Kaizen 2 go 320 : MTM und Lean


 

Inhalt der Episode:

  • Was bedeutet MTM?
  • Was ist MTM nicht?
  • Wo liegen die Ursprünge begründet?
  • Warum ist/wird MTM wieder aktuell?
  • Wer sind typische Stakeholder im MTM-Kontext?
  • Wie sieht die Wechselwirkung mit Lean & Prozessoptimierung aus?
  • Wie lässt sich MTM mit Videoanalysen verbinden? Welche Rolle können makroskopische Effekte der Heisenbergschen Unschärferelation spielen?
  • Wie lässt sich der starke physische Bezug aus der Produktion in andere Bereiche übertragen?
  • Wie lässt sich MTM mit seinen algorithmischen bzw. regelbasierten Ansätzen mit anderen algorithmischen Konzepten verbinden (BPM, MMA) oder sogar erweitern/übertragen?

Notizen zur Episode:


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(Teil)automatisiertes Transkript

Episode 320 : MTM und Lean

Herzlich willkommen zu dem Podcast für Lean Interessierte, die in ihren Organisationen die kontinuierliche Verbesserung der Geschäftsprozesse und Abläufe anstreben, um Nutzen zu steigern, Ressourcen-Verbrauch zu reduzieren und damit Freiräume für echte Wertschöpfung zu schaffen. Für mehr Erfolg durch Kunden- und Mitarbeiterzufriedenheit, höhere Produktivität durch mehr Effektivität und Effizienz. An den Maschinen, im Außendienst, in den Büros bis zur Chefetage.

Götz Müller: Heute habe ich Peter Kuhlang bei mir im Podcast-Gespräch. Er ist der Geschäftsführer der MTM ASSOCIATION und wird gleich noch ein paar Worte zu sich selber sagen. Hallo Peter.

Peter Kuhlang: Hallo Götz, super, freut mich, dass es geklappt hat.

Götz Müller: Ja, ich mich auch. Stell dich aber gerne noch mal in ein paar Sätzen den Zuhörern vor.

Peter Kuhlang: Mache ich gerne. In meiner Funktion als Geschäftsführer der MTM ASSOCIATION bin ich auch Geschäftsführer der Deutschen MTM-Gesellschaft und in Summe beschäftigen wir uns mit der weltweiten Verbreitung von MTM, da werden wir nachher noch dazu kommen, aber ich bin auch außerordentlicher Universitätsprofessor an der TU in Wien, wo ich noch das Fachgebiet Industrial Engineering vertreten darf.

Götz Müller: Ja, jetzt könnte ich mir vorstellen, dass nicht 100% der Zuhörer wissen, was ist denn MTM, kann man das essen oder was macht man damit, also deshalb vielleicht zum Einstieg die Frage an dich, was bedeutet das, was ist das überhaupt?

Peter Kuhlang: Ja, also essen kann man es nicht. MTM ist, wenn man von MTM spricht, gibt es immer zwei Ausprägungen. Die eine ist die Organisation, über die möchte ich kurz sprechen, und dann ist es die Methode, das ist eigentlich das inhaltliche Thema. Die Organisation, die MTM ASSOCIATION und damit das weltweite Headquarter, der MTM-Aktivitäten ist ein gemeinnütziger Verein, der eben satzungsgemäß den Auftrag der Verbreitung des MTM-Verfahrens, der MTM-Methode hat, und das tun wir im Wesentlichen im gemeinnützigen Verein, indem wir ausbilden, also MTM-Ausbildungen anbieten und forschen und einen Mitgleiderservice anbieten. Softwareentwicklung und Beratung sind die weiteren Säulen unserer Aktivitäten in der Organisation und das machen wir aber in der Deutschen MTM-Gesellschaft, die ein Wirtschaftsunternehmen ist. Das ist die Organisation und die bekanntesten Ausprägungen der MTM ASSOCIATION sind eigentlich die beiden Ausbildungsabschlüsse der Blauen Karte für den MTM-Praktiker und der Grünen Karte für den MTM-Instruktor und das sind Ausbildungen, die weltweit einheitlich angeboten werden und anerkannt sind. Die MTM-Methode auf der anderen Seite ist eine Art Prozesssprache, eine Sprache, um menschliche Arbeit zu beschreiben und zeitlich und ergonomisch zu bewerten. Wozu braucht man das? Das ist im Prinzip eine Bezugs- oder MTM stellt eine Bezugsleistung für menschliche Arbeit dar, um manuelle Tätigkeiten, physische Tätigkeiten in industriellen Prozessen, aber auch administrativen Prozessen beschreiben zu können, planen zu können und somit eine Produktivitätsleistungskenngröße zur Verfügung zu haben. Das ist im Wesentlichen die Methode und diese Methode gibt es für verschiedene Anwendungsgebiete, für die für die Massenfertigung, den klassischen Produktionsbereich, Serienfertigung, aber auch Einzelfertigung, logistische Tätigkeiten, administrative Tätigkeiten, Sichtprüfen, also ein sehr breites Anwendungsfeld, in dem die MTM-Methode angewendet wird.

Götz Müller: Ich drehe ganz gern manchmal auch den Spieß, in Anführungszeichen, um und stelle die Frage: Was ist das denn nicht? Weil ich glaube, auch so etwas kann mal sinnvoll sein, durch die Nicht-sein-Brille darauf zu schauen.

