Kaizen 2 go 288 : Wertschöpfung in Service-Prozessen


 

Inhalt der Episode:

  • Warum sind Service-Leistungen ein wichtiger Teil des Geschäftsmodells auch für produzierende Unternehmen?
  • Wie sieht im Allgemeinen der Lebenszyklus einer Service-Leistung aus?
  • Welche Wechselwirkungen bestehen dabei mit dem Lebenszyklus eines Produktes?
  • Wie unterscheiden sich reine Service-Geschäftsmodelle von Produkt-getriebenen Geschäftsmodellen?
  • Was sind die Einflussfaktoren für Make-or-Buy-Entscheidungen?
  • Wie sollte man in Service-Leistungen einsteigen und diese ggf. ausbauen?
  • Welche grundlegenden Fragestellungen sollte man zuerst entwickeln und betrachten, bevor man nach Antworten darauf sucht?
  • Welche Rückwirkungen ergeben sich daraus wieder auf das Geschäftsmodell von produzierenden Unternehmen?

Notizen zur Episode:


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(Teil)automatisiertes Transkript

Episode 288 : Wertschöpfung in Service-Prozessen

Herzlich willkommen zu dem Podcast für Lean Interessierte, die in ihren Organisationen die kontinuierliche Verbesserung der Geschäftsprozesse und Abläufe anstreben, um Nutzen zu steigern, Ressourcen-Verbrauch zu reduzieren und damit Freiräume für echte Wertschöpfung zu schaffen. Für mehr Erfolg durch Kunden- und Mitarbeiterzufriedenheit, höhere Produktivität durch mehr Effektivität und Effizienz. An den Maschinen, im Außendienst, in den Büros bis zur Chefetage.

Götz Müller: Heute habe ich Thomas Baumann bei mir im Podcastgespräch. Er ist After-Sales-Experte, speziell im produzierenden Gewerbe, Hallo Herr Baumann.

Thomas Baumann: Hallo, schönen guten Tag, Herr Müller, grüße Sie.

Götz Müller: Ja, schön, dass Sie heute dabei sind. Jetzt habe ich schon ein kurzes Stichworte zu Ihnen gesagt, aber stellen Sie sich gern nochmal den Zuhörern ein bisschen intensiver vor.

Thomas Baumann: Okay, vielen Dank. Ja, ich bin inzwischen über 20 Jahre im After-Sales-Service, da habe ich irgendwann mal Pech gehabt, nein, Spaß beiseite, das ist für mich die schönste Disziplinen im produzierenden Maschinenbau-Umfeld. Ich habe über die Jahre hinweg eine klassische Ausbildung von Facharbeiter bis zum Bereichsleiter After-Sales-Service durchgemacht und kenne demzufolge alle Hierarchien aus eigener Erfahrung heraus sehr gut. Und in Unternehmungen war ich sowohl im Konzern, ob das Amerikaner gewesen sind, Asiaten oder auch Schweden bis zum mittelständischen Hidden Champion querbeet über die verschiedensten Branchen hinweg und von daher, glaube ich, dass ich einen ganz guten Einblick in die verschiedenen After-Sales-Service-Einheiten dieser unterschiedlichen Gewerke habe.

Götz Müller: Mhm ja, jetzt haben wir als Titel der Episode Wertschöpfung in Serviceprozessen. Ich glaube, da kommt schon deutlich zum Ausdruck, warum eben beziehungsweise das ist ja so die Kernaussage, die dahintersteckt, Serviceleistung ist ein wichtiger Teil des Geschäftsmodells, eben auch für produzierende Unternehmen, die jetzt vermeintlich ihr Hauptgeschäft mit dem machen, was sie herstellen und da aber eben die Frage an Sie als Fachmann: Ja, was habe ich denn davon, wenn ich auch die Servicebrille aufsetze?

