Kaizen 2 go 323 : Alles Digitalisierung oder was?


 

Inhalt der Episode:

  • Was ist Deine Definition von Digitalisierung? Was sind stattdessen übliche Fälle?
  • Warum sollte man hier eigentlich nicht von Digitalisierung sprechen? Worauf reduziert sich Digitalisierung viel zu oft?
  • Worauf sollte man achten, wenn man sich mit Schmalspur-Digitalisierung beschäftigen will?
  • Welche analogen Voraussetzungen muss man dafür schaffen?
  • Welche analogen Voraussetzungen sind für “richtige” Digitalisierung notwendig? Wie schafft man die idealerweise?
  • Wie sehen dann die weiteren Schritte aus, wenn diese Voraussetzungen geschaffen sind?
  • Was sollte man bei jeder Art von Digitalisierung vermeiden?
  • Wie sollte man die Menschen darin einbeziehen? Die Kunden, eigenen Mitarbeiter, die Lieferanten/Zulieferer oder andere Arten von Dienstleistern.

Notizen zur Episode:


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(Teil)automatisiertes Transkript

Episode 323 : Alles Digitalisierung oder was?

Herzlich willkommen zu dem Podcast für Lean Interessierte, die in ihren Organisationen die kontinuierliche Verbesserung der Geschäftsprozesse und Abläufe anstreben, um Nutzen zu steigern, Ressourcen-Verbrauch zu reduzieren und damit Freiräume für echte Wertschöpfung zu schaffen. Für mehr Erfolg durch Kunden- und Mitarbeiterzufriedenheit, höhere Produktivität durch mehr Effektivität und Effizienz. An den Maschinen, im Außendienst, in den Büros bis zur Chefetage.

strong>Götz Müller: Heute habe ich Sebastian Jenensch bei mir im Podcast-Gespräch, schon das zweite Mal. Er ist der Geschäftsführer der JPS Software GmbH und auch dieses Mal hat das Thema, Digitalisierung, viel mit ihm, viel mit dem, was er anbietet, zu tun. Hallo Sebastian.

Sebastian Jenensch: Hallo Götz, grüß dich.

strong>Götz Müller: Ich habe schon ein kurzes Stichwort zu dir gesagt, für den Fall, dass nicht jeder die letzte Episode gehört hat, stell dich gerne nochmal ein in paar Sätzen vor.

Sebastian Jenensch: Ja, also Sebastian Jenensch, ich bin Gründer und Geschäftsführer der JPS Software GmbH und habe meine beruflichen Wurzeln oder Vergangenheit im Bereich eines Banken-Rechenzentrums für die Volks- und Raiffeisenbanken und habe mich natürlich da auch schon damals zum Zeitpunkt des Studiums sehr früh mit dem Thema Digitalisierung beziehungsweise Unterstützung von Geschäftsprozessen durch IT, in dem Fall natürlich eine Standard-Software für die Banken, beschäftigt und bin dementsprechend dadurch relativ nah an diesen ganzen Themenkomplex dran gewesen von Anbeginn.

strong>Götz Müller: Ja, und jetzt haben wir heute so ein, in Anführungszeichen, plattes Thema, nämlich Digitalisierung ganz im Allgemeinen. Da werden wir wahrscheinlich einen ziemlichen Rundumschlag haben und deshalb zum Einstieg aber mal deine Definition von Digitalisierung, die ganze Welt redet davon und jeder meint, glaube ich, schon immer ein bisschen was anderes.

Sebastian Jenensch: Ja, das stimmt in der Tat. Deshalb bin ich da auch ein bisschen vorsichtig bei dem Begriff selber. Also wenn wir jetzt von Digitalisierung reden, müssten wir eigentlich immer auch dann hinterher noch hinten anhängen, von was, also in dem Fall oder der wahrscheinlich aktuell häufigste Fall, wenn von Digitalisierung gesprochen wird, ist gemeint, die Digitalisierung von Geschäftsprozessen, also die IT-Unterstützung von Geschäftsprozessen. Wenn man Digitalisierung im Allgemeinen ausspricht, müsste man korrekterweise eigentlich eher davon reden, dass man sagt, ich habe die Ressource IT, in egal welcher Ausprägung, also Netzwerke, Internet, Rechnerleistung, KI und so weiter, und ich denke eher dann über die Digitalisierung von Geschäftsmodellen nach oder eben auch Outsourcing-Möglichkeiten oder andere Lösungsmöglichkeiten, um Nutzen zu stiften unter der Hinzunahme der IT als Ressource. Das führt aber natürlich in der Diskussion wesentlich weiter.

strong>Götz Müller: Ja, also ich habe … ich meine, wir hatten uns ja schon an anderer Stelle unterhalten, ich habe bei dir raus gehört, du hast auch dieses. Geschäftsmodell immer im Hinterkopf, so geht es mir im Grunde auch, aber ich glaube, ein bisschen überspitzt ausgedrückt, vielleicht sind wir zwei die einzigen und der Rest der Welt spricht halt eher über dieses Element, Geschäftsprozesse digitalisieren.

Sebastian Jenensch: Ich denke, das ist aktuell einfach aufgrund der Zeit und durch Corona und die entsprechenden Lockdowns und alles, was dann mit Online-Zusammenarbeit zu tun hatte, ist eine Digitalisierung jetzt wahrscheinlich allein deshalb schon mehr dieses Thema gemeint. Das kommt vielleicht auch zum Teil aus anderen Themenbereichen, wie zum Beispiel bei Dokumentenmanagementsystemen, da redet man ja auch immer vom digitalen Büro und darüber kann das ja wohl auch kulturell, sprachkulturell rübergeschwappt sein, dass man dann jetzt gemeinhin von Digitalisierung spricht, aber wie wir es in der Lehre haben oder eben auch im eher wissenschaftlichen Bereich, würde man hier von IT-Unterstützung sprechen beziehungsweise eben der Unterstützung durch EDV-Systeme.

strong>Götz Müller: Ja, und im Grunde reden wir dann eigentlich über nichts Neues, weil wir das sicher in einem stärker ausgeprägten Maße und mit einem breiteren Spektrum, was man alles, in Anführungszeichen, digitalisieren kann, aber im Grunde machen wir das seit Jahrzehnten.

