Kaizen 2 go 296 : Portfolio-Priorisierungen und der Transfer in den Lean-Kontext


 

Inhalt der Episode:

  • Eine Herausforderung im Lean-Kontext ist immer wieder auch die Priorisierung von Verbesserungsmaßnahmen. Wie sieht die Priorisierung im Portfolio-Kontext dabei aus?
  • Wie funktioniert WSJF?
  • Wie lassen sich die verschiedenen Einflussfaktoren bestimmen, ohne darüber “wilde” Diskussionen vom Zaun zu brechen, weil jeder die Faktoren so interpretiert, dass sie den eigenen Vorstellungen genügen?
  • Wie sieht die Kopplung eines Portfolios in die Unternehmensvision bis zur Arbeitsebene aus?
  • Warum ist es wichtig, die Priorisierung selbst vorzunehmen und sie nicht externen (Beratern) zu überlassen?
  • Wie sieht der generelle Einstieg in Portfolio-Priorisierungen aus? Welche Voraussetzungen sind dafür notwendig?

Notizen zur Episode:


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(Teil)automatisiertes Transkript

Episode 296 : Portfolio-Priorisierungen und der Transfer in den Lean-Kontext

Herzlich willkommen zu dem Podcast für Lean Interessierte, die in ihren Organisationen die kontinuierliche Verbesserung der Geschäftsprozesse und Abläufe anstreben, um Nutzen zu steigern, Ressourcen-Verbrauch zu reduzieren und damit Freiräume für echte Wertschöpfung zu schaffen. Für mehr Erfolg durch Kunden- und Mitarbeiterzufriedenheit, höhere Produktivität durch mehr Effektivität und Effizienz. An den Maschinen, im Außendienst, in den Büros bis zur Chefetage.

Götz Müller: Heute habe ich Matthias Bullmahn bei mir im Podcast-Gespräch, schon in der 2. Episode. Er unterstützt und berät große Unternehmen bei der agilen Transformation. Hallo Matthias.

Matthias Bullmahn: Moin, grüß dich, schön, dass ich wieder dabei sein darf, lieber Götz.

Götz Müller: Ja, wir haben wieder ein spannendes Thema. Das letzte Mal war es das Thema Skalierung, diesmal Portfolio-Priorisierung und beides waren eben, wie kann ich agile Gedanken, Konzepte eben auch in den Lean-Kontext übertragen und vielleicht von mir noch ein paar ein leitende Sätze, warum auch bei mir da wieder der Impuls entstanden ist, dich noch mal zu einer Episode einzuladen. Priorisieren von Verbesserungsmaßnahmen, was verbessere ich als erstes, was ist mir das wichtigste, wie kann ich es feststellen, was das Wichtigste ist, ist ja auch im Lean-Kontext eben ein Thema und das war, wie ich schon gesagt habe, der Gedanke, mit dir darüber zu reden, was ich denn da mache und da gibt es ein paar, fand ich, ganz nette Werkzeuge und deshalb mal die Einstiegsfrage: Was ist Priorisierung im Portfolio-Kontext?