Peter Kuhlang: Ja, was es nicht ist, ist gar nicht so leicht zu beantworten. Oft wechselt man MTM mit der REFA-Zeitaufnahme. Also es ist keine Zeitaufnahme, und zwar deshalb, weil das Konzept der Anwendung von MTM, also der Zeitermittlung etwas anders oder ganz anders ist als das klassische Verwenden einer Stoppuhr. Was ist auch nicht ist, ist etwas, früher gab es einen Spruch dazu, mit teuflischen Methoden, also wir sind kein, wir bieten eine Bezugsleistung, eine faire Dauerleistung, aber wir quetschen hier nicht aus. Also es ist auch ein Maß, gerade in Verbindung mit ergonomischen Bewertungsverfahren, um eine Dauerleistung zu erbringen und ein faires Maß für menschliche Leistungen zur Verfügung zu haben, wenn man so etwas braucht in seiner Anwendung. Was ist es noch nicht? Ja, es ist leider nicht weltweit genug bekannt, sagen wir mal so. Es könnten immer mehr Leute kennen, vor allem die Lean-Community könnte sich eigentlich mehr damit beschäftigen, weil es eigentlich eine Methode ist, die in das klassische Methodenset auf der einen Seite, aber auch in eine Lean-Philosophie gut hineinpasst, vor allem in Produktionssysteme.

Götz Müller: Ja, das ist ja auch im Grunde der Kern unserer Unterhaltung jetzt heute in der Episode. Jetzt REFA hat vielleicht der eine oder andere, könnte ich mir vorstellen, vielleicht sogar ein bisschen eher gehört wie MTM. Jetzt sind es beides ja Methoden, die nicht erst letztes Jahr entstanden sind, sondern sie sind ja schon etwas älter. Also die nächste Frage eben, wo kommt es denn her, was sind die Ursprünge?

Peter Kuhlang: Ja, die Ursprünge sind zurückzuführen auf die Mitte des 20. Jahrhunderts, in einer Phase, als Kriegsaktivitäten, die jetzt leider wieder sehr aktuell sind, da in Richtung Ukraine, aber damals eben in der Vorphase des Zweiten Weltkriegs, gab es eine Initiative des US-Kongresses beziehungsweise des Senates, eine Art erstes Arbeitsschutzgesetz zu verabschieden, im Jahr 1938 der Fair Labor Standard oder der Fair Labour Standard Act eigentlich genau genommen und da stand drin, dass man ein Verfahren sucht, um in fairer Form die Arbeitskräfte, die in der Rüstungsindustrie tätig sind, bewerten zu können, wie viel können die leisten und nicht einfach die Stoppuhr nehmen und zu sagen, man versucht hier einfach mit hohen Leistungsgrad-Erwartungen, die damalige Zeit war ja noch ein bisschen anders, Arbeit abzufordern. Also das war die Initialzündung und dann gab es ein Forschungsprojekt oder ein Entwicklungsprojekt ab 1940, von 1940 bis 1948, dass die Herren Maynard, Schwab und Stegemerten durchgeführt haben und in dieser Zeit wurde die MTM-Methode entwickelt, also das MTM-1-Verfahren entwickelt und im Prinzip baut dieses Verfahren oder die Forschungen damals darauf auf, dass man auf Grundlagenarbeiten der Gilbreths, also von Frank Bunker und Lilian Gilbreth aufgesetzt hat, die erkannt haben, dass man menschliche Bewegungen in 17 Grundbewegungen einteilen kann und für diese Grundbewegungen hat man dann Zeitaufnahmen, Zeitstudien gemacht ganz, ganz viele Zeitaufnahmen, Leistungsgrad-Beurteilungen, neutral durchgeführt mit dem sogenannten LMS-Verfahren, Lowry-Maynard-und-Schwab-Verfahren, wo man eben die einzelnen Sequenzen oder die einzelnen Bewegungsabläufe oder Arbeitsinhalte mit Leistungsgrad beurteilt hat und so eben über Zeitstudien und Auswertung von Filmanalysen, damals noch 16 Bilder in der Sekunde über einen Zollraster, hat man diese Bewegungen ausgewertet, Statistik betrieben und so wurde eine neutrale Bezugsbasis oder eine neutrale Leistungsbasis geschaffen, nämlich quasi das Urmeter menschlicher Leistung des MTM-1-Verfahren und kommt eben aus der Mitte des letzten Jahrhunderts. Das hat sich dann weiterentwickelt, also um das zusammenzufassen und einen pointierten Spruch abzulassen, im Prinzip ist MTM entstanden, indem man Zeitaufnahmen gemacht hat, allerdings die Leistungsgradbeurteilung hat halt über ein systematisches und neutrales Verfahren stattgefunden und ist nicht so eine subjektive Diskussion, die man oft bei Leistungsgradbeurteilungen hat. Ja, daher kommen wir und dann hat es sich weiterentwickelt, sehr stark auch in Deutschland, durch die deutsche Industrie ab den 1960/70er-Jahren, sehr stark vorangetrieben in Deutschland die Entwicklungen bis hin zur heutigen Zeit, wo wir in Deutschland eben hier in Hamburg sitzen und das Headquarter der weltweiten Aktivitäten sind. Das ist so die Historie.

Götz Müller: Ja, bei deinen Erzählungen fiel mir im Grunde, aufgrund der Zeit oder des Alters, ich möchte es mal so ausdrücken, fiel mir sofort das Thema Training Within Industry, das ja in einem ähnlichen Zeitraum, ein paar Jahre später entstanden ist, das hat dann, obwohl es viele, viele gemacht haben, aber der Begriff an sich ist irgendwo untergegangen. Und jetzt als ein Stück weit Außenstehender, ich würde mal sagen, vor fünf Jahren ist mir vielleicht der Begriff mal begegnet, aber ich wusste nicht wirklich etwas drüber und deshalb habe ich so ein bisschen das Gefühl, die Aktualität nimmt wieder zu, auch wenn es die ganze Zeit irgendwo so im Raum stand. Warum ist das so?

