Kaizen 2 go 179 : Fehlermanagement


 

Inhalt der Episode:

  • Wenn wir über Fehler sprechen, welche Situationen sind dann zu unterscheiden?
  • Was sind typische Fehlerursachen?
  • Was sind geeignete Methoden und Werkzeuge, um Fehler vor der Entstehung zu vermeiden, um sie zumindest frühzeitig zu entdecken, die Folgen zu vermeiden, die Ursachen zu entdecken?
  • Welche typischen Reaktionen auf Fehler treten immer wieder auf?
  • Wie lässt sich eine positive Fehlerkultur schaffen
  • Welche Wechselwirkungen bestehen zwischen einer positiven Fehlerkultur und der Null-Fehler-Strategie?
  • Wie lässt sich beides nutzen bzw. schaffen?
  • Welche Rolle spielt Vertrauen bei der Fehlerkultur?
  • Wie lässt sich das Lernen aus Fehlern systematisieren?

Notizen zur Episode:


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(Teil)automatisiertes Transkript

Kaizen 2 go 179 : Fehlermanagement

Herzlich willkommen zu dem Podcast für Lean Interessierte, die in ihren Organisationen die kontinuierliche Verbesserung der Geschäftsprozesse und Abläufe anstreben, um Nutzen zu steigern, Ressourcen-Verbrauch zu reduzieren und damit Freiräume für echte Wertschöpfung zu schaffen. Für mehr Erfolg durch Kunden- und Mitarbeiterzufriedenheit, höhere Produktivität durch mehr Effektivität und Effizienz. An den Maschinen, im Außendienst, in den Büros bis zur Chefetage.

Götz Müller: Heute habe ich Peter Cartus bei mir im Podcastgespräch. Er ist Six Sigma Master Black Belt mit der Weiterentwicklung zum Human Error Reduction Expert. Hallo Herr Cartus.

Peter Cartus: Ja, hallo Herr Müller. Vielen Dank für die Einladung zu diesem Podcast. Ich habe mich sehr gefreut, dass Sie mich zum Thema Umgang mit Fehlern angesprochen haben.

Götz Müller: Ja, das ist schon ein spannendes Thema. Ich habe schon ein bisschen was gesagt, vielleicht sagen Sie noch zwei, drei Sätze, wenn Sie möchten mehr zu sich als Person, speziell dann auch wie Sie eben zu dem Thema Fokus auf Fehler gekommen sind.

Peter Cartus: Ja. Ja, das war eine spannende Reise vom Master Black Belt zu dem, was ich heute mache. So ein Master Black Belt hat ja üblicherweise die Aufgabe Green-Belt-Projekte und Black-Belt-Projekte zu betreuen und der Fokus bei diesen Projekten liegt ja normalerweise auf chronischen Problemen sowie Kostenreduzierung, Reduzierung von Qualitätsmängeln, Verbesserung der Lieferpünktlichkeit, Verbesserung von Prozessparametern und so weiter und so weiter, aber da gab es dann mit der Zeit auch noch andere Herausforderungen. Da passierten nämlich Arbeitsunfälle oder da gab's Qualitätsmängel, wo eine ganze Tagesproduktion wegen einem Fehler an einem Bauteil nachgearbeitet werden musste. Oder da gab es Qualitätsfehler, die es erst beim Kunden entdeckt worden sind und da gab’s dann zusätzlich zu den Kosten noch die Kundenunzufriedenheit. Und da halfen dann die statistischen Werkzeuge, die wir in der Six-Sigma-Ausbildung gelernt haben, dann auch nicht mehr weiter ja und das Ergebnis der Ursachenanalyse bei solchen Vorfällen war dann in der Regel „Mitarbeiterfehler“, ja. Nach Meinung der Vorgesetzten muss also ein Mitarbeiter irgendwie unaufmerksam, nachlässig gewesen sein, falsch gehandelt oder gegen Regeln verstoßen haben. Und die Standardlösung bei diesem Mitarbeiterfehlern, die war dann üblicherweise eine Ermahnung, doch besser aufzupassen, nochmaliges Training, noch kompliziertere Arbeitsanweisungen, noch ein Hinweisschild hier, noch ein Verbotsschild dort, eine Belehrung der gesamten Mannschaft, doch besser aufzupassen. Ja und das Ergebnis, nach kurzer Zeit passierte der gleiche Fehler oder ein ähnlicher Fehler wieder durch denselben oder durch einen anderen Mitarbeiter und die Unzufriedenheit im Unternehmen war sehr groß.