Matthias Bullmahn: Ja, Götz, vielen Dank für die Frage. Also was ist, ich frage mal, wozu macht man es. Kunden kommen ganz oft auf mich zu und sagen „Matthias, wir haben das Problem, dass wir richtig coole Teams haben und die schaffen auch echt etwas weg, aber irgendwie haben wir das Gefühl, wir fangen zu viel an und wir werden nicht mit allem fertig, also kurz vorher geht es halt überall dann auch mit überlappenden Projekten, bei uns geht ein bisschen auch teilweise dann so die Krankenquote hoch, das muss man dann auch dazugeben, aber wir müssen ja irgendwie alles fertig kriegen“ und dann frage ich immer „Was heißt denn eigentlich alles?“ und ich gebe jetzt mal ein praktisches Beispiel von einer gesetzlichen Krankenversicherung, wo wir waren, die haben im Jahr ungefähr hundert Vorhaben, ja, also ich nenne die Artefakte jetzt nicht Epic Feature User Stories, sondern ich nenne sie einfach mal Vorhaben, Projekte. So, und bis vor einigen Jahren war es dann so, dass die davon ungefähr siebzig bis achtzig angefangen haben, eher achtzig bis neunzig und haben dann fertiggestellt ungefähr fünfzig bis sechzig. Das ist jetzt mal gar nicht so schlecht auf den ersten Blick. Wenn ich aber sehe, was ich für eine Wertschöpfung schaffen könnte, wenn ich eben nicht siebzig bis neunzig anfangen würde, sondern vielleicht nur wirklich siebzig und die auch alle fertigkriege, das wäre jetzt vor allen Dingen extrem gut und dann kommt die Frage: Ja, was machen wir denn überhaupt? Wie priorisieren wir das Ganze denn? Und wir alle kennen ja die Standard-Priorisierung, ich habe das Geld oder ich habe den größten Mund oder ich habe das größte Netzwerk und das, was ich sage wird als erstes gemacht. Das kann gut sein fürs Unternehmen, muss es aber nicht und es ist dann wichtig, hinzugehen und eine Priorisierungsmethode zu implementieren, die einigermaßen datengetrieben sich an der Vision des Unternehmens ausrichtet, um eine priorisierte Reihenfolge der Vorhaben abzuarbeiten. Punkt. Die versteht nämlich dann jeder, Götz, und dann weiß auch jeder, warum wir was machen. Das ist also auch sehr transparent. Priorisierung aktuell in vielen Unternehmen ist relativ intransparent. Warum machen wir denn jetzt das Projekt? Das macht doch gar keinen Sinn? Dahinter stecken aber, wie wir alle wissen, toxische Bonus- und Vergütungssysteme. Da kriegt jemand ein Bonus dafür, also müssen wir das natürlich jetzt machen, damit er und sein Team einen Bonus bekommen. Falsche Anreizsysteme. Wie gesagt, das will ich jetzt nicht werten, dass ich da irgendwen in die Ecke stelle und sagt „Du Böser“, im Endeffekt kriegt der einen Bonus dafür, was will er machen, sich dafür einsetzen, dass das eben gemacht wird. Punkt. Wenn er das nicht macht, wäre er doof.

Götz Müller: Ja. Ja, ich vermute mal, du kennst, mir kam jetzt der der Begriff Hippo in den Sinn, ich vermute mal, du kennst ihn auch. Highest Paid Person Opinion.

Matthias Bullmahn: Ja, genau. Klassiker. Genau, ja.

Götz Müller: Okay, und auch da schon, deine ersten Sätze hier, höre ich jemanden aus dem Lean-Kontext reden, im Grunde, weil das sind da oft auch die gleichen Themen.

Matthias Bullmahn: Ja.

Götz Müller: Der, der am lautesten schreit, hat Recht. Gut. Und jetzt, ja, das war auch ein Element aus deinem Vortrag, der Impuls war, dich jetzt anzusprechen. Jetzt gibt es da, fand ich, ein ganz pfiffiges Werkzeug dafür, es gibt sicher noch mehr, aber eben, wie du es auch gerade als Stichwort genannt hast, sehr daten- und faktengetrieben und, ja, ich denke mal, das wird jetzt einen großen Teil unserer Unterhaltung einnehmen, dass die Zuhörer darüber, etwas erfahren werden.