Sebastian Jenensch: Richtig, also die Frage ist, wie scharf abgegrenzt man jetzt heute bei den Themen bleibt. Also wenn man jetzt wirklich sagen, man macht, was man schon seit Ewigkeiten macht, nämlich Prozesse durch IT unterstützen, sprich durch IT-Systeme und denkt nicht über den Tellerrand hinaus sozusagen, im Sinne von, was habe ich denn noch für Möglichkeiten, also ein Beispiel wäre ja zum Beispiel, ich kann Schulungsmaßnahmen ja auch aufzeichnen und könnte da sowas wie E-Learnings daraus machen, könnte dann aber auch meine eigene Arbeitszeit drastisch reduzieren im Verhältnis zu diesen typischen 1-zu-1-Modell, bei dem ich jede Schulung persönlich durchführe und kann dann so vielleicht das ganze Modell als Solches ändern, dann sind wir schon wieder im Digitalisierungsbegriff, wie wir ihn gerade angesprochen haben, dass ich über mein Geschäftsmodell nachdenke und überlege, wie kann ich denn die Möglichkeiten, die mir die IT heute bietet, da nutzen, um anders meine Leistung zu erbringen oder vielleicht effizienter meine Leistung zu erbringen oder auch schlichtweg aus Sicht des Kunden oder des Abnehmers auf eine angenehme Art und Weise oder eine schnellere Art und Weise, eine leichter zugängliche Art und Weise oder oder, also dementsprechend ist hier immer die Frage: Wie weit denke ich, wenn ich von diesem Begriff ausgehend, ich will meine Prozesse digital stützen, wo mache ich da die Grenze? Das geht dann schon ein bisschen in dieses Themenfeld Ideen-/Innovationsmanagement rein, im Sinne von: Wie weit dürfen wir denn denken? Lassen wir den Prozess so wie er ist und denken auch in denselben Grenzen oder überlegen wir uns tatsächlich komplett neue Szenarien und dann bist du natürlich schon wieder in diesem eigentlichen, wie ich ihn als ursprünglich empfinde, ursprünglichen Begriff Digitalisierung auch von Geschäftsmodellen.

strong>Götz Müller: Ja, gucken wir uns beide Elemente mal an. Fangen wir mal mit dem, ich habe jetzt mal hier den vielleicht ein bisschen übertrieben, überspitzten Begriff der Schmalspur-Digitalisierung gewählt und fangen wir mit dem an, weil ich glaube, das Breiterwerden oder das Umfangreicherwerden auch in Richtung Geschäftsmodell passt dann besser, wenn wir jetzt da anfangen. Was ist so deine Empfehlung auch schlichtweg, auf was sollte man achten, wenn man sich dieses Themas annimmt?

Sebastian Jenensch: Wenn wir jetzt bei dem Thema Prozess-Unterstützung durch IT sind, dann wäre das allererste Mal logischerweise, dass ich den Prozess als solches kenne und dort auch den Informationsfluss mit im Fokus habe, also da auch sehr darauf achte: Wie ist denn eigentlich der Informationsfluss über den Workflow hinweg, also über die einzelnen Aktivitäten hinweg? Wo werden welche Informationen erhoben, wo kommen sie rein, welche Möglichkeiten hätte ich noch, die vielleicht alternativ reinzubekommen, wo werden sie verarbeitet und wo wird daraus vielleicht hinterher ein Nutzen gezogen aus diesen Informationen? Also wo sind die Anbieter, die Informationsquellen, die Informationensenken oder die Datenquellen, Datensenken, in welcher Form auch, also im Sinne von haben wir noch Papier, arbeiten wir da mit E-Mails, arbeiten wir da mit Telefon, persönliches Gespräch? Also einfach diese Medienbrüche auch zu erkennen, das ist da sehr wichtig als allererster Schritt. Und dann habe ich im zweiten Schritt ein paar Fragen, die darauf aufbauen.

strong>Götz Müller: Also im Grunde, ich meine, du hast sowas, so einen Begriff wie Telefon verwendet oder sogar eben Papier, Medienbrüche. Also im Grunde reden wir doch, wenn wir man jetzt digital den Kontrast nimmt, über analoge Voraussetzungen.