Götz Müller: Ja. Da entsinne ich mich ganz dunkel an ein Fehlermeldeformular, wo es dann einen Kasten gab zum Ankreuzen „Soll Gehaltsabzug erfolgen?“, das ist natürlich auch eine unheimlich motivierende Geschichte.

Peter Cartus: Ja, super. Ja und was machen wir, wenn wir da irgendwie nicht weiterkommen heutzutage? Man geht ins Internet, ja. Das habe ich dann also auch mal gemacht und mich mal informiert, was ist denn da los hier mit den menschlichen Fehlern, mit den Mitarbeiterfehlern, ja, und da bin ich dann auf solche Begriffe gestoßen wie Human Error, Human Factor oder organisatorisches Versagen. Da habe ich mich gefragt, was ist denn da los hier und da lief mir der alte Demming auch über den Weg und der hat schon vor langer, langer Zeit gesagt hier, dass mindestens 85% aller Fehler von einem mangelhaften System und nicht vom einzelnen Mitarbeiter verursacht wurden beziehungsweise werden. Und jetzt ist die Frage, ja, was mache ich jetzt mit dem Wissen, wie gehe ich denn jetzt mit den Fehlern um? Und dann musste ich extra nach Manchester in England, um an einem Training über Human Error mal teilzunehmen, in Deutschland gab es zu der Zeit das doch gar nicht, und dort habe ich dann erfahren, warum passieren Fehler, was geht hier in unserem Oberstübchen im Kopf denn vor. Was ist die Rolle des Unterbewusstseins und des Bewusstseins und vor allen Dingen, welche Techniken sind geeignet, um aus diesen Fehlern zu lernen und wie kann man die menschlichen Fehler vermeiden?

Götz Müller: Vielleicht, bevor wir da ganz tief einsteigen, ich glaube, das wird unheimlich spannend, mal am Anfang zum Einstieg, wenn wir über Fehler sprechen, was für Situationen sind denn so klassisch zu unterscheiden?