Thomas Baumann: Okay. Ja, das ist eine spannende Frage. In der Tat ist es so, dass viele dieser Unternehmungen, ob klein oder groß, über die vielen Jahre der Hochkonjunktur hinweg ihre Maschinen, Anlagen, Geräte, Werkzeuge wie geschnitten Brot verkauft haben, aber leider Gottes hat sich das mit der Coronakrise auch total gewendet und wenn sie heute eben das Thema auf das Thema After-Sales-Service mitbedienen, dann können sie ihre Stammkundschaft über den kompletten Live Cycle von der Maschine und einer Anlage hinweg ungeheure Mehrwerte und Möglichkeiten bieten, woraus sie ein hoch profitables Geschäftsmodell etablieren können.

Götz Müller: Ja. Sie haben es schon gesagt, Life Cycle, Lebenszyklus. Jetzt betrachtet man ja primär, glaube ich, wenn man als erstes den Begriff hört, denkt man halt an den Lebenszyklus der Maschine an sich. Und ich glaube aber, das ist jetzt meine Erfahrung, und da nehme ich aber gern natürlich mit, wie Sie das erleben, ich glaube, wenn man halt den Serviceteil mit betrachtet, dann kann man allein diesen Lebenszyklus noch ein ganzes Stück verlängern, oder?

Thomas Baumann: Ja, natürlich. Also der klassische Vertriebsmitarbeiter hat natürliche ein Live Cycle bis zum Verkauf der Maschine vielleicht von einem Jahr, aber der After-Sales-Service-Betreuung, die geht oftmals zwanzig, fünfundzwanzig oder bis dreißig Jahre und über diesen Zeitraum hinweg hat man natürlich Touchpoints, die man da bedienen kann. Das fängt bei der Reparatur an, geht über die Wartung und die Sicherheitsprüfung, Kalibrierung und und und. Wenn sie diese Klaviatur eben exzellent bedienen, dann können sie da regelmäßig Kundenzufriedenheiten generieren, die der Vertrieb nicht mehr hat.

Götz Müller: Ja, weil ich glaube eben auch, zumindest klang das für mich ganz deutlich an eben, ich biete da einem Kunden noch einen Mehrwert und dadurch entsteht auch wieder Wertschöpfung, die ich halt ohne nicht hätte, so nach dem Motto „Hier hast du eine die Brezel, mit Essen ist es vorbei“.

Thomas Baumann: Stimmt und im Maschinenbau geht es da eben noch viele, viele Jahre wieder. Da geht es dann um das Thema Predictive Maintenance, da geht es vielleicht um Retrofits, um Upgrades, um Modernisierungen bis schlussendlich zu Verlagerung oder eben auch zur Verschrottung der Anlage. Und dann braucht man natürlich irgendwie Möglichkeiten, diese Touchpoints eben zielgenau zu bedienen und dann eben hochprofitabel Umsätze und Deckungsbeiträge zu generieren.

Götz Müller: Mhm. Jetzt da nochmal nachgefragt, was ergeben sich dann zum Beispiel auch für Wechselwirkungen, mit dem, nennen wir es mal klassischen Produkt-Lebenszyklus, wenn ich also den Service-Lebenszyklus neben den Produkt-Lebenszyklus stelle?

Thomas Baumann: Ja, also schauen Sie, wenn jetzt Service-Techniker viele, viele Jahre eine Anlage beim Kunden XY, vielleicht in den USA bedient, serviciert, wartet, repariert und und und. Dann hat er natürlich totale Kenntnisse, die viele nicht haben, und genau diese Detailkenntnisse können wieder in die Produktion, in die Entwicklung und Konstruktion dieser Anlage hineinspiegeln und dem Unternehmen wertvolle Tipps und Hinweise geben, wie wir so eine Anlage eben noch besser aufstellen und vielleicht noch eine höhere Lifetime oder Produktivität generieren können.

Götz Müller: Ja, und ich glaube, das kommt mir jetzt spontan in den Sinn, und wenn ich das jetzt innerhalb des Unternehmens nutze, dann kriege ich, glaube ich, von diesem Service-Techniker auch viel mehr Einblick in das, was ein Kunde möglicherweise braucht, was jetzt der klassische Vertrieb, der halt die Anlage verkauft und dann endet für ihn das Geschäft an der Stelle, während der Service-Techniker, wie Sie es angedeutet haben, ja manchmal Jahrzehnte das DIng begleitet und da eine Rückmeldung, eine Rückkopplung kriegt, die jetzt der reine Produktvertriebler nie hätte, oder?