Peter Kuhlang: Das ist ein gutes Gefühl, das du da beschreibst, Götz. Interessanterweise ist das etwas, was man aber nur, und nur unter Anführungszeichen, nicht falsch verstehen, von außenstehend wahrgenommen hat. Die interne Anwendung war bei den Unternehmen, die sich damit systematisch oder das einmal implementiert haben, eigentlich immer sehr kontinuierlich, da, nur es kennen uns halt zu wenige oder es nutzen aus unserer Sicht auch zu wenige oder nutzen die Vorteile der Methode zu wenige, aber dieses Gefühl stimmt. Es gab ja auch in unserem Fachgebiet im Industrial Engineering Auf und Abs, in Phasen der Humanisierung der Arbeit war das systematische Planen sicherlich nicht so im Vordergrund, wie es sich jetzt wieder in den letzten Jahren entwickelt hat, Also noch mal, das Gefühl stimmt. Warum ist es jetzt wieder oder warum kommt es jetzt wieder hoch? Weil man eigentlich in den letzten, ja, ich sag mal zehn, fünfzehn Jahren, als dieses begonnen mit, ich will jetzt nicht sagen Industrie 4.0, aber damals, als diese Digitalisierungsphasen begonnen haben, hat man eigentlich viel festgestellt, dass, je digitaler ich werde und je früher in der Prozesskette, also in einem Produktentstehungsprozess, man zu planen beginnt, Arbeitssysteme zu planen, Arbeitsabläufe, Produkte und alles das braucht früher oder später doch eine Bewertungsbasis, eine zeitliche, wenn man wissen will, wie lange die Tätigkeiten, die Montagetätigkeiten oder auch logistische Operationen dauern, um schon in einer frühen Phase Alternativen vergleichen zu können, und daher kommt es wieder und je digitaler wir werden, desto mehr wird diese Methode und die aktuellen Anwendungen hoffentlich an Bedeutung gewinnen oder beziehungsweise ich bin zuversichtlich, dass es s ist, weil wir die Nachfrage spüren, einerseits von der Industrie, von der industriellen Anwendung, aber auch von jenen Anbietern, die mit Digitalisierung von Mensch, Simulation über VR, über MoCap über Video-Analysen, diese Anbieter suchen nach diesem Urmeter.

Götz Müller: Ja, du hast jetzt schon mehrfach das Stichwort Mensch verwendet und im Sinne von, wenn eine Sache, wieder, ich möchte es mal so ausdrücken, wieder an die Oberfläche kommt, dann hat es eben auch wieder etwas mit Menschen zu tun, die ganz allgemein ausgedrückt, einfach ein Interesse an der Sache haben oder auf Neudeutsch, die Stakeholder. Und wer sind die jetzt im MTM-Kontext?

Peter Kuhlang: Also, da muss man auch mal die Organisation verstehen, wir sind ja ein Industrieverband, ein gemeinnütziger Industrieverband und damit sind die Hauptstakeholder natürlich unsere Mitglieder, diejenigen, die sich der Methode, der Anwendung der Methode in ihrem industriellen Kontext verpflichten, damit sozusagen auch ein Zeichen setzen und bei uns Mitglied sind, aber auch damit in Verantwortung in der Organisation kommen können und über die Richtung, die Strategie und die Entwicklung der MTM ASSOCIATION und damit von MTM weltweit Einfluss nehmen können. Also die großen Industrieunternehmen von, also der Volkswagen-Konzern, weiß jetzt nicht, wie viel Werbung wir machen dürfen, aber im Prinzip sind die großen Industrieunternehmen in Deutschland alle mit dabei, Fahrzeugindustrie, Flugzeugindustrie, weiße Ware bis hin zu Sportartikel-Herstellern, Logistikdienstleistern. Das sind sicherlich unsere Hauptstakeholder. Ein zweiter ganz wichtiger Stakeholder sind die Arbeitnehmervertreter, also IG Metall und Betriebsräte, denn dieser Stakeholder schätzt sehr bei all den Spannungen, die es immer wieder gibt, rund herum um das Thema zeitliche Bewertung menschlicher Arbeit, halt, schätzt dieser Stakeholder sehr die Neutralität der MTM-Organisation, aber auch der Methode und wenn man MTM halt anwendet und niederschreibt, mit diesen Bausteinen, mit dieser Syntax, mit dieser Semantik unserer Sprache, was da passiert, dann kann man, kriegt man automatisch eine Zeit- und auch eine Ergonomie-Bewertung raus und über die kann man dann diskutieren, ohne dass man hier subjektiv oder sehr wenig oder gar keine subjektiven Elemente eigentlich in die Diskussion mit einbringt. Das heißt, dieser Stakeholder ist eigentlich auch oder ist ein ganz wichtiger für uns. Und die dritte Gruppe, die möchte ich vielleicht bezeichnen als unsere Partner, also unser Netzwerk, unser internationales Netzwerk, das davon profitiert oder dass unsere Stakeholder oder die unserer Stakeholder sind, weil sie an unsere, an die Einheitlichkeit der Lehre, an die Lehrunterlagen, die wir bieten, an die Software, die wir entwickeln, an die Vorgehensweisen, die wir entwickeln, an neue Produkte, weil sie mit diesen Produkten weltweit eben MTM verbreiten. Dann haben wir diese drei, die Partner auf der einen Seite, die Arbeitnehmervertreter und unsere Mitglieder, die Arbeitgebervertreter, die deutsche Industrie. Aber nicht nur deutsche Industrie, sondern auch weltweit Unternehmen, wie Stellantis jetzt als großes Fahrzeugunternehmen, das Mitglied der MTM ASSOCIATION ist oder beispielsweise Logistikdienstleister, die zu erwähnen sind neben den anderen Fahrzeugherstellern und besonders, die mit uns dann auch weltweit unterwegs sind.