Peter Cartus: Ja. Da hat der James Reason, das ist also so ein bekannter Fehlerforscher, ein schönes Modell entwickelt, es gibt noch andere Modelle, aber das gefällt mir am besten. Er unterscheidet zwischen drei Arten von Fehlern, das sind also einmal die Ausführungsfehler. Das sind die Fehler, wo Sie also etwas falsch machen, aber unbewusst und unbeabsichtigt- Beispielsweise wenn sie durch die Werkstatt gehen, stolpern über einen Schlauch am Boden, weil Sie einfach nicht aufgepasst haben oder was Ihnen vielleicht auch mal passiert ist, so in den ersten Tagen eines neuen Jahres, da schreiben Sie anstatt der neuen Jahreszahl noch die alte Jahreszahl. Das ist also einfach in unserem Unterbewusstsein drin, Sie machen das unbewusst, unbeabsichtigt, das sind so antrainierte Verhaltensmuster. Oder wenn Sie in Gedanken in die falsche Kiste mit Schrauben greifen oder was wahrscheinlich Ihnen auch schon passiert ist, oder zumindest mir ist es passiert, Sie werden auf der Autobahn geblitzt, weil sie zu schnell sind. Warum? Weil SIe mit den Gedanken ganz woanders waren und nicht aufgepasst haben. So. Dann haben wir da noch die sogenannten Patzer, da vergessen Sie einfach irgendetwas. Beispielsweise, wie das mir also auch schon mal öfters passiert ist da, Sie werden in den Keller geschickt, um fünf Teile zu holen, fünf Sachen zu holen und kommen wieder zurück und eins hat man vergessen. Oder was man auch häufig sieht, an den Autobahnen, da wird vergessen, das Pannendreieck wieder mitzunehmen, das steht dann einfach da, das hat man vergessen. Oder solche einfachen Sachen, wo sie an der Kaffeemaschine in Gedanken auf den Espresso-Knopf anstatt auf den Cappuccino Knopf drücken. Da vergessen Sie einfach irgendetwas zu tun. Das war also die erste Kategorie, die sogenannten Ausführungsfehler. Die zweite Kategorie, das sind die sogenannten Planungsfehler, wie der James Reason die genannt hat, da führen Sie eine Handlung bewusst und beabsichtigt aus, aber machen es trotzdem falsch. Da fallen zum Beispiel die ganzen Fehler darunter, die so Fahranfänger durchführen, wegen mangelnder Fahrpraxis- Beispielsweise wenn Sie den Überholvorgang starten und sie schätzen die Geschwindigkeit des Gegenverkehrs falsch ein und kommen gerade noch mal auf die rechte Seite wieder zurück, weil der Überholte abgebremst hat, da haben sie zwar einen richtigen Plan gehabt, nämlich ein Fahrzeug zu überholen, aber haben die Situation falsch eingeschätzt und dann beinahe einen Unfall verursacht. Oder ein anderes Beispiel ist, wenn Sie in der Küche einen Fettbrand haben und Sie löschen das mit Wasser. Das sollte man also tunlichst vermeiden, da wenden Sie also eine falsche Regel an. Und dann gibt es noch die wissensbasierten Fehler, die gehören auch zu diesen Planungsfehlern. Da wissen Sie einfach etwas nicht und schätzen die Situation falsch ein, was Sie denn in einer bestimmten Situation machen müssen. Beispielsweise ist mir mal passiert, ich hatte einen Anhänger, den habe ich bis zum zulässigen Gesamtgewicht beladen und die Höchstgeschwindigkeit bei diesem Anhänger war ja achtzig Stundenkilometer, aber schon bei fünfzig fing der an zu schlingern. Großer Schreck und schnell so auf die Bremse und dann war es wieder gut. Was war die Ursache? Ich habe nicht auf den Schwerpunkt geachtet, der war zu hoch und also war das Fahrzeuge, der Anhänger, falsch beladen. Oder ein anderes Beispiel, ein Mitarbeiter, der ein tonnenschweres Bauteil zum ersten Mal von A nach B mit dem Kran transportieren soll, der halt noch nicht so viel Erfahrung hat, wenn das Bauteil auf einmal anfängt zu schwingen und eine Maschine beschädigt, dann ist die Ursache zu stark beschleunigt, zu schnell, einfach aus mangelnder Erfahrung. Das sind diese wissensbasierten Fehler, die halt vorkommen können. Und als drittes sind diese Regelverstöße, wo sie also eine fehlerhafte Handlung bewusst und beabsichtigt ausführen, beispielsweise Ihre persönliche Schutzausrüstung aus Bequemlichkeit nicht zu tragen oder als Gabelstaplerfahrer, weil Sie die Last auf der Palette nicht festgezurrt haben und die fällt dann runter, nur weil alles etwas schnell gehen musste. Das sind also solche Regelverstöße, wo aber auch der Vorgesetzte beachten sollte, warum hat der Mitarbeiter in der jeweiligen Situation so und nicht anders gehandelt. Das ist so die erste Stufe dann zur Ursachenanalyse, wenn es dann um die Fehler von Mitarbeitern geht, denn beispielsweise bei dem Routineverstoß, wo die persönliche Schutzausrüstung aus Bequemlichkeit nicht getragen wird, wenn der Vorgesetzte zum ersten Mal das akzeptiert, dann wird so eine Regelverletzung in der Regel schnell zur Routine. Das heißt ja also, das wird dann akzeptiert durch den Vorgesetzten und die Regelverstöße werden zur Norm. Da sieht man also wie wichtig es ist hier, dass der Vorgesetzte die Hintergründe weiß, warum ein Mitarbeiter gehandelt hat, in der jeweiligen Situation, so und nicht anders.

Götz Müller: Jetzt waren für mich da schon einige Fehlerursachen mit drin, was sind jetzt geeignete Methoden und Werkzeuge, um Ursachen zu finden beziehungsweise im Idealfall Fehler vor der Entstehung zu vermeiden oder frühzeitig zu entdecken.