Matthias Bullmahn: Ja. Genau. Also was machen wir? Ich komme ja aus dem SAFe-Kontext, und ich weiß, jetzt werden einige sagen: „Oh SAFe, muss das sein? Müssen wir immer diese Frameworks machen?“ Ich bin ein großer Freund von „pick what fits“. Das heißt, auch das SAFe-Framework, die die es noch nicht gehört haben, Scaled Agile Framework, das hat schon so ein paar ganz coole Sachen dabei, die man je nach Anwendungsgebiet auch nutzen kann und was wir nutzen am Anfang, um einfach schnell reinzukommen, ist die sogenannte WSJF, also die „Wheigted Shortest Job First“-Priorisierung, also den höchstgewichtesten Job, der in der schnellstmöglichen Zeit zu erledigen ist, damit wir relativ schnell auch Mehrwert an den Markt und im Unternehmen generieren können. So jetzt kann ich natürlich direkt einen Kritikpunkt sagen. Das ist eine relativ einfache Formel, wenn ich ein bisschen Mathe kann, dann kann ich immer so das Ganze mir hinbiegen, dass halt die richtigen Sachen zuerst kommen, das ist auch völlig in Ordnung. Allerdings bauen wir das Ganze natürlich in ein gesamtes Konstrukt ein, was bedeutet allererstes lassen wir uns vom Leadership diese WSJF-Priorisierung abnehmen. Was das genau ist, da komme ich gleich nochmal dazu. Dann wird das kommuniziert. Das heißt, jeder weiß, wir werden ab sofort auf Portfolioebene über WSJF priorisieren. Was bedeutet das? Wir haben im Endeffekt einige Determinanten. Das eine ist im Endeffekt der Business Value. Das heißt, wir fragen uns jedes Mal, wie hoch ist der Business Value bezogen auf unsere Mission. Numero 2: Risk Reduction. Nee, das ist nicht das zweite, das ist das dritte. Ach, Gottes Willen, das ist live, was soll ich sagen? Das zweite war, hilf mir kurz auf die Sprünge, geil der Experte, jetzt hat er gerade den Faden verloren. Business Value, Risk Reduction, Opportunity Enablement und ich vergesse das zweite immer wieder. Das ist der Wahnsinn. Time Criticality. Das war's genau. Das zweite ist die Zeitcriticality, also wie schnell müssen wir das Ding jetzt eigentlich auf die Bahn bringen. Ich gebe mal ein ganz einfache Beispiel, DSGVO, zwei Jahre, bevor es implementiert werden musste, hatte wahrscheinlich gefühlt eine Null. Das ist immer die modifizierte Fibonacci-Reihe, also 1 2 3 5 8 13 20, die wir nutzen und ich sage mal, das war maximal eine Eins. Zwei Monate, bevor das Ding implementiert werden musste, ist das Ding wahrscheinlich auf eine Zwanzig hochgegangen. Damit wollen wir natürlich jetzt auch die Projekte voranbringen, die einfach zeitkritisch sind und nicht nur die ein Business Value haben, weil ansonsten machen wir nur noch tolle Sachen, die unser Produkt geiler machen, aber die DSGVO macht unser Produkt jetzt vielleicht nicht geiler, außer wir bauen ein Produkt für die DSGV. Wir müssen sie aber trotzdem mit reinbringen und dann gibt es den dritten Punkt. Das ist das sogenannte Risk Reduction Opportunity Enablement. Da fragen wir uns, ist dieses Vorhaben, haben wir eine Risikoreduzierung oder haben wir vielleicht sogar danach die Möglichkeit, noch etwas Cooleres zu bauen? Also ist es ein Enablement? Und das beziehen wir mit ein. Risk Reduction, ganz einfach. Zwei Jahre vor DSGVO relativ entspannt, zwei Monate vorher, Risiko, dass wir danach viel Geld zahlen müssen, sehr hoch. Also würden beide relativ hochgerankt werden und dann ziehen wir einen Summenzeichen. Das ist der Cost of Delay, also es gibt nur Experten, die sagen, wenn wir eins qualifizieren müssen, validieren müssen, dann ist es der Cost of Delay. Ich Frage also nicht, was kostet es uns, etwas zu machen, sondern was kostet es uns, etwas nicht zu machen?

Götz Müller: Ja, absolut so dieses „Cost of In-Action“.