Sebastian Jenensch: Also wenn man jetzt grundsätzlich mal im Sinne von Voraussetzungen sprechen, du hast ja immer meistens mehrere Kanäle an die Organisation oder an das Unternehmen, da gibt es natürlich auch den Telefonanruf und die Frage ist: Wie kann ich den denn dann kanalisieren in der Organisation? Also das Thema ist hier der Impulsgeber: Wie kommt der auf mich zu, wie kommt der Prozess rein und wie kann ich das denn dann hinterher möglichst reibungslos und verlustfrei oder ohne Doppelerfassung oder eben dementsprechend hinterher, wenn ich das dann durch ein digitales System stützen will, wie kriege ich das denn da in dieses System rein, diese Informationen beziehungsweise diese Daten? Besonders spannend ist aber erstmal die Frage vorweg: Wie weit will ich denn eigentlich automatisieren? Und das ist eigentlich die zweite Frage, nachdem ich die Medienbrüche kenne, nachdem ich den Informationsfluss kenne, nachdem ich die einzelnen Aktivitäten kenne, die eigentlich über den Zeitraum stattfinden, auch die Akteure kenne, vielleicht auch mit ihrem unterschiedlichen, nennen wir es mal IT-Knowhow, dann ist in dem Zusammenhang schon mal wichtig, dass ich auch in der Gruppe, da sind wir auch wieder beim Kaizen-Prinzip, dass die entscheiden die vor Ort sind, dass ich erst mal mir Gedanken mache, wie weit will ich denn eigentlich automatisieren. Also jetzt nutze ich mal bewusst den Begriff automatisieren statt digitalisieren oder statt Digitalisierung, da haben wir nämlich drei Stufen: Wir können voll automatisieren, das heißt, die Maschine mit KI oder ohne übernimmt einen Großteil der Business-Logik, also der Entscheidungen, und ich habe dann im Grunde das Paradigma, dass der Mensch der verlängerte Arm der Maschine ist. Oder ich gehe in eine Teilautomatisierung, da übernimmt die Maschine gewisse Automatismen, aber eben nicht die vielleicht auch relevanten Entscheidungen, also im Sinne von: Wenn wir jetzt die Vergabe von einem Kredit zum Beispiel nehmen, die Zusage oder Absage, da würde die Maschine nur empfehlen, würde aber letztlich vom Menschen tatsächlich entschieden, auf Basis der Informationen, die das System zur Verfügung stellt. Also da sind wir dann eher in der Form, da wäre das Paradigma, dass die Maschine so eine Art Werkzeug ist, also der Computer oder die IT in dem Fall, des Menschen und des Knowhow liegt dann bei ihm. Und dann haben wir noch eine dritte Stufe, die ich vielleicht gar nicht als Stufe bezeichnen möchte, das wäre nämlich dann ganz bewusst Teilausschnitte oder auch vielleicht sogar den ganzen Prozess manuell zu lassen, weil es einfach wenig Nutzen stiftet, das dann vielleicht digital zu stützen, also durch IT zu stützen. Und das ist erstmal eine ganz wichtige erste Entscheidung, dass ich sage: In welcher Form wollen wir das denn stützen durch IT? Wir hätten mehrere verschiedene Möglichkeiten und dazu brauchst du natürlich dann auch einen gewissen Überblick über die Möglichkeiten, die die IT überhaupt bietet.

strong>Götz Müller: Ja, und ich glaube, man sollte eben auch, zumindest wenn ich dann das Unternehmen, die Organisation, verlasse beziehungsweise die Welt da draußen mit einbeziehe, und das hattest du ja auch schon angedeutet, also sprich so etwas wie einen Kunden da mit im Boot habe, dann sollte ich auch mal dessen Blickwinkel einnehmen, ist zumindest meine Erfahrung und ich glaube, jeder der mal mit irgendeinem komischen Chatbot versucht hat, dem beizubringen, dass man halt nicht so ein triviales Problem hat, da hört es dann ganz schnell auf, ist jetzt auch von heute wieder meine Erfahrung gewesen.

Sebastian Jenensch: Richtig. Das ist ein ganz zentraler oder wesentlicher Punkt sogar, dass ich mir Gedanken mache, inwiefern kann ich das Ganze dann vielleicht auch durch bestimmte Kanäle auch verschlimmbessern. Das war aber auch die gleiche Thematik und die Entscheidung stellt sich heute Organisationen ja auch immer wieder, inwiefern ist es sinnvoll, ein Callcenter vorzuschalten oder direkt durch die Fachabteilung oder direkt in die Fachabteilung geleitet zu werden über einen entsprechenden Verteilmechanismus, was die Telefonanlage angeht. Also auch da ist ja die Entscheidung erstmal wichtig: Worauf lege ich mehr wert, was habe ich für ein Volumen, also wie viele Kontakte habe ich? Und das Gleiche ist dann eben, wenn es in Richtung Kunde geht auf der einen Seite, auf der Seite hast du ja noch andere wie Partner, Lieferanten und so weiter. Wie sind die denn momentan mit mir in Kontakt und wie kann ich diesen Kontaktweg angenehmer, effizienter oder effektiver gestalten? Das sind immer die gleichen Fragen, die man sich da einfach stellen sollte, um dann einfach nicht hinterher einfach nur wild drauf loszumachen, weil es halt geht. Also die Technik bietet uns da unendlich viele Möglichkeiten, die Sinnhaftigkeit müssen wir aber in jedem Einzelfall entscheiden und da müssen wir selbstverständlich die, die es betrifft, nämlich die, in dem Fall, von denen du jetzt sprachst, die Externen, also sprich die Kunden, Lieferanten, Partner, auch einbinden bis zu einem gewissen Grad. Also ich kann von einem Fall berichten, da wurden in einem Vertriebsnetzwerk die Zwischenhändler mit eingebunden und man wollte umstellen auf ein Portal, um dann darüber die Produktkataloge sozusagen digital auszuliefern und damit eben auch diesen Zugriff zu beschleunigen, dann auch ein bisschen mehr an Informationen im Rückkanal zu bekommen, welche Produkte laufen gut, welche laufen nicht so gut, schon direkt über die Kataloge selbst, auch über die Impressionen, also die Views dieser einzelnen Artikel, und die Problematik war da, dass die Zwischenhändler, wenn man sie direkt gefragt hat, eher gesagt haben, wir wollen doch lieber bei den Papierkatalogen bleiben, und das war aber da eher ein Change-Management-Thema. Und nicht ein Thema, inwiefern das sinnvoll oder nicht sinnvoll ist, durch die IT in dem Fall zu stützen, also sprich dann ein Portal zu machen, also seitens des Herstellers, das war absolut richtig, aber in dem Fall war es wichtiger, dann auch noch mal die Brille draufzuhaben, inwiefern haben wir hier den tatsächlichen typisches Veränderungsthema und müssen da dann auch entsprechend richtig handeln, in der Kommunikation als auch natürlich in der Vorgehensweise, dass wir die Widerstände da nicht unnötig vielleicht sogar mit erzeugen, zumindest mal diese Widerstände dann auch im Handling haben und dementsprechend da einfach auch zu einem sinnvollen Ergebnis kommen. Alle Digitalisierung, in Anführungszeichen, also alle IT-Unterstützung hilft nichts, wenn es hinterher nicht genutzt wird oder trotzdem der Alternativweg genutzt werden will.

strong>Götz Müller: Ja, und was dann durchaus ja noch schlimmer sein kann, ich meine, nicht umsonst gibt es ja den ziemlich klaren Begriff, meiner Ansicht nach, der Schatten-IT.