Thomas Baumann: Ja natürlich, es gibt ja auch diesen Spruch, der da heißt: Die erste Maschine verkauft der Vertrieb, die zweite und dritte dann der After-Sale-Service. Ist natürlich überspitzt formuliert, aber in der Tat ist es natürlich so, wenn Sie einen Kunden lange Jahre exzellent im After Sales betreuen, dann hat der Kunde bei der Neuanschaffung eigentlich gar keine Wechselmotivation, sondern er weiß ganz genau, dass er leistungsfähigen Partner zur Seite hat, der ihm im Falle eines Falles hilft. Wenn Sie heute an den Automotive-Sektor denken, dann gibt es dort üblicherweise Reaktionszeiten von zwei Stunden und weniger. Warum? Weil der Automobilhersteller eben darauf vertrauen kann und darf und muss, dass eben seine Anlage am besten 24/7, 365 Tage im Jahr arbeitet und da zählt jede Stunde. Wenn Sie dort einen Partner haben, der eben das zuverlässig und kompetent einhält, dann ist das die beste Verkaufsentscheidung für die nächste Anlage.

Götz Müller: Ja, ja. Und jetzt gibt es ja aber trotzdem Unternehmen, die reine Service … trotzdem ist eigentlich falsch ausgedrückt, aber es gibt Unternehmen, die reine Service-Geschäftsmodelle machen und da lese ich jetzt ein Stück weit raus, die übernehmen ja den Service von dem Herstellern, der das nicht machen will, wo man fast sagen könnte, wie wir jetzt schon mal in den letzten Minuten diskutiert haben, der verschenkt ja Potential.

Thomas Baumann: Der Hersteller in jedem Falle, ja.

Götz Müller: Wie unterscheidet sich dann aber nochmal so ein Klassisches, nein, so ein reines Service-Geschäftsmodell von einem Produkt getriebenen Geschäftsmodell?

Thomas Baumann: Das produktgetriebene Geschäftsmodell hat natürlich eine höhere Affinität zu dem eigentlichen Produkt und der reine Service-Dienstleister, die sind natürlich, ich möchte mal sagen, etwas oberflächlicher aufgestellt. Die können die Basics alle bedienen, ja, gar keine Frage, aber wenn es dann ins Detail geht, in die Verfahrenstechnik, in die Röntgen-Technologie, in die Chemie und und und, dann sind natürlich dort Grenzen gesetzt und der Hersteller logischerweise hat über viele, viele Jahre hinweg dieses verfahrenstechnische Knowhow aufgebaut und kann das bei Bedarf dann kurzfristig bereitstellen.

Götz Müller: Und so eine weitere Frage, die mir da im Grunde immer durch den Kopf schießt und von der ich weiß, dass sie dem Unternehmen halt gestellt wird, ist diese klassische Make-or-Buy-Entscheidung, also kaufe ich den Service ein oder leiste ich ihn halt selber. Ich meine, losgelöst von dem, was wir jetzt gerade diskutiert haben, dass ja im Grunde da etwas verschenkt wird, aber jetzt nehmen wir mal an, okay, die Entscheidung ist halt so oder es wird ignoriert, was ich da verschenke, und trotzdem mache ich ja diese Make-or-Buy-Entscheidung, hoffentlich. Was sind aus Ihrer Sicht die Einflussfaktoren? Zum Beispiel aus der Sicht des Einkäufers, wenn ich einmal auf meine Ergänzung des Geschäftsmodells gucke oder wenn ich halt nur auf das fremde Produkt gucke als Nutzer.