Peter Cartus: Ja, ich fange mal mit dem letzten an, Fehler zu vermeiden. Da gibt's also verschiedene Möglichkeiten, wie man das hinbekommt. Einmal das Simultaneous Engineering. Das ist also eine Möglichkeit schon in der Konzeptionsphase drauf zu achten, dass durch technische Vorkehrungen oder ein fertigungsgerechtes Design Fehler vermieden werden, beispielsweise durch Poka-Yoke-Maßnahmen, ja. Oder sie haben die Prozess-FMEA, wo sie bei der Prozessplanung schon auf das Thema Human Factor achten, also auf das Arbeitsumfeld, die Betriebsausstattung, was braucht man an Werkzeugen, wie sieht das mit der Temperatur, der Beleuchtung, Zugluft aus und welche weichen Poka-Yoke-Maßnahmen können Sie hier installieren, beispielsweise wie Checklisten oder verständliche Arbeitsanweisung und visuelle Hilfen. Ja, und dann natürlich auch dann von der Organisation her, die Teamzusammenstellung, darauf zu achten, dass dort eine gute Zusammenarbeit im Team herrscht, dass der Vorgesetzte in der Lage ist, hier dieses Team auch zu führen. Dass dafür gesorgt wird, dass die Materialzuführung klappt, dass es also nicht mit Materialmängel immer zu Prozessstörungen kommt und so weiter und so weiter und dann natürlich bei Arbeitsunfällen, um Arbeitsunfälle vorzubeugen, die Gefährdungsbeurteilung, aber die müssen Sie ja vom Gesetz her sowieso jedes Jahr machen beziehungsweise regelmäßig reviewen.

Götz Müller: Auch so einen kleinen Aspekt haben Sie schon angedeutet, was sind so typische Reaktionen auf Fehler zum Beispiel seitens des Vorgesetzten? Und vielleicht sogar eben auch, was sollte man eher vermeiden als Reaktion.

Peter Cartus: Ja. Stellen Sie sich vor, Sie sitzen als Abteilungsleiter im Büro und bekommen den Anruf, draußen im Hof, da liegt der Gabelstapler umgekippt. Was ist so die erste Reaktion, die man so in den Unternehmen vorfindet? Die Frage Nummer eins ist „Wer war das?“, ja. Das heißt also, es wird das Ergebnis dieser Handlung, dieser umgekippte Gabelstapler, der wird einer Person am scharfen Ende der Prozesskette, wie das so schön heißt, hier zugeordnet und alle fokussieren sich auf den einen Mitarbeiter und unterstellen dann Unaufmerksamkeit, Nachlässigkeit, Fehlverhalten und das ist auch unter dem Thema Sündenbockmentalität oft zu sehen, auf Neudeutsch naming, claiming und shaming. Der Glaubenssatz halt vieler Vorgesetzte ist „Bei uns ist technisch und organisatorisch alles in Ordnung, wenn nur die Mitarbeiter nicht wären“, ja, das hört man also dann sehr oft hier in solchen Fällen und dann versucht man durch disziplinäre Maßnahmen solche Vorkommnisse zukünftig zu verhindern und da gibt's dann Ermahnung, Verwarnung, Verweis und Abmahnung und in ganz schwerwiegenden Fällen, wo also ein kleiner Fehler sogar zu einer tödlichen Verletzung von anderen geführt hat, dann sieht man da oft das Faule-Apfel-Syndrom nach dem Motto „Wenn wir den Mitarbeiter, dem der Fehler passiert ist, jetzt aussortieren, dann ist alles in Ordnung.“, was natürlich nicht der Fall ist, ja. Woher kommt diese Sichtweise? Das ist halt die einfachste und effizienteste Art der Fehlerursachen für den ein oder anderen, die latenten Ursachen in der Organisationen, die zu identifizieren und das kostet Zeit und Mühe und die kann man sich sparen, wenn man dann einen Schuldigen präsentieren kann und das wird vor allen Dingen in der Öffentlichkeit gerne gemacht. Denn wenn Sie in den Medien von einem Unfall, von einem Arbeitsunfall hören, da gibt es immer die erste Frage, war es technisches oder menschliches Versagen und wenn technisches Versagen ausgeschlossen werden kann, dann bleibt immer nur menschliches Versagen übrig, aber organisatorisches Versagen, das gibt es im deutschen Sprachgebrauch nicht.

Götz Müller: Ja, da kann ich mir sehr gut vorstellen, dass es aufgrund solcher Reaktionen dann zu Folgereaktion kommt, dass ich halt den Fehler verschleiere.