Sebastian Jenensch: Ja. Zwei Systeme ist auch eine Sache, habe ich auch schon erlebt in meiner beruflichen Praxis, dass das neue System bereits zur Verfügung steht und wir haben noch einen Überhangbetrieb von dem alten System für den Fall, dass irgendwas schief gegangen ist mit der Einführung des neuen Systems und dann wurde dieser Zeitraum der Nutzung dieses Altsystems immer wieder verlängert und auch hier wieder ein typisches Change-Thema. Zuallererst sagt dir zum Beispiel deine Anwender schafft: Wir wollen unbedingt ein neues System, das Alte ist so, wie es ist, nicht mehr zeitgemäß, finden wir nicht gut. Dann kommst du um die Ecke mit dem neuen System, kündigt das auch an und dann kriegst du plötzlich Feedback im Sinne von „Eigentlich sind wir nicht dafür, dass wir das jetzt ändern. Das alte System war doch ganz gut.“, also das sind hier wie gesagt eben eher diese Change-Themen, wo man natürlich auch mit im Blick haben sollte grundsätzlich, wenn ich irgendetwas an der IT-Infrastruktur verändern möchte, an der Art, wie ich eben meine Arbeit gestalte. Es ist ein Werkzeug und dementsprechend gebe ich jemandem ein neues Werkzeug. Dann sollte ich immer auch, ähnlich wie wenn ich jetzt jemandem in der Werkstatt ein neues Werkzeug gebe, ihm natürlich auch da ein bisschen Hilfestellung geben, im Sinne von, was haben wir uns dabei gedacht, was glauben wir, warum das besser ist, ihnen aber auch aktiv einzubeziehen im Sinne von: Liegen wir mit dieser Fragestellung richtig?

strong>Götz Müller: Ja, ich dachte, also das ist eine Variante, die ich gerade im Kopf hatte, ist, dass ich halt unter Umständen über Jahrzehnte hinweg, in einem Geschäftsprozesse, egal wie man jetzt IT-seitig mit dem umgeht, vielleicht noch nicht ganz so perfekt, wie es theoretisch sein könnte, aber dass sich dort eben über manchmal Jahre, Jahrzehnte hinweg eine Schatten-IT aufbaut, von der man, in Anführungszeichen, offiziell gar nichts weiß und dann will man vielleicht sogar digital diesen einen Schalter umlegen und dann merkt man plötzlich: Ups, da gibt es ja noch ein paar andere Sachen.

Sebastian Jenensch: Ach, das meinst du? Okay, also das habe ich jetzt tatsächlich Gott sei Dank noch nicht so erleben müssen, also dass man so gar nicht weiß, was man im Unternehmen an Software hat, ich kenne nur den Ansatz, dass man immer mal wieder, meistens nach Fusionen oder nach Zusammenschluss von verschiedenen Unternehmen oder Zukäufen, dass man dann sozusagen noch mal so etwas wie einen Benchmark macht und sagt: In welchem Bereich nutzen wir jetzt welche Tools? Wir haben hier vielleicht jetzt automatisch durch die Zukäufe, durch die Verbindung von zwei Unternehmen oder mehreren Unternehmen sogar jetzt für dieselbe Aufgabenstellung mehrere Lösungen. Welche ist denn aus unserer Sicht die ideale? Und da bist du natürlich wieder im ganz klassischen Prozessmanagement und auch in der Fragestellung natürlich, wie individuell will ich die einzelnen Gesellschaften halten und inwiefern ist es vielleicht sogar richtig, dass die jeweils unterschiedliche IT-Lösungen nutzen und muss dann wiederum mir Gedanken darüber machen, wie kopple ich die sinnvoll, also das dann da hinterher nicht auch wieder die Doppelerfassung stattfinden muss oder müsste und trotzdem Medienbrüche vielleicht sind oder die Datenqualität abnimmt oder oder … all diese Probleme sind sicherlich schon dem ein oder anderen Weg gelaufen.

strong>Götz Müller: Jetzt noch mal so ein bisschen ein Rundumschlag, wieder beide Digitalisierungen betrachtet: Was würdest du sagen, was sind also Dinge, die man, du hast schon ein ganz wichtiges Element genannt, den Change-Aspekt übersehen, was sind Dinge, die man, koste es, was es wolle, in Anführungszeichen, vermeiden sollte?

Sebastian Jenensch: Also das Wichtigste habe ich schon erwähnt gehabt ganz am Anfang: Nur weil es geht, muss man es nicht machen, also der allerwichtigste Rat, den man da geben kann, wenn es um so ein Projekt geht, dass ich sage, ich möchte einen oder mehrere Prozesse digital stützen, nicht auf Biegen und Brechen, nur weil es geht, da unbedingt ein IT-System einzusetzen, sondern wirklich da trennscharf zu sein und zu sagen: a) Müssen wir es überhaupt? b) wenn wir es tun wollen, in welcher Ausprägung, also teilautomatisiert oder vollautomatisiert? Wie weit wollen wir gehen? Weil in dem Moment, wo ich die Automatisierung hochschraube, also sprich den Automatisierungsgrad nach oben schraube, dämpfe ich automatisch die Kreativität der Mitarbeiter oder der Akteure, die an dem Prozess teilnehmen, einfach weil sie sich nicht mehr so sehr mit dem Prozess als solches beschäftigen, zwangsläufig, weil der Prozess liegt dann im IT-System, das ist dort abgebildet. Das vergibt dann einfach nur noch Einzelaufgaben oder bestimmte Items an den Mitarbeiter oder im ganz krassen Fall ist es dann zum Beispiel, wo dann einfach nur die Picker losgeschickt werden, um die Artikel XYZ aus dem Lager zu holen und dann aufs Band zu legen und den Rest macht die Maschine vollständig, da kommen nicht besonders viele Verbesserungsimpulse mehr. Und du verlierst bei einem hohen Automatisierungsgrad Innovationskraft. Und im Umkehrschluss lässt du es sehr manuell, hast du vielleicht eine höhere Fehlerquote, aber sehr viele Menschen, die mit dem Hirn sozusagen dabei sind, als auch das ist jedes Mal abzuwägen, wie weit will ich es treiben, wie wichtig ist mir jetzt eben dieses Paradigma „Mensch als verlängerter Arm der Maschine“ oder wie wichtig ist mir das andere Paradigma „Maschine als Werkzeug des Menschen, der wiederum nach wie vor da eben auch denkt und dann auch handelt“ und da muss ich ein entsprechendes Gleichgewicht finden, aber jeweils situativ und das kann eben auch sein, dass ein Prozess an bestimmten Stellen vollautomatisiere, an bestimmten Stellen aber auch dann nur teilautomatisiere oder sogar manuell lasse, ganz bewusst, weil ich eben diese Impulse, diese Verbesserungsimpulse auch aufgreifen möchte, um einfach am Zahn der Zeit zu bleiben. Weil nichts ist schlimmer als eine Vollautomatisierung in einem Umfeld, das sich verändert und du als Organisation kannst dich nicht in der nötigen gebotenen Geschwindigkeit verändern, weil deine Systeme zu starr sind und auch deine Mitarbeiter diesbezüglich gar keine Impulse mehr bringen, dass da vielleicht noch etwas anderes möglich wäre, also dass diese Kreativität fehlt. Dann verlierst du den Anschluss im Markt.