Matthias Bullmahn: Genau. Und du kennst es ja als Berater. „Ja, Sie sind aber so teuer, was Sie alles kosten.“ Dann sage ich ja, aber was passiert, wenn Sie mich nicht buchen. So. Und das und das kann ich Ihnen leisten und wenn Sie mich nicht buchen, dann kriegen Sie Leistungen halt nicht, dann müssen Sie damit klarkommen. Das wirkt dann auch manchmal. So. Und dann ziehen wir im Endeffekt einen Teilungsstrich und darunter kommen die Job Duration, die Job Size und da überlegen wir uns, wie groß ist der Job eigentlich. Und was wir machen, ist, dass wir in jeder Spalte, also Business Value, Time Criticality, Risk Reduction und Job Size, dass wir hingehen und in jeder Spalte erstmal das kleinste Vorhaben, also was hat den kleinsten Business Value und was hat die kleinste Zeitkritikalität, was hat die kleine Risk Reduction, was hat die kleinste Job Size, das wird das Vorhaben suchen, diesem Vorhaben in der jeweiligen Spalte dann eine Eins geben. Das können von Spalte zu Spalte verschiedene Vorhaben sein und dann gehen wir an den Anfang der Tabelle und stellen uns immer wieder die Frage, ich bin jetzt in Zeile 1, dieses Vorhaben bezogen auf, sagen wir mal Zeile 15, das Vorhaben, das leider nur einen sehr geringen Businesswert hat, also eine 1, wie hoch ist denn relativ gesehen zu dem mein Businesswert und das machen wir, bis die ganze Spalte voll ist und dann gehen wir in die nächste Spalte. So. Und ganz am Ende haben wir einen sogenannten WSJF-Faktor und dann müssen wir die dann nochmal absteigend sortieren die Spalte und dann gewinnt sozusagen der höchste Wert. Das ist relativ simpel. Das ist jetzt etwas, wo viele sagen: „Ach komm, das kriegen wir mal schnell hin.“ Ich habe jetzt einige Portfolios damit aufgebaut und ich habe zum Beispiel 15 Epics, also 15 große Vorhaben mit 15 global Head ofs einer führenden Versicherung im Endeffekt dort WSJF-mäßig priorisiert. Das Ganze hat beim ersten Mal sieben Stunden gedauert. Also bitte hier nicht die Zeit vergessen und immer einen guten Coach dabeihaben, der das Ganze auch mit begleitet, sonst kann das auch sehr schnell in Morddrohungen ausarten. Die Herren hatten sich auf jeden Fall natürlich, ja, die hatten sich halt in der Wolle. Ich meine, jeder kriegt seine Boni für bestimmte Dinge, ja, jeder hat seine Sicht auf die Dinge und jetzt fangen wir an, dass wir das irgendwo rausnehmen und nur noch die Vision des Programmes oder die Vision der Firma darüber halten und sagen, was macht denn jetzt am meisten Sinn, ja, und das müssen diese Menschen erst mal lernen, die sind Jahrzehnte in anderen Systemen großgeworden, ja, die haben das anders gelernt. So, das zweite ist, ich brauche ein extremes, also das ist eigentlich der Punkt, ich brauche ein knallhartes Leadership, also deshalb hatte ich am Anfang gesagt, wir holen uns erstmal das Okay vom Leadership ab und dann wird es vom Leadership auch dementsprechend in die jeweiligen Kanäle publiziert und wir hatten das bei der gesetzlichen Krankenversicherung, dass wir extrem viel Gegenwind, also du kriegst immer Gegenwind, als Change Manager kriegst du immer Gegenwind, Götz, und die haben dagegen gehalten. Und das ist superwichtig, ja. Das ist superwichtig, und da waren wir echt dankbar dafür und dann haben wir natürlich auch bestimmte Regeln aufgestellt. Zum Beispiel haben wir gesagt, wir brauchen, auf dem Level nennen wir das ganze Epics, wir brauchen oder Vorhaben-Hypothesen. Das heißt, wir haben Vorlagen, Templates rausgegeben, haben gesagt, da schreibt ihr eure ganzen Vorhaben jetzt drauf, ein Vorhaben ein Blatt, und dann kommen da gewisse Dinge drin vor. Wer ist hier der Vorhabenbesitzer? Wie heißt das Vorhaben? Wie lange dauert es ungefähr? Was kostet es uns ungefähr? Was soll es uns bringen? Was sind die KPIs? Was sind die quantitativen und qualitativen Measurements? Also da muss man schon auch ein bisschen sagen, das ist nicht larifari, sondern was macht das eigentlich? Damit wir es übrigens auch schätzen können. Wer schätzt denn das Ganze am Ende des Tages? Wir empfehlen immer, dass es die schätzen, die auch das Geld haben, weil die sind verantwortlich. Jetzt kann man natürlich sagen: Ja, wir haben aber delegiert. Das ist in Ordnung. Es gab dann einen Tag, alle drei Monate, wo das dann geschätzt wurde und erstmal mussten die Leute ein, zwei Wochen vorher ihre Hypothesen reinreichen, die wurden dann gecheckt, dann kamen sie in dieses Meeting mit rein, wenn sie vollständig waren und wer da war, war da, wer nicht da war, musste akzeptieren. Das war sehr hart, weil viele auch aus der Zeit kamen, ich komme einfach nicht und dann gleich hinterher mach ich auch nochmal ein bisschen Bambule und dann krieg ich mein Ding schon durch. Das ging nicht mehr und das war richtig Krieg. Das war ein Gemetzel. Ich weiß gar nicht, wie oft ein Kumpel von mir, dann bei einem Vortrag war und sagte: „Ihr müsst mich hier nicht hören. Wir können hier auch gehen.“ Nee, nee, das wird jetzt so durchgezogen. Und das war ein harter Weg, das ist immer ein harter Weg. Aber er hat auch funktioniert. Das wurde danach wertschätzender, auch wurden die Vorhaben ausgewählt, und die waren vor allen Dingen auch im Großen und Ganzen schaffbar. Also klar hat man in den ersten Jahren nochmal fünf, sechs mehr gehabt als man wollte und ist auch mal mit zwei, drei nicht fertig geworden, aber es war weit weg von dem, was mal dort passiert ist. Und deswegen bin ich ein großer Fan von einem Portfolio, auch von einem gut strukturierten und organisierten und priorisierten Portfolio, weil ich sage, es ist doch völlig egal, wie die Leute ihre Arbeit verrichten. Es ist wichtig, dass sie wissen, zu wann sie etwas beginnen sollen und wann etwas fertig werden soll, und da brauchen wir die Mithilfe, dass sie es mit schätzen am Ende des Tage, hochgehen am Ende des Tages und deswegen ist es wieder auch ein integrierter Ansatz mit der gesamten Firma, weil es wird nicht einfach von oben nach unten aufoktroyiert, sondern natürlich haben auch die Programme, die Mitarbeitenden, natürlich die Möglichkeit, hier auch Feedback zu gehen, ja, also das ist ein lebendes System generell.