Götz Müller: Ja, und speziell, wenn man jetzt die Automobilindustrie nimmt, dann liegt natürlich das andere ganz große Thema Lean im Grunde auf der Hand und dann kommen wir jetzt auch ganz natürlich ja zu dieser, ich nenne es mal Wechselwirkung, zwischen Lean, MTM und, ja, vielleicht die Klammer außen herum, eine Prozessoptimierung. Kann man das so ausdrücken und wenn ja, wie sieht das aus?

Peter Kuhlang: Ja, also man kann das definitiv so ausdrücken. Und ich versuche ja seit längerem, auch schon in meiner wissenschaftlichen Karriere, immer wieder diese Brücke zu bauen, zwischen Lean, der Philosophie, jetzt nicht das Methodenset, das ist ein einfaches Bild, dass man sagt, ja, es ist eine weitere Methode, die man in dem Baukasten nutzen kann. Aber im Prinzip ist die Klammer oder das Spannende an dieser Kombination kommt eigentlich aus folgendem Gedanken. MTM bietet per se oder systemimmanent einen Zugang oder ein Verständnis, in dem man einen zukünftigen Prozess schon beschreiben kann, bewerten kann, ohne dass dieser Prozess bestehen muss oder ablaufen muss. Also ich muss nicht sehen, was passiert. Das klingt vielleicht für viele sehr abstrus, ist aber so, denn wenn ich die Einflussparameter von physischer oder manueller Tätigkeit kenne, wie schwer ein Teil ist, wie weit ich es bewegen muss oder wie weit die Palette bewegt werden muss oder ein Behälter bewegt werden muss und wie genau ich ihn platzieren muss, das kann man beschreiben, im Vorhinein. So und diesen Soll-Zugang, den wollen wir kombinieren mit einer … die Leandenke ist dann doch eine sehr stark auf den kontinuierlichen Verbesserungsprozess orientierte, also Schritt für Schritt besser werden, eher ein aus dem Ist-Ablauf, aus dem Verstehen des Ist-Ablaufes kommendes Konzept, und die Verbindung, die Magie, unter Anführungszeichen, ist eigentlich die Verbindung aus diesen beiden, denn man kann dann, wenn man das Ist verbessert und es verbindet mit einer Zukunftsbetrachtung, beispielsweise, mit MTM kann man sagen, wie denn der Zielzustand sein könnte und was diese Einsparungspotentiale wirklich bringen können oder wohin die Reise gehen kann. Das ist diese Verbindung, die ich sehe und die mich eigentlich immer wieder sehr stark fasziniert.

Götz Müller: Ja, und was mir gerade durch den Kopf geht, ist das Stichwort, das für mich zumindest zwischen den Zeilen mitschwang, ich muss es halt noch nicht physisch haben und jetzt wissen wir ja alle, natürlich Prototypen bauen ist eine wichtige Sache, im Grunde fast egal, welche Branche ich nehme, aber ich habe ja immer noch eine Phase davor, wo halt heutzutage Menschen vor einem Computer sitzen und mit CAD mittlerweile tolle Sachen machen können, 3D-Modelle durch die Gegend schieben und dann kann man ja auch, jetzt in meiner naiven Sicht, ich bin Elektroingenieur, also habe nicht so sehr etwas mit den greifbaren Dingen zu tun, jetzt kann man sich ja auch vorstellen, okay, da habe ich halt zwei Sachen, die irgendwie physisch kombiniert werden müssen, eine Achse, die in irgendein Wellenlager reingeschoben wird und jetzt geht mir gerade so durch den Kopf, jetzt kann ich ja dieses Montieren mir auch schon vorstellen, oder?

Peter Kuhlang: Ja, genau so ist es. Also, das ist eigentlich aus dieser CAD-Welt kommend, wir haben eigentlich alle oder fast alle Daten da, um in der digitalen Welt eine Fabrik, einen Montageplatz ein, was auch immer zu planen. Wir wissen von Druckluft über den Strom bis hin zu den Produktdaten alles, nur wenn es um das Zusammenfügen von irgendwelchen Teilen geht, dann haben wir oft Schwierigkeiten und durch die Digitalisierung und durch Menschenmodelle wird das jetzt einfach besser oder wird das möglich, jetzt auch diese menschliche Komponente zu simulieren und Entwicklungen, gerade auch in der Automobilindustrie gehen halt dorthin, dass sie sagen: Ich möchte keinen zukünftigen Physischen haben. Wir planen die komplette Linie, alles, was passieren kann, von menschlichen Bewegungen bis hin zu Produktdaten und alles, was man sich vorstellen kann im 3D-Raum und da brauche ich aber dann Bewegungsgeschwindigkeiten, wie lange dauert es, um ein Teil von A nach B zu bewegen, wenn ich es eng ineinanderstecken muss? Welche Bewegungen mache ich dabei? Und diese … und weil wir eben so digital werden und sehr früh in die Produktentwicklung oder in die Produktentstehung vordringen mit aktuellen Planungswerkzeugen, braucht es wieder etwas, das einem, das habe ich schon vorhin gesagt, in einer frühen Phase etwas über die Zeit aussagt. Die Zeit ist zwar dann noch nicht richtig oder noch nicht so präzise, aber die Genauigkeit der Zeitdaten wächst natürlich dann mit den nächsten Planungsiterationen und das ist etwas, wo ein sehr starkes Betätigungsfeld für uns sich derzeit auftut.