strong>Götz Müller: Ja, weil ich glaube eben, zumindest sind wir da noch nicht so weit, wie mein Eindruck ist, weil die Maschine selber halt nicht kreativ ist, wie man es dem Menschen zutrauen kann.

Sebastian Jenensch: Noch ist es auf jeden Fall nicht, richtig. Also so lange das nicht der Fall ist, ja, werden wir wahrscheinlich da immer noch natürlich, und das werden wir mit Sicherheit noch lange den Menschen brauchen, der dementsprechend, das geht ja letztlich auch nach wie vor Prozessmanagement und alles, was damit zu tun hat, also logischerweise, da geht es um die Zusammenarbeit zwischen Menschen. Wir reden hier nicht über Zusammenarbeit zwischen Maschinen, sondern Zusammenarbeit zwischen Menschen, und da ist gerade eben auch wichtig, wie kann ich dich, und das ist die zentrale Frage auch, wie kann ich dich oder euch als Gruppe, wie kann ich euch ideal mit dieser Ressource IT unterstützen, dass euch eure Arbeit leichter fällt. Es dürfte nie so sein, als dass dann eure Arbeit eintöniger wird und eure Arbeit langweiliger wird und … also all diese Aspekte würden hier kontraproduktiv wirken, mindestens mal auch mit der, also gibt es einen ganzen Rattenschwanz an Problemen, die du damit erzeugst, von der Identifikation mit dem eigenen Unternehmen, der Sinnhaftigkeit der eigenen Aufgabe und so weiter und so weiter. Also Digitalisierung kann gewaltig schiefgehen, wenn ich ein paar grundlegende Fragen nicht stelle beziehungsweise einfach die eigentlichen Selbstverständlichkeiten anfange, außer acht zu lassen und das vielleicht deshalb, weil ich gerade völlig im Detail versinke, im Sinne von „Welches System nehmen wir denn jetzt?“ und mich viel mehr mit der Software-Auswahl beschäftige als mit der grundlegenden Frage: Brauchen wir das überhaupt?

strong>Götz Müller: Mhm, ja, da möchte ich noch ein bisschen im Produktionskontext gibt es da, also in meiner Wahrnehmung, aber natürlich auch in guten und weniger guten Ausprägungen, dieses Postulat: Mach den Menschen nicht zum Sklaven der Maschine. Und jetzt habe ich das im Grunde genau das Gleiche auf der IT-Seite bei dir raus gehört. Da bin ich jetzt vielleicht, obwohl ich natürlich auch relativ hohe Affinitäten in das Thema rein habe, da bin ich jetzt eher ein bisschen Laie und deshalb da noch mal nachgefragt: Wie gelingt es und so gefühlt vielleicht, ja, bin mir aber unsicher, ob der Roboter, ich meine, da hat man ja etwas Physisches vor dem Auge, ob der an sich schon eine höhere Aufmerksamkeit auf die Problematik erregt oder ist die IT problematischer, dieses, den Menschen nicht zum Sklaven des Automaten machen?

Sebastian Jenensch: Ist im Grunde dasselbe, also ob du das jetzt in der Produktion machst, mit dieser Aussage ist es bei der IT im Grunde auch wieder dasselbe. Das hat vielleicht auch der ein oder andere auch schon mal erlebt, wenn du bei bestimmten Anbietern für nennen wir es mal Telekommunikationsdienstleistungen stehst und der Mitarbeiter fast hilflos fünf Minuten lang in den Systemen rumklickt, weil alles systemisch verdrahtet ist und der fünf verschiedene Accounts vielleicht sogar benötigt, um deine Fragestellungen zu beantworten oder zu bearbeiten, deine Aufgabenstellung zu bearbeiten, dann sind wir genau in diesem Umfeld, als dass zu viel des Prozesses in der IT abgebildet wurde und dadurch eben auch die Flexibilität ein Stück weit verloren gegangen ist und dementsprechend dann die Frustration, sowohl beim Kunden als auch beim Mitarbeiter auftritt. In dem Fall fühlst du dich wie ein Sklave, weil jetzt muss ich das machen, jetzt muss ich das machen, jetzt muss ich es dort eintragen, jetzt muss ich hier nochmal rüber und jetzt geht es gerade nicht, das System sagt, das macht es nicht. Warum macht das System das? Keine Ahnung. Jetzt rufe ich mal irgendwo an, um dann nachzufragen, warum jetzt das System gerade wieder sagt, das geht nicht. Ich habe keinen Überblick mehr über den Prozess, die Rahmenbedingungen, dann sagt mir der entsprechende Spezialisten: Nee, da hast du da oben einen anderen Wert einzutragen und wenn du das machst, dann hat das prozessual sozusagen erkannt, aha, das ist dieser und jener Sonderfall und dann darfst du dementsprechend weitermachen, wie du eigentlich vorhattest. Das ist dann das Gefühl, da fühlst du dich unfrei und das ist genau das, was ich als, in Anführungszeichen, gescheiterte Digitalisierung bezeichnen würde. In dem Moment, wo meine Arbeit aufwändiger geworden ist und weniger angenehm als sie vorher war, bevor diese Systeme eingeführt wurden. Und das ist sicherlich dann auch der wichtigste Ausgangspunkt, wenn ich so ein Vorhaben habe, was wollen wir erreichen, sich das auch wirklich mal klarzumachen: Wo wollen wir hin, was sind unsere Projektziele und was genau wollen wir hier für die verschiedenen Stakeholder erreichen? Und wenn wir das definiert haben, dann können wir hinterher uns auch dran machen, die entsprechenden IT-Lösungen uns anzuschauen und auch da ist wiederum wichtig, dass wir auch da den Überblick nicht verlieren. Grundsätzlich haben wir nämlich da auch unterschiedliche Lösungsarten. Also es muss nicht immer nur ein Software-Produkt sein, es muss auch nicht immer nur die Individual Softwareentwicklung sein, es gibt da mittlerweile auch noch einen dritten Ansatz.