Götz Müller: Ja. Jetzt hattest du das schon angedeutet, ich möchte es noch ein bisschen vertiefen, ich kenne, ja vielleicht, eine ähnliche Methode, nicht ganz so quantifiziert, das Concept Selection, da ist ein zentrales Element, das ich mir, bevor ich über verschiedene konkurrierende Lösungen, und hier geht es darum, eben ein Lösungskonzept für ein Problem auszuwählen, das beste Lösungskonzept beziehungsweise das sogar besser zu machen, und da ist ein zentrales Element, das ich mir vorher, bevor ich anfange, die Konzepte an die Wand zu werfen oder in irgendeinem Forum zu haben schon, dass ich mir über die Kriterien klar werde, weil in dem Augenblick, wo das Konzept schon im Raum steht, dann fängt schon an diese Basar-Geschichte. Ich habe zwei Streifen auf der Schulter und du nur einen, deshalb ist meinen Faktor, der mein Konzept unterstützt, viel wichtiger wie der andere Faktor, der halt dein Konzept unterstützt und du hattest es so ein bisschen angedeutet, ich möchte es noch mal hinterfragen, wie vermeide ich jetzt, dass halt diese Einflussfaktoren vielleicht unterschiedlich gewichtet werden, weil der eine drei im Vergleich zu zwei Streifen hat?

Matthias Bullmahn: Also am Ende kommt eine Reihenfolge raus und die muss ja funktionieren und wenn die nicht funktioniert hat, stellen wir uns … also natürlich sehe ich so etwas auch, also ich sehe und erfahrene Coaches sehen so etwas auf den ersten Blick. In der Regel nehmen wir uns auch die mit den zwei, drei, vier Streifen vorher zur Seite nochmal extra, also nicht nur im Plenum, wo das erklärt wird, wir wissen ja alle, wenn es im Plenum erklärt wird, weiß jeder, der mehr Schulterklappen hat: „Ja, erzählt ihr mal, ich bin hier schon ein paar Jahre länger, ich weiß, wie es läuft.“ Die nehmen wir uns nochmal extra zur Seite und besprechen das mit denen auch nochmal und wenn so etwas dann vorkommen sollte, dann lasse ich das sehr gerne auch mal laufen, weil das Ergebnis dann am Ende des Tages vielleicht nicht so sein wird, wie der Vorstand sich das auch gewünscht hat und dann wird dann bei einer Großraumplanung vielleicht bitte nochmal erklärt werden müssen, warum es nicht so ist, ja, und ich kann natürlich immer nur warnen, darauf hinweisen, aber Ende des Tages bin ich Coach und Berater und ich bin kein Advisor, also ich habe in der Regel, manchmal schon, aber in der Regel keine Weisungsbefugnis und die dürfen wir als Freiberufler ja auch in der Regel gar nicht haben.

Götz Müller: Ja, das ist ein Punkt, den habe ich hier auch noch auf meiner Liste, das noch mal kurz anzusprechen, aber vorher vielleicht noch dieser Gedanke, wie gelingt es, diese Kopplung eines Portfolios oder eben egal, was ich mal jetzt grundsätzlich bewerte und dann Dinge auswähle, wie gelingt es das von der Unternehmensvision, und das sollte ja so, im Lean-Kontext reden wir da von dem Nordstern auch, bis runter zur Arbeitsebene, den Punkt hattest du auch genannt, wie gelingt es, das greifbar für alle Beteiligten zu machen?