Peter Cartus: Ja. Und das geht auch ganz anders. Beispielsweise bei Flugunfällen, ja, oder sogar bei Zwischenfällen, wo noch nichts passiert ist, da wird durch das Luftfahrt-Bundesamt hier eine umfassende Untersuchung von dem Mensch, der da beteiligt war, der Arbeitsumgebung, der Umwelteinflüsse, des Regelwerks und der Organisation durchgeführt. Da hat man also in der Luftfahrt gelernt, dass man durch eine systematische und strukturierte Untersuchung der Vorfälle Fehlerquellen in der Organisation auch identifizieren kann und wenn diese dann eliminiert werden, dann auch dadurch Fehler vermeiden.

Götz Müller: Ja, da habe ich jetzt gerade heute zufällig einen Artikel gelesen von dem Podcast-Gesprächspartner vor einiger Zeit, der ist Flugkapitän und der hat also in dem Artikel geschrieben, gerade im Luftverkehr sind es halt Fehlerketten. Das heißt, der einzelne Fehler ist unter Umständen gar nicht so dramatisch, nur wenn es dann halt zu Begleiterscheinungen zu Folgefehlern kommt, dann versagt irgendwann das System.

Peter Cartus: Ja, das ist in der Arbeitswelt, das heißt in der Industrie genau das Gleiche, je größer der Fehler ist hier, umso länger ist die Ursachenkette. Da können sich das vorstellen, wie eine Dominosteinkette, wenn der erste Stein umkippt, ja, dann führt sich das weiter bis zu dem, wie ich eben sagte, zu dem scharfen Ende, bis zu dem letzten Stein, der dann umkippt und dann unter Umständen durch einen kleinen Fehler eine Katastrophe auslösen. Und die Kunst ist jetzt, diese latenten Ursachen, also diese Steine so weit wie möglich zu entfernen, dass also ein kleiner Auslöser, ein unbedeutender Auslöser, nicht zu dieser Kettenreaktion führt und am scharfen Ende dann der Fehler eine Katastrophe auslöst oder einen unerwünschten Effekt.

Götz Müller: Ja. Ich glaube, das ist dann eben der Punkt, wo man darauf bauen muss, dass die Menschen halt bereit sind, Fehler zuzugeben, weil sie wissen, dass sie jetzt nicht gleich sprichwörtlich einen Kopf kürzer gemacht werden.
Peter Cartus: Absolut.

Götz Müller: Ja, da steckt schon diesem Punkt Potential drin und so eine Sache, die mir in letzter Zeit immer wieder begegnet, so dieser Aspekt Fehlerkultur. Andererseits haben wir natürlich, mir ist es das allererste Mal zu meinen Bosch-Zeiten, Robert Bosch, Null-Fehler-Strategie und so weiter, das ist ja aus meiner Ansicht nach ein Stück weit ein Spannungsfeld, in den sich der Mensch da auch bewegt. Einerseits positive Fehlerkultur, Fehler zugeben, andererseits Null-Fehler-Strategie. Wie kriegt man das Ihrer Ansicht nach unter einen Hut?

Peter Cartus: Ja, also Fehlerkultur und Fehlermanagement, das heißt der praktische Umgang mit Fehlern, die gehören absolut zusammen, ja. Wenn Sie keine Fehlerkultur haben, das heißt also keinen offener Umgang mit Fehlern, dann werden diese Fehler auch nicht gemeldet, weil sie vertuscht werden und Sie haben keine Chance hier irgendetwas an den Prozessen zu verbessern. Also Fehlerkultur und Fehlermanagement, das geht nur zusammen. Eine Fehlerkultur ohne Fehlermanagement geht nicht und kein Fehlermanagement ohne Fehlerkultur. Denn wenn Sie die Problemlösungswerkzeuge anwenden, und es existiert kein offener Umgang mit Fehlern, dann gibt es keine Ergebnisse, weil Fehler nicht gemeldet werden und Sie keine Chance haben, sie auch dann zu analysieren und aus diesen Fehlern zu lernen. Aber wenn Sie eine offene Fehlerkultur haben und Sie haben keine Kenntnis über die entsprechenden Problemlösungswerkzeuge, das heißt also, Sie wenden falsche Werkzeuge an, dann identifizieren Sie unter Umständen Ursachen, die mit dem Fehler gar nichts zu tun haben, ja, und insofern ist es also auch wichtig hier zu wissen, mit welchen Werkzeugen gehe ich bei der Fehlerursachenanalyse bei Einzelvorfällen vor. Das ist ja etwas unterschiedlich, wie ich am Anfang sagte, zu den Six-Sigma-Werkzeugen, wo es mehr um die Auswertung von Datenmengen geht mit statistischen Werkzeugen. Das gibt es bei Einzelvorfällen nicht, bei Arbeitsunfällen beispielsweise. Das ist ein Event, ein Vorfall und hier geht es darum, die kausalen Ursache-Wirkungs-Prinzipien zu identifizieren und dann auch die Ursachen zu eliminieren, die zu diesem einen Fehler geführt haben und dann sind Sie auf dem richtigen Weg. Also Sie müssen auch die richtigen Werkzeuge beherrschen.