Götz Müller: Ja, und vorhin hast du noch das Stichwort Video-Analysen gesagt, auch, dass man das schon sehr lange macht, so mit 16 Bildern pro Sekunde, da sind wir ja schon ein bisschen weiter, glaube ich, kann man sagen und wo ich mir hier so ein paar Gedanken gemacht habe in der Vorbereitung. Wenn ich, und da kam mir, keine Ahnung warum, kam mir die Heisenbergsche Unschärferelation wieder in den Sinn, sprich wenn ich so klassisch mit einer Stoppuhr und anderen Dingen unterwegs bin, dann tue ich mich ja manchmal schwer, weil ich da einen Ablauf habe und in dem Augenblick, wo ich den, wie der Heisenberg es halt festgestellt hat, in dem Augenblick, wo ich zum Beispiel Geschwindigkeit von einem Teilchen, von einem Teil feststellen will, habe ich dann schon wieder Probleme, den Ort wirklich präzise festzuhalten und da nochmal nachgebohrt, was das im Kontext auch von Videoanalysen, das kenne ich jetzt aus anderen Bereichen raus, wo wir, glaube ich, mit dem MTM, also zumindest da, wo es mir begegnet ist, mit MTM noch gar nichts am Hut hatte und trotzdem finde ich das ist eine spannende Kombination.

Peter Kuhlang: Mhm. Ich muss gestehen, ich bin zu wenig Quantenmechaniker oder Physiker oder gar nicht tatsächlich, um da jetzt Heisenberg da zu kommentieren. Allerdings, was wir sehen bei dem Thema Video ist halt, oder Video-Analysen, ist halt, dass einfache oder aktuelle Mobiltelefone schon so in der Lage sind, wenn sie dahinter eine entsprechend trainierte KI haben, in hervorragender Art und Weise menschliche Bewegungen, also Bewegungspunkte, definierte Bewegungspunkte zu erkennen und ich halt aus einem Video wirklich einen Arbeitsablauf oder die Präzision, die ich brauche, herauslesen kann, um ergonomische Bewertungen, zeitliche Bewertungen aus unserer Sicht machen zu können. Also je besser die Kamera sind, wenn ich in einem 3D-Raum filme, habe ich natürlich eine höhere Qualität, ich kann vielleicht sogar Fingerbewegungen erkennen, aber alle diese Dinge laufen in Richtung Mustererkennung, also Bilderkennung, in diesen Systemen. Und wenn Bewegungen, wenn diese Bewegungserkennung stattfindet, stellt sich früher oder später die Frage, ist denn jetzt die Zeit, die da abläuft, ist das das, was man verwenden kann? Ist das dann, jetzt kommt die Zeitwirtschaft noch ein bisschen dazu, welcher Leistungsgrad ist dahinter, ist das eine Grundzeit, kann man die als Grundzeit interpretieren oder ist da Verteilzeit mit drin, also Zeit je Einheit? Das sind alles solche Fragen, die sich dann nicht vordergründig, aber doch in der Konsequenz dann irgendwann mal stellen. Und wir arbeiten daran, mit anderen Kollegen genau aus diesen Bewegungspunkten eben, oder gerade für die, für solche Anwendungsfälle eben eine korrekte MTM-Analyse aus diesen Bewegungsdaten automatisiert abzuleiten, damit sich Hersteller von solchen Produkten oder Videoanalyse-Systemen, aber auch MoCap Systemen beispielsweise oder VR nicht damit beschäftigen müssen, eine korrekte Analyse zu liefern, weil das Wesen ist nämlich eine regelwerkskonforme richtige MTM-Analyse, damit dann nicht darüber diskutiert wird, ob die Analyse falsch ist, sondern damit diese immanente Bezugsleistung widergespiegelt in der MTM-Normzeit eben automatisch korrekt zur Verfügung steht und da läuft es hin und das ist eigentlich wirklich ein spannendes Feld, weil es eben mit dem mit den modernen Themen KI, Mustererkennung, Maschine Learning verbinden lässt und, ja, diese Themen werden nicht verschwinden in nächster Zeit, wenn man unsere Technologien und unsere Entwicklungen anschaut, die sich in unserer Gesellschaft auch abspielen.

Götz Müller: Ja, und ich glaube, wenn man sich jetzt mal ein paar Jahrzehnte zurückversetzt, dann hat man im Grunde ja einzelne Bilder gezählt, um eine Zeit festzustellen, um das aufzulösen und heute muss man diese, ja, ich nenne es durchaus mal Strafarbeit halt nicht mehr machen, sondern ich habe halt diesen Mustererkennungsalgorithmus, der halt mehr als, ja, im Grunde mehr sieht und vor allen Dingen schneller sieht als ein Mensch das kann.

Peter Kuhlang: Ja, definitiv. Und, ja, Bilder erzählen ist zum Glück nicht mehr, also auch nicht mehr Mitte oder Ende 19., Ende 19. Jahrhundert, als man eben festgestellt hat, über erste Bewegungsstudien, indem man zum Beispiel festgestellt hat, dass ein Pferd eigentlich mit allen vier, wenn es im Galopp ist, mit allen vier Beinen in der Luft ist. Aus den Zeiten sind wir draußen und das, was sich hier mit diesen Technologien im Moment abspielt, ist ja, dieses Bewegungstracking kommt ja auch sehr stark aus dem aus dem Qualitätsfeld, wo man eben sieht oder versucht zu überwachen, ob alle Tätigkeiten durchgeführt worden sind, um Teile einzulegen beispielsweise. Und da tun sich plötzlich auch Fragen auf, wenn da Menschen drauf sind, was man mit dem Bewegungsdaten vielleicht machen kann. Ja, und da kommt eben dann dieser neutrale Maßstab ins Spiel.