Thomas Baumann: Also wenn man das aus Sicht des Betreibers anschauen, dann sind das natürlich auch hier wieder die typischen Verdächtigen wie die notwendige Kapazität, habe ich denn die? Habe ich eine Instandhaltung, die das grundsätzlich mal leisten kann. Also wenn Sie hier im produzierenden Umfeld unterwegs sind, dann gibt es halt nicht selten Instandhaltungsabteilungen mit dreißig, vierzig Mitarbeitern und auch mehr, aber diese dreißig, vierzig Mitarbeiter müssen üblicherweise im Dreischicht-Betrieb das komplette Equipment dieser Produktionseinrichtung instandhalten. Das fängt bei der Elektrik an, geht über die Rolltore, Gabelstapler bis vielleicht zur Hydraulik oder Druckluft. So, und wenn dann dazwischen eine Anlage steht, die hochkomplex ist und vielleicht eine Spezial- Technologie abbildet, wie viele ich röntgen oder prägen oder etc., dann sind dieser logischerweise Grenzen gesetzt. Zum einen hinsichtlich des verfügbaren Knowhows, zum anderen aber auch aufgrund der schieren Verfügbarkeit. So, und an der Stelle wird der übliche Einkäufer sich für das Thema Produktionsabsicherung entscheiden und vermutlich auf den Hersteller dann zurückgreifen und sagen: Okay, die Expertise ist mir da wichtig, weil eben das oberste Gebot die Produktivität der Anlage ist.

Götz Müller: Mhm. Ja, und ich glaube, ich habe dann halt jemanden, von dem ich sagen kann, der kann das im Schlaf, für den ist es das Tagesgeschäft, während es für mich als Nutzer, Betreiber eher so ein lästiges Anhängsel ist, oder?

Thomas Baumann: Stimmt. Also ich sag€ mal so, die
Einstiegsaufgaben, die werden vielfach auch durch die eigenen Instandhaltung erledigt, aber wenn es dann ins Detail geht, wenn dann eben Spezial-Knowhow notwendig ist, oder wenn verschiedene Qualifikationen und Verfügbarkeiten nachgewiesen werden müssen, dann ist es üblicherweise so, dass sie Instandhalter dann auf den Hersteller zurückgreifen.

Götz Müller: Mhm, gut. Wenn wir jetzt mal die Brille des Herstellers aufsetzen und uns da mal Gedanken machen: Lohnt sich, in Anführungszeichen, was aber ja eigentlich keine Frage mehr ist, lohnt sich der Einstieg in eigene Service-Leistung? Was sind dann die Fragen, die man sich am Anfang stellen sollte und wenn man da eine positive Entscheidung für die eigene Service-Leistung findet, was sind dann so die ersten Schritte, die man geht, um eben neben dem reinen Produktgeschäft auch in das Servicegeschäft einzusteigen?

Thomas Baumann: Mhm. Ja, ich denke das ist eine klassische strategische unternehmerische Entscheidung, die man da treffen muss. Also, wenn ich angenommen heute als Premiumhersteller am Markt etabliert bin, dann komme ich eigentlich nicht umhin, auch einen qualitativ hochwertigen After-Sales-Service anzubieten. Das erwarten meine Kunden eben über diese vielen, vielen Jahre hinweg. Und dann gilt das eben, zu hinterfragen, was möchten denn meine Kunden, also so im Hinblick von einem klassischen Service-Design? Wer ist mein Zielkunde, was sind deren Erwartungshaltungen und wo habe ich dann eine Überdeckung und auch eine Schnittstelle, die ich dann zuverlässig bedienen kann? Und dann gilt es eben die Überlegung zu treffen, wie mach ich's, wo mach ich’s und welche Tools und Aufbau- und Ablauf-Organisation brauche ich schlussendlich, um diesen Markt eben kompetent bedienen zu können? Und wir sprechen heute ja über Lieferketten, wenn Sie als mittelständisches Unternehmen ihre Anlagen weltweit liefern, dann haben Serviceverpflichtungen in Asien und auf der anderen Seite haben Sie vielleicht auch Serviceverpflichtungen in Amerika und die müssen Sie dann zuverlässig 24/7, 365 Tage im Jahr erstklassig erreichen.

Götz Müller: Gut. Und ich glaube, zumindest kenne ich das ein oder andere Unternehmen indirekt, das jetzt vor der Entscheidung steht oder zum Teil auch so realisiert, okay, ich kaufe mir da diesen Teil zu, also ich greife auf Dritte zurück, um meinen Service vor Ort zu leisten. Das sind dann also nicht meine eigenen Mitarbeiter, sondern es sind eingekaufte, ja, Dienstleistungen. Was ist da so Ihre Erfahrung und zu was raten, wobei ich da die Antwort, glaube ich, schon fast kenne, zu was würden Sie jetzt einem Unternehmen raten? Diese Service-Leistung gegebenenfalls outzusourcen oder vielleicht eben damit zu starten und dann irgendwann mal zu sagen, jetzt hat das einen Umfang, wo es wieder einen Insourcing-Sinn macht oder vielleicht auch irgendwelche Kombinationen daraus?