Götz Müller: Ich möchte den Punkt Fehlerkultur noch ein bisschen vertiefen. Kultur im Allgemeinen heißt es ja schön ja, muss ich die Kultur verändern. Jetzt ist es ja nicht so einfach. Was ist da Ihre Empfehlung, Ihr Ansatz, wie gelingt das?

Peter Cartus: Ja, die Fehlerkultur ist nicht so einfach umzusetzen, die erste Voraussetzung, die geschaffen werden muss, ist, dass die oberste Leitung es will. Es hängt also alles von der obersten Leitung ab, die die Veränderung haben möchte, ja. Wenn die Geschäftsführung nicht dahinter steht, das ist wie bei Veränderungsmanagement im Allgemeinen, dann ist es sehr schwierig die Mannschaft für irgendwelche Veränderung zu begeistern. Das Zweite, was bei dem Umgang mit Fehlern meiner Ansicht nach berücksichtigt werden muss, ist die sogenannte Sanktionsfreiheit. Das heißt also, der Mitarbeiter muss das Gefühl haben, dass wenn er aus dem Nähkästchen plaudert, ihm keine Nachteile daraus entstehen, ja. Denn wenn er befürchten muss, dass, wie bei einer Gerichtsverhandlung, er bestraft wird, dann wird er sich hüten, Dinge zu sagen, die ihm vielleicht zum Nachteil führen.

Götz Müller: Da höre ich jetzt auch raus, dass da unendlich viel Vertrauen drin steckt, weil ich ja im Grunde erst dann weiß, wenn ich den Fehler offenbare, wenn ich also zugebe „Ja, ich habe etwas verbockt.“, weil ich dann ja erst weiß, wie sieht die Reaktion aus.

Peter Cartus: Ganz genau. Ohne Vertrauen gibt es keine Fehlermeldung, da werden sich die Mitarbeiter nicht trauen, Fehler anzusprechen beziehungsweise zu melden und zu kommunizieren, dass es irgendwo eine Schwachstelle gibt, ja, und wenn Sie keine Fehlermeldung haben und Sie wissen nicht, welche Fehler passieren, dann haben sie auch keine Chance aus Fehlern zu lernen und wenn sie nicht aus Fehler lernen, können Sie keine Fehler vermeiden. Wenn Sie keine Fehler vermeiden, können Sie auch keine Prozesse verbessern. Ja, und wenn Sie die Prozesse nicht verbessern, dann gibt's auch keine Reduzierung der Arbeitsunfälle und der Cost of Poor Quality, sprich also Nacharbeit und Ausschusskosten.

Götz Müller: Ja, das möchte ich noch ein bisschen vertiefen, ich könnte mir vorstellen, der ein oder andere Zuhörer, der vielleicht selber Führungskraft ist, der zuckt jetzt mit den Schultern und sagt „Ja, wie mache ich denn das? Wie schaffe ich denn Vertrauen?“