Matthias Bullmahn: Ja, also greifbar wird es folgendermaßen gemacht. Ich habe … irgendjemand erstellt eine Vision, den Nordstern, daraus werden dann strategische Themen abgeleitet. Das können ein, oder meistens sind es mehrere, sein, aus denen werden dann wiederum die Vorhaben auf Portfolio-Ebene dementsprechend ausgebracht und aus diesen Vorhaben auf Portfolio-Ebene gehen wir dann auf die nächste Ebenen, also auf Programmebene, wo es nochmal runtergeschnitten wird. Wir reden da dann ja auch von Features, auf Vorhabenebene reden wir von Epics. Und wenn wir dann in den Programmen sind, dann werden natürlich diese Features dann auch nochmal runtergeschnitten und somit haben ja alle etwas davon und am Ende des Tages habe ich auf jeder Ebene ja auch Produktmanagement, das ist ja auch noch eine Priorisierung für sein Level macht. Ja, also wenn ich jetzt unter einem Portfoliovorhaben zum Beispiel drei Programme habe, die daran arbeiten, dann habe ich dort wiederum über meine, auch meine Features und die werden ja auch priorisiert und die halten sich natürlich immer auch an den Nordstern und wenn ich dort dann irgendwann mal zu einer, ja, zu einer anderen Sichtweise komme, dann kommt das relativ schnell hoch. Ja, also wenn da oben Schmu gemacht wird, dann kommt das raus. Die Frage ist, wie gehen dann alle damit um? Das ist natürlich dann etwas, was sehr spannend werden wird. Ich meine, das kennst du ja auch, ja, und da kenne ich zum Beispiel, ich hatte zum Beispiel, da kenne ich einen Kunden, der macht jetzt erstmal drei Monate mit 1000 Leute, guckt er sich den ganzen Code erstmal an, weil der hat, ja, Technical Debt, technische Schulden und das war sehr früh klar, das wurde auch geflaggt. Keiner hat drauf gehört. Im Portfolio wurde es halt mehr oder weniger ignoriert, dass halt immer auch ein Teil Technical Debt Reduction dabei sein sollte und jetzt müssen da alle stoppen und machen drei Monate mit 1000 Leuten nur Technical Debt Reduction. Ich meine, du kannst dir ja vorstellen, was die das kostet?

Götz Müller: Ja. Aber im Grunde, ich kenne es ansatzweise aus dem, ja, ich sage immer mein früheres Leben, Softwareentwicklung, ich zahle dann dafür auch in einer gewissen Form eben Zinsen oder, ja, eher Strafzinsen, wenn ich das halt nicht regelmäßig mache, wenn ich halt nicht regelmäßig, so wie jeder sein Haus mal putzt, Frühjahrsputz mache, so muss ich das auf der Ebene, glaube ich, auf der technischen Ebene auch mache.

Matthias Bullmahn: Genau. Ja, natürlich und das machen halt, ich meine, wir wissen es doch. Ah, Technical Debt, was haben wir davon? Haben wir ein neues Feature? Nee, haben wir nicht. Wir brauchen jetzt ein neues Feature. Ja, aber ihr baut doch schon auf bescheidenem Code auf, weil ihr Brücken gebaut habt, weil Dinge noch nicht sofort gingen, ja, und darauf baut ihr jetzt alles auf und wenn die Brücke kaputt geht, dann guckt euch mal die Rheinquerung bei Leverkusen an, ja, da fährt jetzt fast gar nichts mehr drüber oder nur noch mit sehr, sehr geringer Geschwindigkeit, ja, da kriegt ihr nicht mehr den Durchsatz wie vorher. Und dann werden sie irgendwann vor die Konsequenzen gestellt.

Götz Müller: Ja, und das ist dann eben der Punkt, den du vorhin genannt hast, eben das Risiko, oder was passiert dann, wenn ich nichts tue, dann und das finde ich auch so spannend an der Methode, wo ich das das erste Mal kennengelernt habe, dass eben auch solche Elemente drin sind. Klar ist nicht sexy, aber die Folgen sollte man nicht übersehen.

Matthias Bullmahn: Was machen wir denn jetzt? Machen wir Moskau und was nicht noch alles so existiert? Rot, gelb, grün. Top 3. Whatever Priorisierung, ja, ich sage ja nicht, dass das, was wir da haben, was wir dann nutzen, dass das der Weisheit letzter Schluss ist, aber es ist ein guter Anfang, ja.

Götz Müller: Ja. Gut. Jetzt hattest du schon das Stichwort gesagt, und im Grunde sind wir zwei ja auch aus der Ecke Beratung, also sprich Externe und da, wo ich von dir das erste Mal darüber etwas gehört habe, hattest du ein ziemlich klares Statement, was man tun beziehungsweise eben was man nicht tun sollte an der Stelle, wenn es um das Thema Priorisierung geht.