Götz Müller: Gut, jetzt hattest du ganz am Anfang, im Grunde fast nur in einem Nebensatz erwähnt, aber ich habe so das Gefühl, es ist ein wichtiges Element, dieser starke physische Bezug und da will ich jetzt auch noch mal nachbohren, ob sich dieser starke physische Bezug aus der Produktion raus, aber du hast ja durchaus auch administrative Dinge genannt, aber da natürlich eben auch Mensch gleich Bewegung, wieder physisch, kann man das noch weiter denken, bis hinzu, was passiert vielleicht da im Kopf?

Peter Kuhlang: Ja, also das Physische muss man noch mal klarziehen. Wir können mit MTM Abläufe beschreiben, die kein kreatives Denken benötigen außer einfache, Ja-Nein-Entscheidungen, also Blick-Funktionen beispielsweise oder entscheiden ist die Lampe rot oder grün, das geht, aber keinen Denkprozess, also keinen kreativen Denkprozess, Konstrukteure, schriftstellerische Tätigkeit oder so etwas ist nicht bewertbar. Wir brauchen ja für die MTM oder hinter der MTM-Bezugsleistung steht ein hoher Routinegrad oder ein gewisser Routinegrad je nach System und damit müssen die Leute eingearbeitet sein, was auch immer das in den unterschiedlichen Anwendungsfällen oder Anwendungsgebieten bedeutet. Jetzt zu deiner Frage, wo sich das hin entwickeln kann, überall dort, wo der Mensch sich bewegt und Arbeit verrichtet, die jetzt keine Spitzenleistung ist. Also keine Sportler oder keine … Also in regulären Arbeitsverhältnissen oder Arbeitsumgebungen, dort kann man mit dieser Methode. arbeiten. Also klassische Anwendungsfälle und etwas, was immer stärker kommt, ist das Thema logistische Tätigkeiten. Denn auch, ich will hier keinem Logistiker zu nahe treten, aber mit einem MTM-Auge auf einem logistischen Prozess schauen, egal ob es mit einem Stapler oder mit einem LKW oder mit einer manuellen Tätigkeit ist, wir denken ein bisschen anders in der Strukturierung von Prozessen und für uns ist das alles immer irgendwie mit Einflussgrößen geprägt und die Einflussgrößen sind die Gewichte und die Entfernungen und im Endeffekt ist es immer ein Aufnehmen von einem Teil oder von einem Behälter irgendwo und platzieren, ja, Lastenhandhabung im Wesentlichen und wenn man, in diesen Bereichen kann man sehr gut von Paketdienstleistern, jetzt auch gerade Fragestellungen der letzten Meile oder in Versand-Häusern oder auch in der Warenwirtschaft, in Kaltenbereichen oder in Spezialbereichen, kann man alle Abläufe beschreiben. Logistik ist ein sehr starkes Anwendungsfeld. Es geht auch in administrativen Bereichen, dort hat es sich allerdings nicht so stark durchgesetzt, dieses Thema White Collar, Blue Collar Workers, also gerade in indirekten produktionsnahen Bereichen ist es etwas, was auch immer wieder verwendet wird. Warum dort aber kein so ein durchschlagender Erfolg zu sehen ist, weiß ich nicht, weil man, glaube ich, dort nicht das Vertrauen in die Seriosität … oder die Daten sind seriös, aber die Ergebnisse sind so überraschend, dass man oft nicht über die Ergebnisse darüber traut. Aber lass uns zurückkommen vielleicht noch, also aus dem klassischen Bereich herauskommend in logistische Tätigkeiten, was hier passiert zur Zeit, ist ein ganz interessantes Phänomen, das sich auch schon seit längerem oder seit ich eigentlich aus Wien wieder zurück bin bei der MTM-Organisation, seit zehn Jahren schon sage, ist, dass gerade in dem logistischen Umfeld-Versand, also Versand, ohne jetzt wieder Werbung zu machen, aber Paketversand, Briefversand und das hier, und in der Zustellung dann, dass hier schon Fragen des Leistungsniveaus zu stellen sind und da gibt es jetzt interessante Untersuchungen zum ersten Mal, die letzte Meile auch wirklich zu untersuchen, was kann man denn einem Paketzusteller so zumuten, jetzt gar nicht mehr so sehr die Fahrtstrecke, aber die physische Belastung dabei, beim Beladen des Fahrzeugs, beim Entladen des Fahrzeugs, beim Ausliefern, also auch das sind Fragestellungen, mit denen wir uns, wo man MTM anwenden kann, um hier systematisch mal zu ergründen, wie denn die Leistungserwartungen in diesen Bereichen sind. Es ist auch ein politisches Thema. Das war vor einiger Zeit der Minister Heil, der dieses Thema 20-Kilogramm-Paket gedroppt hat, also hier tut sich etwas und ich ganz persönlich muss sagen, das ist schon ein Anwendungsgebiet, wo man systematischer auch mit anderen arbeitswissenschaftlichen Methoden mal auf die Arbeitssituationen draufschauen sollte.

Götz Müller: Und dann dient es ja durchaus wieder den Menschen, also sie zu unterstützen.