Peter Cartus: Ja. Vertrauen schaffe ich, dass ich also wie gesagt offen über Fehler sprechen kann, dass die Vorgesetzten vorbildlich hier handeln, dass die Vorgesetzten zugeben, wenn Sie eigene Fehler machen, der eigenen Mannschaft erläutern, warum Sie in einer bestimmten Situation so und nicht anders gehandelt haben und da fällt den Vorgesetzten kein Zacken aus der Krone. Ja, dann sollten die Vorgesetzten auch lernen, systematisch mit der Fehlerursache umzugehen. Das heißt also dann auch bereit sein, über die eigenen Leichen im Keller zu sprechen, warum an diesen Problemen nicht gearbeitet wird und so weiter und dort auch nichts vertuschen und natürlich müssen dann die Vorgesetzten auch an ihren eigenen Gewohnheiten arbeiten, sprich also keine Regelverletzungen mehr akzeptieren oder Konflikten mit Mitarbeitern oder anderen Abteilungen bei Regelverletzungen nicht aus dem Weg gehen und wie ich eben schon sagte, auch die Schwachstellen im eigenen Verantwortungsbereich einpacken und die Mitarbeiter für den konstruktiven Umgang mit Fehlern befähigen und unterstützen, sprich ihnen also hier eine Qualifikation zu geben, sprich wie man denn mit Fehlern umgehen kann, das wird in den Teams dann mehr oder weniger nur die kleineren Fehler sein, aber auch Kleinvieh macht ja Mist, wie man so schön im Deutschen sagt hier und als Letztes ein Vorschlag, das Verbesserungsvorschlagswesen. Hier ist eine große Chance auf Ideen, die Ideen der Mitarbeiter umzusetzen, wo es ja in der Regel um Schwachstellen in Prozessen geht. Und Schwachstellen in den Prozessen sind auch dann immer potenzielle Fehlerquellen und das ist also ein hervorragendes Instrument, um dann auch Fehler zu vermeiden. Und da muss der Vorgesetzte natürlich entsprechend pro-aktiv vorgehen.

Götz Müller: Sie haben auch angedeutet, dieses Lernen aus Fehlern, und ich habe rausgehört, systematisieren, das möchte ich so zum Abschluss noch ein bisschen vertiefen. Wie lässt sich das Lernen aus Fehlern systematisieren?

Peter Cartus: Die erste Maßnahme sollte sein Fehler zu kategorisieren und zu visualisieren, damit bekannt ist, welche Fehler passieren wo und wie oft, dann sollten die Fehlerfolgen, sprich also die Nacharbeitskosten und die Ausschusskosten systematisch erfasst werden, dann sollte das Fehlermeldesystem, anonymisiert natürlich, installiert werden, damit also auch dann die Fehler, wenn sie dann passieren dann auch richtig gesammelt werden und visualisiert werden können. Ja und dann geht es halt darum, die Fehlerursachen systematisch zu analysieren und die Verbesserung zu entwickeln und umzusetzen. Ein weiterer Punkt wäre dann die Fehlerursachen systematisch zu analysieren und Verbesserung zu entwickeln und umzusetzen. Ja, beispielsweise durch Fehlerreflexion, wo also dann Vorgesetzte und Mitarbeiter über Fehler sprechen, warum ist was passiert, was war die Ursache oder bei kleineren Fehlern, dass eine Fehlerreflexion im Team durchgeführt wird, das dort über die Fehler gesprochen wird, hier die Ursachen offen angesprochen werden und Verbesserungsmaßnahmen daraus abgeleitet werden oder dann die Fehlerursachenanalyse durchgeführt wird bei komplexen Prozessen durch Problemlösungsteams, beispielsweise mit einem 8D oder einem A3-Prozess und dann auch die Fehlerursachenanalyse systematisch und strukturiert durchgeführt wird, nämlich dass ich hier, wie ähnlich bin mit dem D-Prozess hier eine ordentliche Problemdefinition mache, was ist eigentlich das Problem, was hier aufgetaucht ist, dann eine Problemanalyse und auch dann eine ordentliche Verbesserung, dass also kein blinder Aktionismus oder keine Verbesserungsmaßnahmen ohne Kenntnis der Ursachen dann initiiert und umgesetzt werden.

Götz Müller: Ja das ist auch so ein Punkt, der in meiner Wahrnehmung zu kurz kommt und speziell wenn es dann halt um Fehler geht und man vermeintlich den Faktor Mensch einbezieht, dann haut man halt drauf, in dem blinden Glauben, damit das Fehlerproblem erkannt zu haben, nämlich den Menschen, aber im Grunde ist dann doch etwas Anderes.

Peter Cartus: Genau. Das ist der Grund, wenn also eine Fehleranalyse nicht die wirklich relevanten Ursachen identifiziert und diese dann auch systematisch eliminiert werden.

Götz Müller: Ja. Also ich denke, es hängt viel von den beteiligten Menschen, von den Vorgesetzten ab. Ich habe durchaus auch so die Aussage schon gehört, sich einfach mal für das Melden eines Fehlers zu bedanken, im Sinne von Vertrauen schaffen.

