und rechts abbiegen eigen gesteuert. Ja, und dann stehen die sozusagen auf der falschen Spur und weil es auch noch optisch blöd angeordnet ist, musst du an der Stelle wirklich damit rechnen, dass die von der Rechtsabbiegerspur dir einfach zack in deine Spur reinfahren, weil sie ja eigentlich geradeaus fahren wollen. Ja, und das ist in unter Usability-Aspekten wäre das nicht möglich. Da würde man so ein Ding nicht zulassen, nicht erlauben. Also da gibt es so in die Allgemeinheit Branchen. Die Schwierigkeit ist, wenn du so wie ich und wahrscheinlich auch wie du, dich mit manchen Sachen beschäftigt, dass du so manche Alltagssituationen gar nicht mehr so gut aushalten kannst und sagst: Warum ist das eigentlich so ungeordnet und so ungesteuert? Ja, es könnte doch viel einfacher sein. Aber da gibt es ganz, ganz viele Ansätze, und ich sage mal auch viele Ansätze, die ich auch in meinem Unternehmen habe. Ich bin heute ja gar nicht verpflichtet, ein Qualitätsmanagementsystem einzuführen, aber ich tue gut daran, meine eigenen Prozesse so zu steuern und so anzulegen, dass ich sie jederzeit auch wieder gut nachführen kann, ohne mir groß zu überlegen, wie mach ich es heute.

Götz Müller: Ja, weil Qualitätsmanagement soll ja nicht etwas obendrauf sein, sondern im Grunde soll ich mir Gedanken machen, was mache ich denn, es vielleicht ein bisschen aufschreiben, geeignet abstimmen, es transparent machen und dann halt so tun, wie ich es mir mal überlegt habe und nicht dann doch ganz anders.

Hilke Sudergat: Genau. Tun und gegebenenfalls überprüfen und nachbessern oder verändern. Ja, und die Freiheitsgrade gibt es auch, also da ist man tatsächlich nicht gegängelt und das sind dann teilweise wieder interne Dogmen, die entstehen, weil eben irgendjemand sagt „Das muss so sein“, aber wenn man fragt „Wo steht denn, dass das so sein muss?“, kriegst du oft keine Antwort. Ganz, ganz häufig bist du da eben leer drin und von daher sag ich, ich bin ja begeisterter Qualitätsmanager, aber nur weil ich eben auch wertschöpfend nutze, weil ich eben die Sachen mache, die sinnvoll sind.

Götz Müller: Ja, und eben, was für mich da dahintersteckt, was ich da raushöre, immer wieder hinterfragen die Dinge.

Hilke Sudergat: Genau, ja. Das ist ein ganz wichtiges Element, dass du sagst „Wir machen das so“, also auch da in der Vergangenheit aus dem Labor heraus, hatten wir mal eine Veränderungssituation, die den Mitarbeitern zunächst mal nicht so leichtgefallen ist und ich habe dann gesagt: „Lasst es uns sechs Wochen machen, ja, und dann gucken wir, was wir nachbessern müssen.“ Und das war, das war genau der Punkt, einfach zu sagen „Lasst uns das doch mal sechs Wochen ausprobieren und dann gucken wir mal, wo wir stehen?“ und das ist bestimmt noch nicht der Weisheit letzter Schluss, aber ich glaube trotzdem, dass wir etwas Gutes damit anfangen, das zu tun und diese sechs Wochen Ausprobierzeit, das ist ja eigentlich so der klassische Veränderungszeitpunkt, dass man sagt: „Versuch es sechs Wochen lang durchzuhalten und dann guck, klappt das, klappt es nicht. Was muss anders werden, was muss besser werden?“ Und das gilt dann tatsächlich ja auch für alle Branchen und letztendlich auch für jede Persönlichkeit, die sich entwickelt, ja, diesen Veränderungsprozesse sind da extrem schwierig, weil wir uns eben oft nicht die Zeit geben, also zu sagen, ich probiere es für sechs Wochen oder ich probiere es für einen anderen Zeitraum, der gerade richtig sein mag und dann gucke ich, wie weit bin ich damit gekommen. Passt das, passt das nicht?

Götz Müller: Ja, ja. Das passt dann zu einem weiteren Spruch, den ich immer gerne zücke, weil er mir halt doch immer wieder begegnet nach dem Motto „Haben wir schon mal probiert, hat aber nicht funktioniert.“

Hilke Sudergat: Genau. Habe ich schon einmal probiert, hat nicht geklappt. Das ist wirklich auch der und das ist so das gebrannte Kind, das fasst einmal auf die Herdplatte, wo man sagt „Ja, das ist ganz gut, wenn du tatsächlich nicht mehr drauf packst“, ja, aber es gibt andere Dinge, wo man sagt „Komm, probier es nochmal, der erste Anlauf ist halt auch schwierig“ und dann kommt da der Klassiker, wie wir laufen gelernt haben, das haben wir auch nicht gelernt, weil wir eben aufgestanden sind und losgelaufen sind, sondern wir mussten fallen und wieder aufstehen. Genau.

