Standards in Seenot – Routine im Ernstfall

Die Überschrift dieses Artikel kann auf zwei Arten verstanden werden und das ist auch so gewollt. Letzte Woche war ich auf einem Absolvententreffen meiner IPMA-Ausbildung. Neben verschiedenen Vorträge (auch einer von mir über NLP im Projektmanagement) war ein Agendapunkt eine Reflektion über die größten Hürden der Projektarbeit. Die Erkenntnisse daraus lassen sich auch auf Prozesse übertragen und es ist wechselseitiges Lernen über Lösungsansätze möglich.

Ein Teilnehmer hatte im Vorfeld der Veranstaltung sechs Problemfelder identifiziert, die dann von allen Teilnehmern mit je drei Punkten priorisiert werden konnten. Gemeinsam auf Platz eins und zwei kamen Formulierungen, die beide den Aspekt des Überbordwerfens der bekannten Projektmanagement-Methoden und -Werkzeuge in Zeiten der hohen Arbeitsbelastung und des Stresses beinhalteten:

  • In der Hektik des Tagesgeschäfts werden eigentlich bekannte Best Practices des Projektmanagements immer wieder vernachlässigt.
  • Je höher der Termindruck, um so mehr werden definierte Prozesse verlassen.

Meine Schlussfolgerung aus diesen bekannten, jedoch noch nicht vollständig verstandenen Symptomen sind fehlende Standards, die wirklich auf die unbewusste Ebene der Routinen vorgedrungen sind. Unterm Strich entsteht durch diese Effekte auch keine reale Entlastung der Belastung und des Stresses. Es wird durch das Fluchverhalten nur versucht, die Energien auf vermeintlich notwendigere Aktivitäten zu lenken. In vielen Fällen entsteht eine Bugwelle oder es baut sich ein Tsunami auf, vor dem es kein Entrinnen gibt und der einen früher oder später dann mit schlimmeren Folgen einholt.

Der bessere Weg ist, sich schon im Vorfeld der Problematik bewusst zu sein und durch die Entwicklung von Routinen dem späteren Kontrollverlust entgegen zu wirken. Im Bereich des Kontinuierlichen Verbesserungsprozesses ist die Toyota Kata mit ihren Bestandteilen Verbesserungs-Kata und Coaching-Kata ein bewährter Weg in Organisationen unterschiedlichster Größe und Art die vielbeschworenen nachhaltigen Veränderungen zu erreichen. Auch Bereich des Projektmanagements lassen mit Sicherheit mit vergleichbaren Vorgehensweisen ähnliche Resultate erzielen.

Im Projektmanagement wird derzeit viel Wert auf Standardisierung der Prozesse gelegt, teilweise auch der PM-Schulen/Philosophien (PMI, IPMA/GPM, Prince2). Die Standardisierung ist sicherlich ein wertvoller Beitrag, lenkt allerdings m.E. die Energien – auch durch den unvermeidlichen Wettstreit zwischen den Welten – teilweise in die falsche Richtung. Mindestens genau so wichtig wäre es, auf einer Meta-Ebene Mechanismen anzustreben, die die Routinisierung unterstützen. Der schönste Standard ist nichts wert, wenn er bei aufkommender schwerer See als erster gewollt oder ungewollt über Bord geht. Das gilt für den KVP ebenso wie für das Projektmanagement. Deshalb ist es gerade in Zeiten der ruhigen See oder gar Flaute wichtig, die Seenotübungen abzuhalten. Im Sturm muss dann jeder Handgriff wie im Schlaf sitzen.

Ein entscheidender Einflussfaktor ist an dieser Stelle der Kapitän des Schiffes. Wenn er die Wichtigkeit der Seenotübungen nicht ernstnimmt und die aktive Teilnahme nicht selbst lebt, wird er auch bei Seenot als Erster ins Rettungsboot steigen. Dann kann er auch nicht von der Mannschaft verlangen, dass sie die Routinen einhält. Dieses Verhalten lässt sich eins zu eins auf Unternehmen und deren Führung übertragen. Bei allen Initiativen beobachten die Mitarbeiter sehr deutlich und aufmerksam die Unternehmensführung und das Verhalten des Managements unter dem Blickwinkel der Konsistenz von Wort und Tat. Veränderungen lassen sich nur dann umsetzen und sind beständig, wenn sie von ganz oben aktiv und sichtbar vorgelebt werden.

Frage: Welche Meta-Standards existieren in Ihrem Unternehmen? Wie konsequent werden sie auch von der Unternehmensleitung vorgelebt? Wo kann die Vorbildfunktion Veränderungen noch besser unterstützen?

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