Thomas Baumann: Das hängt im Wesentlichen von der Installed-Base ab, also wir betrachten immer die Assets oder die Anlagen im Feld. Also angenommen, Sie haben eine Anlage in Asien stehen, dort einen Servicehub hochzuziehen mit der Infrastruktur, mit der Qualifikation und Ausbildung der Mitarbeiter, wird logischerweise wenig Sinn machen. Da werden Sie sicherlich Kooperationen suchen oder Freelancer beschäftigen, die sie da einsetzen können, von Europa aus oder am besten direkt vor Ort in der Kooperation mit einem lokalen Unternehmen dort. Auf der anderen Seite haben Sie vielleicht ein großes Cluster in Asien, Türkei vielleicht, in Izmir oder wo auch immer, und dann macht es sehr wohl Sinn, eine eigene Service-Organisation hochzuziehen, einen eigenen Servicehub zu begründen oder aber eben hier immer wieder bei Bedarf Servicetechniker beizusteuern. Also eine Kenngröße für mich wäre die Installed-Base und eine zweite Kenngröße wäre natürlich auch, wo möchte ich denn mittel- und langfristig mit einem Service hin. Also wenn wir über Services sprechen, den haben wir klassischerweise in einem VDMA oder einem mittelständischen Unternehmen einen Anteil von 20% am Gesamtumsatz. Aber wir haben natürlich auch eine Marge, die zwei- bis dreimal höher ist als im klassischen Neumaschinengeschäft und wenn ich hier mein Business eben der absichern möchte gegen diese Konjunkturellen Aufs und Abs, dann macht es durchaus Sinn, einen großen After-Sales-Anteil im Umsatz und in der Marsche dann eben zu passieren. Und dann wäre es logisch, dass ich in eine eigene Organisation gehe.

Götz Müller: Ja, und ich höre auch indirekt auf jeden Fall raus, ich sollte mir bei meinem Gesamtgeschäftsmodell auch Gedanken machen, zum Beispiel über Märkte, dass es halt im Extremfall gar nichts bringt, wenn ich jetzt einen einmaligen Verkauf mache in irgendeinem Land, wobei aber diese Installed-Base nicht habe und vielleicht auch mit einer etwas intensiveren vorausschauenden Marktbetrachtung erkenne, da werde ich außer diesem einen Ding vielleicht nie wieder etwas verkaufen und dann binde ich mir hier etwas ans Bein, wo ich mich vielleicht besser woanders konzentriert hätte.

Thomas Baumann: Stimmt. Aber da gibt es Gott sei Dank heute smarte digitale Lösungen, um eben nicht in jedem Fall einen Servicetechniker auf die Reise zu schicken. Also wir sprechen heute von Augmented-Reality-Lösungen oder Predictive Maintenance, wo Sie datengetriebene Services und Dienstleistungen anbieten können, ohne dass heute ein Servicetechniker wegen einer Anlage nach Adelaide in Australien fliegen muss, um dort mit einem großen Zeitversatz und auch wieder einem gewissen Kostendruck eine Anlage instand setzen zu können. Da können Sie heute im Grunde genommen sich per Knopfdruck auf die Anlage aufschalten und dann an der ein oder anderen Stelle Abhilfe schaffen.

Götz Müller: Mhm. Ja, ich glaube, da bringt die Digitalisierung, auch wenn sie vielleicht an der Stelle gar nicht unter der Überschrift Digitalisierung, wie man sie sonst manchmal versteht, läuft, hat da extreme Chancen.