Peter Kuhlang: Genau, ich möchte hier einen Begriff bringen, der vielleicht einprägend ist, den man sich merken kann, MTM kann oder es passiert immer wieder, dass es als Überlastungsschutz genutzt wird oder interpretiert wird, nämlich weil wir wissen oder weil wir sagen können, wir wissen es natürlich nicht, aber wir können durch die Beschreibung des Prozesses sagen, welche Leistung erwartbar ist, fair erwartbar ist, auch wie gesagt unter ergonomischen Aspekten und nicht immer diesem Besten-in-Class-Prinzip, noch schneller, noch schneller, noch mehr huldigen und da muss man schon noch mal auftreten und sagen, es hat seine Berechtigung, auch gerade in diese Bereiche hineinzuschauen.

Götz Müller: Ja, aber bei deiner Erzählung kam mir jetzt eine Sache wieder in den Sinn. Vor Jahren, wenn ich mich richtig entsinne, war das während einer Weltmeisterschaft, während der ersten, oder war es eine Europameisterschaft, wo die Vuvuzelas rauskamen und damals ist mir ein Video, ich habe mir das leider nicht gemerkt und ich habe es nie wieder gefunden, ich sehe es aber sehr deutlich vor meinem geistigen Auge, da steht einer, der diese, ich glaube es sind drei oder vier Teile einer Vuvuzela in eine Tüte reinsteckt und mit einer fließenden Handbewegung da die Einzelteile greift und das in der Tüte drin hat und um ihn herum, und das fand ich so erstaunlich, und jetzt wo du so erzählt hast, ging es mir wieder durch den Kopf, um ihn herum standen drei, vier, fünf Leute, alle mit Zettel, mit Kladde und haben sich da Notizen gemacht und wenn ich mir jetzt was du erzählst, wieder vors geistige Auge hole, da hätte es auch bessere Wege gegeben, um rauszukriegen, wie der denn das hinkriegt, dass er so schnell die Sachen in die Tüte kriegt.

Peter Kuhlang: Ja, ja. Also das ist ja gar nicht unser Bestreben, die, sage ich mal, die Dinge so schnell wie möglich in die, in dem Fall, in die Tüte zu kriegen, sondern wir wollen ja wirklich verstehen, was sind die Erschwernisse in einem Arbeitsablauf, was macht ihnen das leicht oder schwierig, und an diesen Stellschrauben zu drehen. Wobei, wenn du jetzt die Geschichte mit der Vuvuzela erzählst, ich habe mal wirklich einen Arbeitsplatz gesehen, das war in Mexiko, da kannst du auch mit einer, also da das war eine Dame, die war so drin in ihren Bewegungsabläufen, da konntest du nicht mal sehen, und auch eine MTM-Analyse hat nicht herausgebracht, wie das wirklich gelaufen ist, was sie da an Bewegungen gemacht hat, also es war ganz faszinierend. Also es gibt immer wieder so Personen, Individuen, die diese Leistungsvorgaben natürlich massiv auch unterschreiten können, aber das ist ja nicht das Ziel. Wir wollen ja einen Planwert haben, wir wollen ja nicht das Individuum unter Druck setzen, sondern in einer Vorgabe, eine Dauerleistung über einen längeren Zeitraum und nicht über drei, vier Jahre, sondern über ein Arbeitsleben einen Job zu machen, der nicht krank macht, ja, oder nicht ausnutzt, und das sind diese Fragen, die hinter unserer, oder das sind die Punkte, die hinter unserer Bezugsleistung stecken.

Götz Müller: Ja, in dem Kontext fand ich es halt so spannend, der Mensch konnte das ja selber nicht sagen, was er da so tut, weil da dann wieder Heisenberg zuschlagen würde, weil in dem Moment, wo er aufhört in der Bewegung und drüber nachdenkt, ist es ja schon vorbei. Das heißt, da gelingt es mir im Grunde ja nur durch einen externen Blick, Licht in die Sache zu bringen, weil er selber gar nicht ausdrücken kann, was er da tut und auch die, die ihn nur beobachten, mit den klassischen menschlichen Augen, da auch an ihre Grenzen stoßen. Und trotzdem, glaube ich, kann man etwas draus lernen, weil irgendetwas muss er ja gut machen, ähnlich wie im Sport. Man kann ja auch hier lernen, okay, wie hält er seinen Schläger, damit der Golfball genau diesen Spin oder Drive oder wie auch immer das nennt, und dann dort landet, wo er landen soll.

Peter Kuhlang: Exakt, ja. Also das erinnert mich ein bisschen an die Kata-Idee, diesen Bewegungsablauf so einzutrainieren, dass er möglichst perfekt ist auch oder in einen Automatismus übergeht und viele Leute, die dann so arbeiten, sind in einem Automatismus und wissen sind eigentlich gar nicht, wie es dazu kam. Ja, cool, ja.

Götz Müller: Und sie stellen sich nicht irgendwie hin und sagen, jetzt gebe ich hier mal Gas, und irgendwie funktioniert das bei ihnen. Gut, jetzt möchte ich zum Abschluss noch eine Ergänzung oder eine Frage in bestimmten Kontext reinstellen. Also für mich hat MTM viel auch mit Algorithmus, mit regelbasierten Elementen zu tun und dann kommen mir halt zwei andere, nennen wir es mal neutral, Konzepte intensiv, das ist einmal das BPMN, wo ich auf der Beschreibungsebene nicht so sehr mit der physischen Bewegung etwas mache. Und das zweite, wo auch wieder Statistik viel mit reinspielt, ist die Multi-Moment-Aufnahme und da jetzt die Frage an dich, ist das eine Sache, wo sich vielleicht etwas kombinieren lässt, wo man voneinander profitieren kann und dann gemeinsam weiterwachsen?