strong>Götz Müller: Okay, da werde ich jetzt neugierig.

Sebastian Jenensch: Dieser dritte Ansatz nennt sich Plattform-Lösungen. Also wenn wir jetzt die Evolution uns anschauen, hattest du früher immer zwei Extreme sozusagen. Das eine ist eine komplett individuelle Entwicklung der Fachanwendung und das andere, also Abbildung des Prozesses oder Informationssystem einfach, also genau genommen ist Software ja nichts anderes, das sagt sie von Anfang an schon, elektronische Datenverarbeitung oder ein sogenanntes Informationssystem, Software war, noch nie, das steht auch im Namen selber, IT steht für Information Technology, da stand noch nie PT im Sinne von Process Technology drauf. Das heißt, die Systeme, die du da baust, sind grundsätzlich Informationssysteme, etwas anderes ist das in aller Regel sowieso nicht und jetzt hast du einen bestimmten Prozess fachlicher Natur dann zu unterstützen, gesagt, also was gibt es denn da am Markt für. Jetzt haben wir irgendwo hier das Thema cataloging, wir müssen irgendwie Kataloge erstellen, Produktkataloge und wir brauchen irgendwas fürs Produktdatenmanagement müssen da auch noch irgendwo das ganze Thema Layout und so weiter alles mitberücksichtigt kriegen. Also alles, was dazu gehört, auch mit den entsprechenden. Ausgabemedien, lange Rede kurzer Sinn: Gibt es eine passende Standard-Software? Das ist so die erste Frage. Gibt es da schon einen Standard? Gibt es da schon irgendein Produkt? Das ist meistens günstiger, kriege ich auch schneller und muss nicht erst noch warten, bis ich es dann irgendwann mal einführen kann bei mir im Unternehmen. Das war so die alte Welt, da war Individualsoftware noch nicht erfunden, wenn wir so wollen. Dann hat sich die IT gewandelt, Softwareentwicklung wurde effizienter, es wurde auch mehr vom ursprünglich sehr kreativen Beruf mehr zum ingenieursartigen Beruf, also inzwischen entwickelst du auf Basis von Komponenten, ganz ähnlich wie auch im Automobil-Bereich, dementsprechend hast du jetzt hier eine andere Möglichkeit, auch individuelle Dinge zu bauen. Und dann kam natürlich das Thema Individual-Software auf den Schirm. Man hat gesagt, jetzt haben wir eine zweite Möglichkeit, jetzt stellt sich die Frage nur noch: Make or Buy? Also kaufen wir etwas Fertiges und customizen das dann bis zu einem gewissen Grad oder bauen wir es von Null an, beginnen quasi neu, dann aber hochgradig ausgerichtet auf uns und es deckt genau das ab, was wir brauchen. Das war so diese klassische Schere und jetzt kommt das Dritte dazu. Jetzt sind wir endlich da. Das ist das Thema Plattform. Plattform ist im Grunde etwas, wo ich sagen kann, es gibt sogenannte Schablonen, über die ich dann also Templates, über die ich dann bestimmte Fachlichkeit reinpacken kann, in die Plattform und dort auch dann also sprich vorgangsbezogen arbeiten kann und auf dieser Basis dann dementsprechend voll- oder teilautomatisiert auch Prozesse leben kann über ein IT-System, welches in der Basis schon mal da ist und ich nur die Fachlichkeit draufsetzen muss, drüber planschen muss. Und wenn das dann so weit geht, dass diese Plattform auch in der Lage ist, die verschiedenen Anwendungsmasken dynamisch zu designen, so wie man das gewohnt ist von irgendeinem Malprogramm, dass man sagt: Hier will ich Knopf haben, hier will ich das Eingabefeld haben, da möchte ich das dann eine rote Warnung erscheint und so weiter und so weiter, wenn das so flexibel ist, dann ersetzt das den altherkömmlichen Individualsoftware-Entwicklungsansatz und das ist das Neue an der Stelle, weil man basiert da nicht bei null oder man setzt nicht bei null auf, sondern eben schon auf Basis dieser Plattform und vielleicht sogar auf Basis der Fachlichkeit, die andere bereits umgesetzt haben, im Sinne von diesen vorhandenen Schablonen, so ähnlich Word-Vorlagen, die du halt benutzen kannst, um dann dementsprechend nicht alles neu erfinden.

strong>Götz Müller: Auch wenn das Stichwort jetzt nicht fiel, aber ich vermute mal, dass es dann auch so Dinge sind wie Low Code, No Code.