Thomas Baumann: Ja, absolut, gerade in der Corona-Zeit war das oftmals der einzige Ansatzpunkt, um Anlagen irgendwo in Betrieb nehmen zu können, ohne dass sie dort Inbetriebnehmer vor Ort haben konnten. Also das hat man da an der ein oder anderen Stelle wirklich mit einer virtuellen Inbetriebnahme über solche digitale Tools abgebildet. Und siehe da, auch solche Lösungsansätze sind durchaus denkbar und das hätte man sich vor Corona schlichtweg gar nicht vorstellen können.

Götz Müller: Ja, das hat mir jetzt vor kurzem in einer anderen Podcast Episode mit jemandem, der CE-Erklärungen erstellt, der hat mir im Grunde etwas Identisches erzählt, dass er sich selber nicht vorstellen konnte, ohne quasi Hand an die Maschine, so Hand aufzulegen, also direkt vor Ort zu sein, das zu machen und da musste dann ihnen schon, glaube ich, zumindest kam es bei mir so an, schon fast der Kunde davon überzeugen, dass es geht und hinterher, oh Wunder, oh Erstaunen, hat es funktioniert und für ihn hat das natürlich auch ein unheimliches Potential zugelassen, weil er halt nicht mehr einfach viele Stunden auf der Straße verbracht hat.

Thomas Baumann: Natürlich, gar keine Frage. Unter ökologischen Gesichtspunkten ist das allemal ein sehr, sehr erstrebenswerter Ansatz und ja, ich gebe Ihnen auch vollkommen recht, das bedeutet an der einen oder anderen Stelle durchaus einen Paradigmenwechsel und man darf bei dem Betreiber, bei dem Kunden oder bei dem Gegenüber auch für Akzeptanz werben, um solche Lösungsmöglichkeiten einsetzen und auch zu dürfen.

Götz Müller: Was sind denn so die grundlegenden Fragestellungen, wie man für sich selber erstmal die Fragen, glaube ich, entwickeln sollte, damit man anschließend dann nach Antworten sucht, wenn man das eigene Produktgeschäftsmodell in Richtung Service erweitern will?

Thomas Baumann: Also die wichtigste Frage ist sicherlich, wo möchte ich dich denn hin? Bin ich Premium-Anbieter, dann muss ich eben auch entsprechend auf gleichem Niveau einen entsprechenden After-Sales-Service anbieten, bin ich aber im Low-Cost-Bereich unterwegs, dann bin ich dort mit dem Premium-Service sicherlich falsch unterwegs, weil das das Markenbild dann an der Stelle nicht hergeben würde. Also zum einen die Positionierung im Markt und auch den Markenauftritt, den ich als Unternehmen einem Kunden anbieten möchte. Und das zweite ist, wie gehe ich denn mein Geschäft an, möchte ich diese wirtschaftlich stabilen Erträge mitnehmen oder fokussiere ich mich dort eben ausschließlich auf den Maschinenabsatz, indem ich neue Produkte in den Markt hineinbringe. Und wenn man da eine klare Aussage hat und da auch eine Aussage, die mittel- und langfristig Wirksamkeit haben soll, dann kann man da im zweiten und dritten Schritt daraus ableiten, wer sind meine klassischen Zielkunden und was ist denn auch deren Erwartungshaltung. Muss ich einen Service 24/7 ableisten oder reicht es, wenn ich nur einmal in 12 Monaten dort vorbeischaue und wie so eine TÜV-Prüfung dann ableiste. Wenn ich nur so eine TÜV-Prüfung ableisten muss, dann kann ich auch selbstverständlich gerne auf Dienstleister zurückgreifen oder Freelancer oder wo auch immer, aber dort, wo eine hohe Technologie und ein hoher Anspruch und eine hohe Uptime von einem Betreiber erwartet wird, kommt man schlussendlich nicht um qualifiziertes eigenes Personal umhin. Und da auch an der Stelle, Service-Business ist in meiner Erfahrung absolut People Business. Wenn Sie da Service-Techniker rausschicken, die technisch sehr gut sind, aber die Lösung nicht verkaufen können, im wahrsten Sinne des Wortes, wird der Kunde lange nicht so zufrieden sein, wie wenn der Service-Techniker auch seine Aufgaben entsprechend erklären und erläutern kann.