Peter Kuhlang: Ja, spannende Frage. Also, und zwar fühle ich mich erinnert an meine Dissertation, die ich geschrieben habe Ende der 90er Jahre, wo es eben um diese Verbindung dieses regelbasierten MTM-Zugangs, mit Prozessmanagement-Konzepten ging, und auch die Frage nach der Multi-Moment-Studie ist eine wichtige. Ich möchte mal so antworten, also da gibt es Synergien beziehungsweise da gibt es eine natürliche Ergänzung und zwar in Richtung BPMN möchte ich so antworten, früher oder später stellt sich beim Prozess-Management die Frage, wie lange dauert denn so ein Prozess, egal ob man jetzt Durchlaufzeiten meint, Liegezeiten, Transportzeiten, ob wir über Grundzeiten, was auch immer reden, wenn diese Frage nach der Zeit, nach der zeitlichen Dauer mal auftaucht, dann kommen wir ins Spiel mit MTM, aber auch mit einer Zeit-Aufnahme, REFA-Zeitaufnahme oder wie auch immer. Aber da ist die Verbindung. Und dann kann das regelbasierte MTM weiter vertiefen, weitere Erkenntnisse liefern, Sollvorgaben machen. So Richtung Multi-Moment-Studie ist es so, dass wir ja in der Arbeits- und Zeitwirtschaft, aus der ich auch komme oder für die ich auch stehe, das Thema Work Management halt, dass die Multi-Moment-Studie eine der wenigen zur Verfügung stehenden Methoden ist, mit der man Zeit ermitteln kann und wir nutzen die wirklich auch sehr stark, um Verteilzeit-Anteile beispielsweise herauszufinden und eben über Häufigkeitsbeurteilungen, also Multi-Moment-Häufigkeitsstudien sagen zu können, sachliche, persönliche Verteilzeitanteile, und dann in Ergänzung mit MTM zu sagen, wir liefern Grundzeiten oder präzise Tätigkeitszeiten beeinflussbar, wenn wir im beeinflussbare Tätigkeiten, im REFA-Schema bleiben und so ergänzen sich diese Methoden. Also ich finde, es gibt für mich keine, als Wirtschaftsingenieur ist das alles immer ein Instrumentarium, ein arbeitswirtschaftliches, arbeitswissenschaftliches Instrumentarium, das wir zur Verfügung haben müssen, um für die Verbesserung unserer Prozesse, für unsere Mitglieder, für unsere Kunden, für die deutsche Industrie da zu sein, Methoden zur Verfügung zu stellen und Kompetenz zur Verfügung zu stellen, um besser zu werden, den Standort zu halten, den Standort weiterzuentwickeln, Lebensstandard halten. Im Endeffekt ist das die Kette. Das war philosophisch, aber ist so im Endeffekt dann doch.

Götz Müller: Ja, ja. Und ich meine, hinter Lean steckt ja im Grunde, wenn man wirklich genau hinguckt, steckt ja auch viel Philosophie, wie ich mit den Menschen umgehe, viel zu oft leider falsch verstanden, das habe ich jetzt bei dir rausgehört, auch durchaus für MTM und Co, manchmal halt falsch verstanden und das aber, glaube ich, und so ein bisschen zum Abschluss, ist halt die große Chance, an der Stelle gemeinsam, ja, auch Augen zu öffnen, möchte ich es ausdrücken, und eben klarzumachen, es geht nicht darum, schneller zu trommeln, damit schneller gerudert wird.

Peter Kuhlang: Genau so ist es. Dieses Augenöffnen finde ich richtig. Also wir sind keine Philosophen, keine Psychologen, aber wir kommen halt mit der Frage nach der Produktivität, ja, nach einer fairen Bezugsbasis und genau dieses nicht schneller trommeln, damit, ja, genau das ist es, nämlich dieses Augenöffnen. Und dieses gemeinsame Verbessern, das ist das, was uns alle, glaube ich, antreibt und da, wo wir gut zusammenpassen würden oder zusammenpassen, wenn man es tut.

Götz Müller: Ja, und ich glaube, es steckt halt auch ein, ich würde sagen, ein gemeinsames Menschenbild dahinter. Dieses, wie man es im Lean halt ausdrückt, dieses Respect for People, einerseits ja, fordern, aber halt nicht überfordern.

Peter Kuhlang: Ich denke, ja. Durch meine Statements oder meine Sichtweise hat sich das, glaube ich, bestätigt und wir haben also kein mechanistisches Menschenbild, das man da irgendwie vielleicht mal früher oder zu sehr tayloristisches Menschenbild, möglicherweise so ganz einfache Tätigkeiten und jeder kann das lernen, sondern es ist eben auch, der Mensch in seinem Arbeitssystem ist ein ganzheitliche, es ist ein ganzheitlicher Blick, und da gehören verschiedene Disziplinen und Sichtweisen dazu, um das vernünftig zu gestalten und planen zu können.

Götz Müller: Ja, das war jetzt ein schönes Schlusswort. Peter, ich danke dir für deine Zeit, für die interessanten Einblicke.

Peter Kuhlang: Vielen Dank, Götz, für die Möglichkeit und hat mich sehr, hat mir sehr viel Spaß gemacht.

Götz Müller: Das war die heutige Episode im Gespräch mit Peter Kuhlang zum Thema MTM und Lean. Notizen und Links zur Episode finden Sie auf meiner Website unter dem Stichwort 320.

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Ich bin Götz Müller und das war Kaizen to go. Vielen Dank fürs Zuhören und Ihr Interesse. Ich wünsche Ihnen eine gute Zeit bis zur nächsten Episode. Und denken Sie immer daran, bei allem was Sie tun oder lassen, das Leben ist viel zu kurz, um es mit Verschwendung zu verbringen.

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