Sebastian Jenensch: Tatsächlich in dem Fall, genau in dem Fall wäre es sogar ganz ohne Coding. Also es gibt da Beispiele, die mir auch bekannt sind, wo du tatsächlich nichts programmieren musst, wo du tatsächlich entsprechende Administrationsmasken hast für alles, wo auch versucht wurde, die IT-Begriffe zu vermenschlichen, also dann nicht mehr irgendwo String steht, sondern Zeichenkette, wo bestimmte Datentypen anders benannt wurden, sodass dann auch der Endanwender damit klarkommt. Also ein bisschen in Anlehnung an Excel, wobei Excel ist ja auch schon sehr technisch, wenn man so will, je nachdem wie tief man es nutzt, aber da ist eben auch das Ziel gewesen: Ich will den Kunden sozusagen die Möglichkeit geben, selber sich eben ihr System zusammenzubauen, ganz ohne, dass wir dafür irgendetwas programmieren müssen. Das war da der Ansatz oder die Zielsetzung dieser konkreten Plattform. Und da kam dann natürlich so eine Lösung hinterher dabei raus. Das hat sicherlich ihre großen Stärken, da eben gerade in dieser Flexibilität und natürlich auch, und das ist bei Digitalisierungsvorhaben sicherlich nicht zu vernachlässigen, unabhängig jetzt mal von dieser Plattform, aber ich muss ja auch ausprobieren, ob das, was ich mir überlegt habe, wenn ich das digital gestützt habe, ob das dann auch wirklich besser ist als die Zeit davor, also vorher. Ich sollte vielleicht irgendwie so eine Art Prototyping oder Testzeitraum auch einräumen und dann brauche ich ja eben eine schnelle Möglichkeit, es auszuprobieren. Da hilft es ja nichts, wenn ich ein halbes Jahr dann erstmal eine Software entwickeln lasse und dann nach diesem halben Jahr feststelle: Mist, das ist doch nicht das erwartete Ergebnis, das wir eigentlich im Blick hatten. Dann hast du Geld verbrannt und Zeit verbrannt.

strong>Götz Müller: Ja, und mir kommt gerade noch der Gedanke, ich habe natürlich auch da den, ein Stück weit den eingebauten Zwang, den Nutzer mit einzubeziehen, weil ich da halt nicht den Softwareentwickler, einen Applikationsentwickler irgendwo hinsetze und sage „Mach mal.“ und dann redet er mehr oder weniger gut mit den Anwendern und wenn er gut redet, funktioniert es wunderbar, wenn er nicht redet, kommt eine Katastrophe raus. Wenn ich jetzt auf so einer Plattform aufsetze und die Anwender im Grunde in die Erstellung mit einbeziehe, habe ich schon ganz automatisch den Zwang, das zu tun und bin dann, zumindest in meinem naiven Weltbild, natürlich fast schon gezwungen, ihn einzubeziehen, weil sonst passiert gar nichts.

Sebastian Jenensch: Ich bin nicht nur gezwungen einzubeziehen, sondern ich habe noch ein weiteres Potenzial, also das ist im Grunde jetzt auch wieder, sind wir ehrlich, nichts wirklich Neues, das ist im Prototyping auch so. Wenn du Systeme prototypisch entwickelst und die Nutzer beziehungsweise Anwender frühzeitig einbindest, dann hast du natürlich auch da aufgrund der Möglichkeiten, die sie dann sehen, so da auch transparent und offen mit umgehst, dass es auch alternative Möglichkeiten gibt, die folgende Funktionen umzusetzen, also ganz klassisch im Sinne der Nutzwertanalyse, dass du sagst, welchen Nutzen will ich stiften, welchen Nutzen gibt es dafür. Wenn ich diese verschiedene Möglichkeiten sehe, komme ich in die Diskussion. Und wenn du das frühzeitig tust, dann kannst du vielleicht alternative Wege einschlagen, die weit, vielleicht sogar viel effizienter und schneller umsetzbar sind als der ursprünglich angedachte Lösungsweg. Und das hast du nur im Sinne dieser frühen Einbindung und dementsprechend ist Prototyping im Rahmen von Digitalisierungsvorhaben sicherlich ein sehr, sehr wichtiges Thema.

strong>Götz Müller: Ja, und auch wenn du es jetzt nicht ausgedrückt hast, aber ich bin mir ziemlich sicher, dass du es mit gemeint hast. Ich habe natürlich hier wieder dieses schwierige Change-Thema schon fast vermieden, weil ich ja wieder ganz dicht dran am Anwender bin und den im Grunde fragen muss: Was brauchst du eigentlich?

Sebastian Jenensch: Das stimmt, ja.

strong>Götz Müller: Bis hin zu dem Schritt, dass er es ja ein Stück weit selber machen kann. Natürlich hat er damit auch eine höhere Verantwortung und er beißt sich dann unter Umständen selber irgendwo hin, wenn er merkt, okay, das war es jetzt doch nicht.

Sebastian Jenensch: Also grundsätzlich ja. Das ist natürlich selbstverständlich, das habe ich jetzt schon wieder unterschlagen, dieses Thema. Klar, Akzeptanz schaffe ich immer in dem Moment, wo ich jemanden, wenn es um Veränderungen geht, frühzeitig frage, wie kann ich dir dienen?, und damit mache ich ja durch alleine diese Fragestellung schon deutlich, dass das nicht nur ein Vorwand ist, um irgendwas wegzurationalisieren, sondern dass es hier tatsächlich darum geht, im Zentrum, in dem Fall Mitarbeiter, wie können wir die Arbeit erleichtern, und dazu brauchen wir auch deinen Input und da bist du auch wichtig und wir binden dich sogar aktiv in diesen Designprozess ein, sogar so aktiv, als dass wir von dir Vorschläge erwarten. Das ist natürlich noch mal eine Stufe mehr, aber auch hier müssen wir natürlich wieder ein Stück weit realistisch bleiben, immer mit dem richtigen situativen Blick, sprich: Wen kann ich denn wie stark mit in die Verantwortung nehmen? Manche wollen das nämlich auch gar nicht, diese Verantwortung zu übernehmen, die geben gerne Feedback, denen reicht auch diese Feedback-Rolle völlig aus und wieder andere, vielleicht sogar aus der Abteilung, im selben Bereich, vielleicht im selben Bildungsstand, haben in dem Zusammenhang ganz andere Ambitionen, und da muss ich dementsprechend, ganz klassische Führungsaufgaben, auch meine Leute einfach kennen und dann auch die passenden mit dazu nehmen.

strong>Götz Müller: Ja, und manchmal habe ich halt auch, nicht, dass ich selber verursacht habe, manchmal sind das ja Dinge, die irgendwo anders herkommen, um es mal neutral auszudrücken, man hat es den Menschen abtrainiert mitzudenken, so klassisch Taylorismus 2.0 oder 1.0, wenn man so will.