Götz Müller: Ja, und dann glaube ich, das, was ich vorhin schon angedeutet habe, eben auch wieder diese Rückkopplung, dass das Geschäft nicht erledigt ist, wenn er dort wieder wegfährt, sondern dass er bitte eben auch seine gemachten Erfahrungen ins Unternehmen zurückspeist, im Sinne von, da drückt denen ständig der Schuh, da müssten wir doch mal ein neues Produkt entwickeln. Das glaube ich und ich habe das … mir hat das jemand aus einem klassischen einfachen Werkzeugmaschinen, also Bohrmaschinen und was es sonst alles gibt im Handwerkskontext, da war die spannende Aussage, dass über den Vertrieb, da ist jetzt vielleicht der Service-Anteil nicht so hoch wie der Neumaschinen-Anteil, aber dass über den Vertrieb unheimlich viel Feedback ins Unternehmen reingeht und das eine Beispiel war so etwas Triviales wie die Länge des Netzkabels, wo ein, zwei Meter unter Umständen einen riesigen Unterschied machen, weil ich schlichtweg keine Verlängerungskabel brauche.

Thomas Baumann: Mhm, absolut, ja. Deswegen machen wir das typischerweise heute so, dass wir die Service-Techniker mit einem digitalen Tool unterstützen, sei es ein Ticket-System sei es eine Field-Service-Lösung, wo eben diese Softskills und Informationen hinterlegt werden. Also es wäre fatal, wenn ein Service-Techniker heute rausfährt, löst einen Garantiefall, wie auch immer, und würde dann nicht die Chance nutzen, die Kundenzufriedenheit abzufragen, zu hinterfragen, wo gibt es Verbesserungspotentiale, um diese Daten in einer vorgefertigten Art und Weise im System einzutragen und, wenn man selbstverständlich auch gern die Chance nutzen kann, um ein Cross- und Up-Selling anzubieten. Das ist nichts anderes, wie wenn Sie heute mit Ihrem Auto in die Werkstatt gehen und der Werkstattmeister empfiehlt Ihnen, dass Sie neue Bremsscheiben brauchen oder was auch immer. Und dort haben Sie eine sehr, sehr hohe Akzeptanz und auch eine extrem hohe Trefferquote. Dort entscheidet sich dann eben der Vorteil eines jeglichen Unternehmens.

Götz Müller: Ja, und es ergibt sich einerseits eben mögliches Neugeschäft und ich habe diese Rückkopplung, was brauchen die Kunden da draußen wirklich. Weil, glaube ich, dieser Servicetechniker im direkten Kontakt mit dem Betreiber steht, während vielleicht der klassische Vertriebsmitarbeiter eher in Kontakt mit dem Einkäufer steht und die beiden, ich will nicht sagen, maximal von der Nutzung des Geräts der Anlage entfernt sind.

Thomas Baumann: Stimmt ganz genau.

Götz Müller: Und dann unterhalten sie sich da zwei, im Extremfall Nichtwissende über eine Sache, die aber für das eigentliche Geschäftsmodell das Betreibers ganz entscheidend sein kann.

Thomas Baumann: Ja, und genau deswegen trainieren wir unsere Servicetechniker in sogenannten Rollenspielen inhouse, um sie da zu präparieren, damit sie solche, ich sage mal Hürden, draußen im Feld elegant umschiffen können, um dann eben dem Kunden den Mehrwert mitgeben zu können, der einfach an der Stelle notwendig ist. Also heute nur mit dem Schraubenschlüssel unterwegs sein, das wäre sicherlich am Ziel vorbeigeschossen.

Götz Müller: Ja. Und wie Sie es auch angedeutet haben, das ist aber nichts, was ich in der Regel so voraussetzen kann, sondern da muss ich halt investieren, im wahrsten Sinne des Wortes, in die Weiterbildung, Fortbildung, meiner Service-Techniker, die jetzt mit der rein Technik gar nichts zu tun haben.

Thomas Baumann: Stimmt. Also der Anteil an Softskills nimmt in den jährlichen Trainings stetig zu und hat auf der anderen Seite natürlich auch einen riesigen Hebel. Also es gibt Studien, wenn Sie die Service-Techniker mit solchen Upselling-Methoden vertraut man, können Sie Ihren Umsatz um 15-20% steigern. Wenn Sie das dann mit der Marge vergleichen, ist das dann ein unwahrscheinlicher Erfolgsfaktor.