Götz Müller: Ja, und wenn wir das, wunderbares Beispiel, wenn wir manches, was wir in Unternehmen tun, aufs Laufenlernen anwenden würden, wir würden heute noch auf dem Bauch kriechen.

Hilke Sudergat: Ja, genau. Das ist übrigens auch eine schöne Situation aus dem Qualitätsmanagementsystem. Die Leute haben oft Angst, Fehler zu machen, weil die Qualitätsmanagementsysteme so gestrickt sind, dass sie Fehler eigentlich nicht verzeihen. Das ist dieser Null-Fehler-Wunsch. Und eigentlich ist es tatsächlich nur … Fehler, klar, sind nicht besonders toll, macht man nicht besonders gerne, aber lass uns doch wirklich mal hingucken, warum ist der denn passiert, statt den schön zu reden.

Götz Müller: Ja, und man muss eben differenzieren, ist das jetzt ein Fehler in einem schon definierten Standardprozess, wo ich halt den Standard verlassen habe oder passiert es eben bei der Gestaltung, wenn ich etwas verändern will, weil ich merke, es geht so nicht weiter. Ich nehme da immer, und das passt ja jetzt in unserer Unterhaltung wunderbar, ich sag da immer, wenn ich den Wissenschaftler habe, der an seinem Labortisch steht, mit zwei Reagenzgläsern in der Hand und da etwas zusammenschüttet und er genau weiß, was passiert, dann schafft er keinen Wissen. Das heißt, nur durch Versuch und Irrtum schaffe ich letzten Endes neues Wissen, weil alles andere habe ich vorher schon gewusst.

Hilke Sudergat: Genau. Und das ist das, was Menschen im Qualitätsmanagementsystem manchmal wirklich glauben: Es muss so sein, es dürfen keine Fehler passieren. Fehler sind ganz schlimm. Wo man dann so ungern damit auch umgeht und eigentlich sag ich: Nee, das ist auch nicht das, was Behörden wollen. Die wissen, dass Fehler passieren, weil Fehler einfach wirklich etwas ganz Normales sind, die macht keiner mit Absicht. Keiner steht morgens auf und sagt „Toll, wenn ich heute fünf Fehler gemacht habe, war es ein guter Tag.“, sondern es stehen alle auf und wollen ihr Bestes geben. Aber der Umgang mit Fehlern, also wirklich dazu zu stehen, es zu dokumentieren, es sauber abzuarbeiten und dann zu sagen: Was habe ich jetzt daraus gelernt? War es einmalig? Überwachse ich es halt, um sicherzustellen, dass es wirklich einmalig ist. Ist es tatsächlich schon öfter vorgekommen? Manchmal findest du auch Dinge, wo du sagst: Eigentlich haben wir es schon öfter. Ich habe das meinem Vorgabedokument gefunden, wo ein neuer Mitarbeiter dann kam und er sagte: „Du hier so und so, ich weiß gar nicht, was ich tun soll.“ und ich habe drauf geguckt und gesagt „Ganz ehrlich, ich wüsste es auch nicht, lassen wir doch mal die anderen fragen, was sie bisher gemacht haben.“ Ja, was haben die anderen gemacht? Die haben immer in die Vorgängeraufzeichnung geguckt, wie es da gemacht wurde, statt mal einmal einen Ton zu sagen, dass im Vorgabedokument ein Fehler drin ist, einfach eine fehlende Information und da musst du dann erst draufkommen. Da bist du wirklich froh dann auch für die neuen Mitarbeiter, die einen neuen Blick darauf haben, weil die anderen halt sagen „Ich mache es wie immer, ich gucke halt, wie wir es vorher gemacht haben.“

Götz Müller: Ja, das kann ich nur absolut bestätigen, was du erzählst. Hilke, ich fand das eine sehr spannende Unterhaltung. Ich könnte mir definitiv sogar vorstellen, dass da noch mehr daraus entsteht, deshalb …

Hilke Sudergat: Gerne, ganz meinerseits.

Götz Müller: Deshalb danke ich dir für deine Zeit.

Hilke Sudergat: Ja, danke schön für deine auch, hat mich sehr gefreut, dein Gast zu sein.

Götz Müller: Das war die heutige Episode im Gespräch mit Hilke Sudergat zum Thema Prozesse im Qualitätsmanagement. Notizen und Links zur Episode finden Sie auf meiner Website unter dem Stichwort 278.

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Ich bin Götz Müller und das war Kaizen to go. Vielen Dank fürs Zuhören und Ihr Interesse. Ich wünsche Ihnen eine gute Zeit bis zur nächsten Episode. Und denken Sie immer daran, bei allem was Sie tun oder lassen, das Leben ist viel zu kurz, um es mit Verschwendung zu verbringen.

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