Peter Cartus: Ein offener Umgang mit Fehlern, zwischen Vorgesetzten und Mitarbeitern offen zu diskutieren, warum sie entstanden sind und den Mitarbeiter zu verstehen, warum er, wie gesagt, in der jeweiligen Situation so oder so gehandelt hat. Das bringt beide schon sehr viel weiter, an der Fehlerkultur zu arbeiten und an dem Fehlermanagement zu arbeiten, damit also Fehler in Zukunft vermieden werden.

Götz Müller: Und ich glaube, man muss an der Stelle eben, auch wenn es sonst immer so ein bisschen als Tugend dargestellt wird, ich glaube an der Stelle gehört dann viel Geduld dazu eben, die Geduld aufzubringen zu verstehen, dass sich Dinge, Fehlerkultur nicht über Nacht entwickelt, nicht über Nacht so entsteht, wie man sich das vielleicht wünscht.

Peter Cartus: Ja. Das ist also schon ein Paradigmenwechsel, wenn man zukünftig nicht direkt bei der Person aufhört, der der Fehler passiert ist, warum zu fragen, sondern weiter warum fragt, hier warum der Fehler passiert ist, was die Umstände waren, warum der Mitarbeiter, wie gesagt, in der jeweiligen Situation so gehandelt hat und das ist dann auch schon Arbeit. Je größer der Fehler ist hier, umso länger ist in der Regel auch die Fehlerkette. Das können Sie vergleichen mit Unkraut im Garten. Solange das Unkraut noch klein ist, ist auch die Wurzel, die sie ja beseitigen wollen, noch klein und das ist relativ einfach dann, diese Wurzel aus dem Boden zu entfernen ja. Ich gehe mal davon aus, dass Sie jetzt hier nicht mehr nur an den Symptomen rumdoktern und nur das Grünzeug über der Oberfläche abreißen, das hilft ja natürlich gar nicht weiter, weil dann direkt anschließend wieder das Unkraut nachwächst. Das ist bei dem Fehler genauso und je größer das Unkraut ist hier, umso größer ist auch der Wurzelstock im Boden und demzufolge braucht es dann auch in der Regel schon schweres Gerät, um dann den ganzen Wurzelstock aus dem Boden zu entfernen und das ist dann auch natürlich auch Arbeit, wenn ein Fehler mit sehr großen, schwerwiegenden Folgen passiert ist, dann die ganzen Ursachen zu analysieren und da braucht es dann Durchhaltevermögen. Da braucht es offene Fehlerkultur und wie gesagt die richtige Anwendung der passenden Werkzeuge.

Götz Müller: Das war jetzt zum Abschluss in der wunderbaren Metapher, allein wenn ich hier aus dem Fenster gucke, an den Löwenzahn bei mir im Rasen denke, eben nicht nur die Köpfe abzureißen, sprich den Menschen den Kopf abzureißen, sondern wirklich der Ursache auf den Grund gehen. Herr Cartus, ich danke Ihnen für Ihre Zeit für die interessanten Einblicke. Ich denke, das ist schon ein wichtiges Thema, da nicht nur den Menschen in Vordergrund zu stellen, sondern eben die Hintergründe. Das ist genau das, was notwendig ist, um aus Fehlern zu lernen und Fehler zu vermeiden.

Peter Cartus: Recht herzlichen Dank, Herr Müller, für die Einladung zum Podcast und für das interessante Gespräch.

Götz Müller: Das war die heutige Episode im Gespräch mit Peter Cartus zum Thema Fehlermanagement. Notizen und Links zur Episode finden Sie auf meiner Website unter dem Stichwort 179.

Wenn Ihnen die Folge gefallen hat, freue ich mich über Ihre Bewertung bei iTunes. Sie geben damit auch anderen Lean-Interessierten die Chance, den Podcast zu entdecken.

Ich bin Götz Müller und das war Kaizen to go. Vielen Dank fürs Zuhören und Ihr Interesse. Ich wünsche Ihnen eine gute Zeit bis zur nächsten Episode. Und denken Sie immer daran, bei allem was Sie tun oder zu lassen, das Leben ist viel zu kurz, um es mit Verschwendung zu verbringen.

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