Götz Müller: Ja, das ist dann fast schon, wie das, was man sagt, jeder Euro im Einkauf schlägt eins zu eins auf die Bilanz durch.

Thomas Baumann: Ja, in der Tat.

Götz Müller: Gut, wenn wir jetzt zum Abschluss noch mal das klassische Geschäftsmodell, nenne ich es immer, von produzierenden Unternehmen betrachten, was sind denn so die Rückwirkungen, die man eben sich immer wieder, glaube ich, aktiv ins Bewusstsein rufen sollte, damit so etwas nicht, ja, wie soll man es ausdrücken, damit so etwas nicht vergessen wird oder verloren geht.

Thomas Baumann: Okay. Spannende Frage. Ja, ich glaube, wenn ein Unternehmen darauf aus ist, die Chancen im Markt zu holen, die sich dort per se ergeben, dann kommt der Unternehmer und die Unternehmerin heute nicht an einem After-Sales-Service vorbei. Das ist die eine Geschichte und die zweite Geschichte, die vielleicht noch viel interessanter ist, es gibt ja auch Unternehmungen, die dann sagen, okay, ich serviciere nicht nur meine eigenen Geräte, Maschinen und Werkzeuge, sondern ich gucke noch ein bisschen über den Tellerrand hinaus und kümmere mich auch um diese Fremdmarken. Und wenn man so ein Thema dann angeht, dann hat man natürlich einen unwahrscheinlichen Wachstumshebel, weil ich dann ein adäquates Mittel in der Hand habe, um meinen Wettbewerb eins zu eins auszuschalten.

Götz Müller: Ja.

Thomas Baumann: Und dann haben Sie eine riesige Steilvorlage und können damit über die nächsten Jahre hinweg Ihren Absatz skalieren und Sie wissen heute schon, was Sie in zwei, drei, vier, fünf Jahren an Neugeräten in den Marktplan bekommen werden mit einem ungeahnten Erfolgshebel.

Götz Müller: Weil ich da unter Umständen den Bedarf eben diesen Tick früher erkenne, wie der Mitbewerber, obwohl seine eigene Maschine ist.

Thomas Baumann: Stimmt. Sie nehmen den Wettbewerber die komplette Flotte ab.

Götz Müller: Und weil ich halt eben über den Serviceweg schon einen dicken, ziemlich dicken Fuß in der Tür habe.

Thomas Baumann: Eben und dann hat der Betreiber schlussendlich gar keine Veranlassung hier die Marke zu wechseln, der wird Ihnen über die nächsten Jahre hinweg treu ergeben sein und Ihre neuen Produkte wie geschnitten Brot erwerben.

Götz Müller: Ja. Gut, das war jetzt ein wunderbares Schlusswort, Herr Baumann, ich danke Ihnen für Ihre Zeit, für die interessanten Impulse, die man ebenso aus dem klassischen, produzierenden Gewerbe raus vielleicht gar nicht so betrachtet, aber trotzdem oder nicht nur trotzdem, sondern genau deshalb, eben sehr wertvoll sind. Deshalb noch mal vielen Dank.

Thomas Baumann: Ganz herzlichen Dank für das nette Gespräch.

Götz Müller: Das war die heutige Episode im Gespräch mit Thomas Baumann zum Thema Wertschöpfung in Service-Prozessen. Notizen und Links zur Episode finden Sie auf meiner Website unter dem Stichwort 288.

Wenn Ihnen die Folge gefallen hat, freue ich mich über Ihre Bewertung bei iTunes. Sie geben damit auch anderen Lean-Interessierten die Chance, den Podcast zu entdecken.

Ich bin Götz Müller und das war Kaizen to go. Vielen Dank fürs Zuhören und Ihr Interesse. Ich wünsche Ihnen eine gute Zeit bis zur nächsten Episode. Und denken Sie immer daran, bei allem was Sie tun oder lassen, das Leben ist viel zu kurz, um es mit Verschwendung zu verbringen.

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