Sebastian Jenensch: Das wäre jetzt natürlich wieder der Antritt, wo jemand aus einer typischen Versenderwelt raus, wo Massenversand vorgenommen wird, der überhaupt gar nichts darf, außer die Schlagzahl einzuhalten, der kommt in den neuen Betrieb, hat dort eine ähnliche Aufgabenstellung und wundert sich, dass der Druck nicht so hoch ist. Der wird natürlich in dem Zusammenhang eine Weile brauchen, bis er akklimatisiert ist in dem Zusammenhang, und das geht nur durch Erleben und das ist eben wieder dasselbe, wie du selbst schon sagtest, also ich habe vielleicht selbst verursacht, er kommt mit dieser Prägung, mit diesem Bild, und dann kann ich auch nur eben durch das Tun und aber auch das Sichtbarmachen des Ganzen, und da sind wir bei einem weiteren Themenbereich bei der Digitalisierung oder Digitalisierungsprojekten oder Change-Projekte oder Vorhaben im Allgemeinen, das sollte man sowieso nicht Projekt nennen, weil Change setzt eigentlich voraus, wir wollen das schon dauerhaft machen, wenn ich das Projekt nenne, dann hat es einen Anfang und ein Ende, dann muss ich ja nur aussitzen und es geht vorbei, das ist ja auch Quatsch, also dementsprechend sollte ich natürlich das Ding vielleicht nicht unbedingt Projekt nennen und sagen, wir haben ein bestimmtes Vorhaben, wir wollen hier etwas verändern, dann ist natürlich auch ganz wichtig, dass ich in dem Zusammenhang die Menschen in der Form auch aktiv einbinde, als dass ich dann auch die Ergebnisse und die Feedbacks, die zurückkommen, transparent mache und die daraus resultierenden Entscheidungen und Entscheidungsbegründungen auch. Das heißt, ich bekomme da eine viel größere Verantwortung in diesem Bereich Kommunikation oder es ist auch wesentlich oder sehr wichtig und auch tatsächlich erfolgsentscheidend, inwiefern hinterher auch die Akzeptanz da ist und vor allem aber auch hinterher nicht aus diesem Prozess, der vorher, nennen wir ihn mal gut war, jetzt ein, ich sag mal Platz, digitaler Scheißprozess geworden ist, dann haben wir nichts gewonnen. Also wenn wir am Ende dastehen und sagen, jetzt haben wir das zwar durch IT unterstützt, aber an den Stellen klemmt es jetzt aufgrund des Systems, dort sind die Kunden unzufrieden aufgrund der komplexen Eingabemöglichkeiten oder der komplexen Benutzerführung, hier sind die Mitarbeiter frustriert, weil sie nicht mehr entscheiden können so wie früher, also nicht mehr abkürzen konnten, sozusagen, wenn klar war, was für ein Fall hier vorliegt, also was für ein konkreter Vorgang hier vorliegt. Das ist aber … alles schon erlebt, das passiert immer dann, wenn man eben die einzelnen Stakeholder, und das geht eben wie du selber auch schon sagtest, nicht nur bis Unternehmensgrenze, sondern eben auch über diese hinaus, wenn man die nicht vernünftig – vernünftig heißt eben rechtzeitig und vor allem auch transparent einbindet in diesem gesamten Entscheidungsprozess von der Erstidee bis hinterher zur finalen Umsetzung, muss ich dort, und das entspricht ja auch genau diesem Lean-Prinzip, dann muss ich eben sämtliche Beteiligte auch einbinden. Es geht nicht auf der rein planerischen grünen Wiese, als das dann hinterher wirklich besser wird.

strong>Götz Müller: Ja, dieses Stichwort Lean zum Schluss. Wenn ich so Richtung Uhr gucke, halbe Stunde, fand ich jetzt sehr spannend, sonst haben wir das außer an ein, zwei Stellen gar nicht verwendet, aber das hat mir jetzt auch wieder gezeigt, wie in anderen Episoden, wo wir so ein bisschen agil und Lean gegenübergestellt haben und dann im Grunde uns sprichwörtlich in die Arme gefallen sind, weil wir gesagt haben, es ist im Grunde überall das Gleiche und hier kam es für mich sehr deutlich raus, dass es im Produktionskontext und in diesem informationellen IT-Kontext auch da sehr, sehr viele Ähnlichkeiten gibt und über den Austausch man unheimlich viel lernen kann. Deshalb Sebastian, ich danke dir sehr für deine Zeit.

Sebastian Jenensch: Gerne, Götz und lass mich abschließend noch sagen, das ist vielleicht ein ganz wichtiger Hinweis an dem Punkt noch, die Digitalisierung ist keine IT-Aufgabe. Dieser Satz, der enthält sehr viel Wahrheit. Danke dir.

Götz Müller: Danke.

Das war die heutige Episode im Gespräch mit Sebastian Jenensch zum Thema Alles Digitalisierung oder was? Notizen und Links zur Episode finden Sie auf meiner Website unter dem Stichwort 323.

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Ich bin Götz Müller und das war Kaizen to go. Vielen Dank fürs Zuhören und Ihr Interesse. Ich wünsche Ihnen eine gute Zeit bis zur nächsten Episode. Und denken Sie immer daran, bei allem was Sie tun oder lassen, das Leben ist viel zu kurz, um es mit Verschwendung zu verbringen.

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