Matthias Bullmahn: Absolut. Also auf jeden Fall, was getan werden muss, erstens: starkes Leadership. Habt ihr das nicht, vergiss es. Wird es über kurz oder lang im Endeffekt zusammenfallen, dann macht so weiter wie bis jetzt, Nummer 1. Nummer 2: knallharte Regeln, ja, also ich brauch‘ die Vorhabenhypothesen, zu einem Zeitpunkt X, dann werden sie gecheckt, wenn sie okay sind, kommen sie in das Meeting mit rein, das wird regelmäßig stattfinden und dann auch die Zielgruppe ganz klar adressieren. Da darf nicht jeder rein. Bitte nicht. Das muss man ein sehr leanes, schlankes Gremium sein von Menschen, die halt Entscheidungsbefugnis haben, ja, es sollten am besten die sein, die auch das Budget zu verteilen haben. Und wer Delegierte schickt, muss mit dem Ergebnis auch okay sein, dann darf er sich auch nicht beschweren und ganz wichtig, kann ich nur noch mal drauf hinweisen, diese Regeln auch zu veröffentlichen, dass sie auch jeder weiß. Auch das Kanban, welches dann, das kann man sich, auf der Seite von Scale Agile Framework kann man einfach mal so ein Beispiel-Kanban, das nutzen wir in der Regel am Anfang auch, runterladen, ja, und dann diese Regeln beachten und da darf niemand links oder rechts vorbei, niemand. Bitte nicht.

Götz Müller: Ja, und eben spannend, du hast es jetzt noch nicht erwähnt, aber spannend fand ich die Aussage eben, dieser Aspekt, es selber zu machen oder das klang zumindest, vielleicht nicht so deutlich raus, wie es mir da klar war, und nicht zu sagen: Ja, ihr Externen kümmert euch mal drum. Also dieses Wegdelegieren und vielleicht eben im Extremfall nach außen delegieren, das ja gerne mal gemacht wird, so im Sinne von „Ja, die kriegen Schmerzensgeld, dafür sollen sich halt auch darum auch noch kümmern“, das wird nicht funktionieren, weil irgendwann sind wir halt wieder weg und dann … ja.

Matthias Bullmahn: Genau. Das ist gut, dass du das auch noch mal sagst, vielen Dank. Wir entscheiden. Das heißt, mit wir meine ich das Unternehmen, nicht irgendein Berater. Ja, das ist wieder dieses typische: Na ja, wenn der Berater weg ist, dann kann ich sagen, der Berater war schuld. Nein, das ist euer Unternehmen, das ist euer Zuhause und ihr baut euch die Zukunft jetzt auf. Das können wir gar nicht, auch wenn wir meinen, wir könnten das entscheiden.

Götz Müller: Ja. Gut, du hattest es schon angedeutet, ich möchte den Zuhörern auch so ein bisschen einen Pfad vielleicht vorstellen und natürlich fängt, platter Spruch, jede Reise beginnt mit dem ersten Schritt, also wie sieht so ein genereller Einstieg aus, wenn ich solche Priorisierungswerkzeuge, mal losgelöst vom Portfolio, wie gesagt, das ist der Grundgedanke, ich kann so etwas auch in anderen Szenarien einsetzen. Wie sieht so ein erster Einstieg aus? Nochmal zusammengefasst, du hattest schon etliche Elemente genannt.

Matthias Bullmahn: Also der Erste ist Leadership, das muss stehen wie eine Eins, Rückgrat haben. Nummer 2: Es wird im gesamten Unternehmen announced, was ab sofort als Priorisierung gilt, und es wird auch öffentlich gemacht, wie es dazu kommt, was die Elemente sind und natürlich auch eingeladen, dass man Ideen mit einbringen darf. Numero 3: Es wird festgelegt, welche Templates es gibt, welche Zeitlinien es gibt. Also es gibt dann eine Einreichungsfrist, für die Hypothesen, dann gibt es regelmäßige Priorisierungsmeetings. Man kann auch gerne Vorbesprechungen machen, also man kann auch gern das Ganze schonmal als Trial Run machen, dass man das erstmal schon mal vortestet, damit man sieht, wo sind die Probleme, das machen aber gute Coaches eh von selbst. Dann bitte, ganz wichtig, darauf achten, dass halt der Teilnehmerinnenkreis so gehalten wird, dass halt nur die Entscheidungspersonen da sind, außer ich brauche nochmal sogenanntes Subject Matter Experts, also Experten, Expertinnen, die dann entsprechend aus dem Bereich kommen und nochmal ein paar Informationen geben können, ja. Genau. Das sind so die groben Elemente. Dann einfach durchführen, einfach machen und gucken, was dabei rumkommt. Auch gerne Retrospektiven einziehen, ja, damit man sich austauscht, was könnten wir vielleicht besser machen, was nicht. Ja.

Götz Müller: Wo du das Stichwort Leadership ganz am Anfang gesagt hast, ist mir dann so ein Gedanke wie Reifegrad einer Organisationen in den Sinn gekommen. Kann man es an sowas auch in irgendeiner Form festmachen, dass ich also vielleicht noch bestimmte Voraussetzungen erstmal schaffen muss, bevor es Sinn macht, dann in so ein Thema, Einsatz auch dieses Werkzeug WSJF zu nutzen?

Matthias Bullmahn: Ganz am Anfang, das hatte ich jetzt akustisch nicht verstanden.

Götz Müller: Gibt es noch andere Voraussetzungen, im Sinne eines, ja, vielleicht Reifegrades, wobei natürlich Leadership und die Punkte, die du genannt hast, auch dazugehören? Was mache ich denn, in Anführungszeichen, wenn ich vielleicht das Gefühl habe, da habe ich noch Entwicklungspotential, bevor ich dann so eine Methode einsetze?

Matthias Bullmahn: Also, wenn ich von Portfolio rede, dann rede ich hier ja von der Vorstandsebene, also ob es jetzt ein Bereichsvorstand ist, ein gesamter Konzernvorstand, da muss man natürlich sagen, dass man mit denen schon so mal so einen Tag einen skaliert agilen Workshop machen sollte, damit die das verstehen. Das ist, wenn wir SAFe implementieren oder Teile von SAFe machen wir das eh, also, dass wir reinkommen, so einen Leadership-Workshop machen, den passen wir immer so an, dass wir es auf die Situation auch bezogen haben, habe ich jetzt vor ein paar Wochen erst bei einem großen Dax-Konzern wieder gemacht, wo wir dann genau das Thema, kommt bei denen nächstes Jahr nämlich auch, Portfolio, das war ganz interessant und dass wir denen halt auch mal erklärt haben, was das überhaupt bedeutet und da waren einige Aha-Erlebnisse, mein Lieber, die wir dort in der ersten Session schon hatten, das war schon aufregend, ja. Sagen wir es mal so.

Götz Müller: Okay. Ich höre auch raus, und das gilt im Grunde im Lean-Kontext genauso und deshalb möchte ich nochmal, ja, im Grunde vielleicht fast nur eine rhetorische Frage stellen, ich kann so etwas nicht wegdelegieren, weder an die externen Berater noch an irgendjemanden anders, sondern ich muss meiner Verantwortung gerecht werden.

Matthias Bullmahn: Absolut und ja, du musst leider, es tut mir leid, liebe Führungskräfte, liebes Leadership, ihr habt eine verdammte Aufgabe und das ist genau das.

Götz Müller: Ja, da könnte ich jetzt, da sage ich. das war ein cooles Schlusswort, Matthias, deshalb danke ich dir für deine Zeit, für die interessanten Impulse. Ich hatte jetzt schon heute Abend, in Anführungszeichen, wobei das die Zuhörer ja so nicht mitkriegen die zweite Episode, die andere, eine vorher, eine Einladung da reinzuhören, da ging es auch darum, wie kann ich agile Gedanken, Modelle, Konzepte, die dort funktionieren, in den Lean-Kontext übertragen und das hat für die Episode zwischen uns zwei jetzt wieder genauso gepasst.

Matthias Bullmahn: Cool. Ja, freut mich, danke nochmal für die zweite Einladung und hat echt Spaß wieder mit dir gemacht, war auch schön, dich mal persönlich in Stuttgart-Filderstadt mal zu sehen, das war echt gut, hat auch viel Spaß gemacht mit dir. Ich hoffe, dass einige Zuhörerinnen und Zuhörer da jetzt einen Mehrwert mitnehmen, wenn Sie Fragen haben gerne bei dir oder bei mir melden und, ja, genau.

Götz Müller: Genau. Ich werde auf jeden Fall deine Kontaktdaten auch unter der Notiz unterbringen und nochmal vielen Dank.

Matthias Bullmahn: Vielen Dank dir auch.

Götz Müller: Das war die heutige Episode im Gespräch mit Matthias Bullmahn zum Thema Portfolio-Priorisierungen und der Transfer in den Lean-Kontext. Notizen und Links zur Episode finden Sie auf meiner Website unter dem Stichwort 296.

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Ich bin Götz Müller und das war Kaizen to go. Vielen Dank fürs Zuhören und Ihr Interesse. Ich wünsche Ihnen eine gute Zeit bis zur nächsten Episode. Und denken Sie immer daran, bei allem was Sie tun oder lassen, das Leben ist viel zu kurz, um es mit Verschwendung zu verbringen.

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