Kaizen 2 go 260 : Auftragstaktik und Lean


 

Inhalt der Episode:

  • Was ist die Auftragstaktik?
  • Wie ist sie entstanden? Wie hat sie sich im Lauf der Jahrzehnte verändert?
  • Was sind die Kernelemente der Auftragstaktik?
  • Welche unterschiedlichen Ausprägungen gibt es dabei?
  • Wie wird die Auftragstaktik praktisch geübt?
  • Wie übt der Vorgesetzte seine Rolle?
  • Was passiert nach der Zielbestimmung?
  • Welche Rolle spielt Routine bei der Auftragstaktik?
  • Wo und wie kann die Wirtschaft und Unternehmen von der Auftragstaktik profitieren?
  • Wie kann der Transfer von Elementen der Auftragstaktik ins Wirtschaftsleben gelingen?
  • Wo besteht ein spezieller Bezug zu Lean, Kaizen & Co.?

Notizen zur Episode:


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(Teil)automatisiertes Transkript

Episode 260 : Auftragstaktik und Lean

Herzlich willkommen zu dem Podcast für Lean Interessierte, die in ihren Organisationen die kontinuierliche Verbesserung der Geschäftsprozesse und Abläufe anstreben, um Nutzen zu steigern, Ressourcen-Verbrauch zu reduzieren und damit Freiräume für echte Wertschöpfung zu schaffen. Für mehr Erfolg durch Kunden- und Mitarbeiterzufriedenheit, höhere Produktivität durch mehr Effektivität und Effizienz. An den Maschinen, im Außendienst, in den Büros bis zur Chefetage.

Götz Müller: Heute habe ich Nadja Böhlmann bei mir im Podcast-Gespräch und Markus Reinke. Nadja ist Group Kaizen Promotion Officer bei Teknos und Marcus Digital Transformation Coach. Hallo zusammen.

Marcus Reinke: Hallo Götz.

Nadja Böhlmann: Hallo.

Götz Müller: Ja, schön dass ihr dabei seid. Ich habe schon ein kurzes Stichwort zu euch gesagt, aber stellt euch gerne noch mal ein bisschen intensiver vor, vielleicht auch schon mit einem kleinen Bezug zu unserem Thema heute.

Nadja Böhlmann: Ja, ich arbeite bei der Teknos und Kaizen Promotion Officer bedeutet im Endeffekt, dass ich eine globale Kaizen-Strategie aufbauen und ausrollen darf. Das strategische Level liegt mir und auch strategische Thematiken bis ins Kleinste zu durchdenken, bis sie umgesetzt werden können. Und darüber hinaus, gut, ich glaube, zu meinem Studium, ich kürze das einfach mal ab und springe gleich zu dem Punkt, warum wir hier heute sind, und zwar bin ich acht Jahre bei der Bundeswehr gewesen, bin Logistik-Offizier gewesen, bin als Oberleutnant aus der Bundeswehr raus gegangen und habe sehr, sehr viel von dem mitnehmen können, was ich da gelernt habe, was ich heutzutage im Businesskontext anwenden kann. Das sind Thematiken, die unbewusst passieren, das sind aber auch Thematiken, wo ich mir explizit auch bestimmte Tools raussuche, weil ich genau weiß, die bringen ihre Wirkung oder die helfen.

Götz Müller: Okay.

Marcus Reinke: Ja, hallo, mein Name ist Markus Reinke. Ich bin jetzt der Digital Transformation Coach, Buzzword-Bingo, na klar. Was bedeutet das konkret? Ich begleite Unternehmen, Organisationen bei der Reise in New Work, in agile Organisationsformen, ich begleite sie im Change Management im Allgemeinen. Das mache ich zum Beispiel für die Haufe Akademie, für eigene Kunden, also ich bin selbständig, oder für die Deutsche Bahn. Das sind so die größten, mit denen ich zusammen arbeite, und warum ich eigentlich hier bin, ist auch quasi auf den Impuls von Nadja, bevor ich angefangen habe im Bereich Führungskräfteentwicklung, Organisationsentwicklung etc., war ich auch bei der Bundeswehr und zwar 15 Jahre, aber als kleiner Grundwehrdienstleistender angefangen, habe dann sämtliche Laufbahnen durch und war nach 15 Jahren dann Offizier, Hauptmann, Kompaniechef, war sieben Monate in Afghanistan, habe in München BWL studiert und und und, und wenn ich mich in Seminaren vorstelle, dann ist mein Ding immer, das Thema Leadership, das habe ich bei der Bundeswehr gelernt und geübt und habe da sehr, sehr viele Bilder im Kopf, wie Führung funktionieren kann, was ich als Führungskraft tun kann, um meine Mitarbeiterin zu motivieren, um die auf ein Ziel auszurichten, um da das Commitment rauszuholen und und und, da habe ich dutzende Beispiele aus der Bundeswehr-Zeit, die man aber nahezu eins zu eins in das zivile Leben übertragen kann und das öffnet meistens in meinen Live-Online-Seminar im Augenblick, öffnet das den Teilnehmern immer wieder die Augen so: „Ah, ok, so funktioniert Führung und so nicht und was davon kann ich in meinem Bereich umsetzen und was hilft mir dabei auch, meine Mitarbeitenden bei solchen Themen wie Resilienz oder Commitment für ein Ziel und die da halt entsprechend aufzubauen.

Götz Müller: Ja, jetzt muss ich vielleicht noch 2-3 Sätze sagen, warum überhaupt dieses Thema. Mir ist vor ein paar Jahren, da habe ich einen Vortrag von Mike Rother, Toyota Kata, die Lean-Leute kennen den vermutlich, einen Vortag gehört und da fiel das Stichwort Auftragstaktik des deutschen Militärs, der Bundeswehr, und da ich jetzt nie in dem Auto gesessen habe, wo ein Y auf dem Kennzeichen ist, habe ich mir gesagt „Ja, das ist spannend.“ und habe mich da auch, in Anführungszeichen, ein bisschen eingelesen, aber ich bin da definitiv kein Fachmann, was diesen Aspekt angeht und irgendwann habe ich dann über Nadja den Gedanken gehabt „Ja, such dir mal jemanden, die das gelernt haben und sprich mit denen darüber“, weil ich als Laie da doch die ein oder andere, über den Impuls von Mike Rother, die ein oder andere Querbeziehung gesehen habe. Und vielleicht jetzt zum Einstieg mal die Frage, für die, die vielleicht auch nie so ein Kennzeichen auf dem Auto hatten, was ist denn die Auftragstaktik überhaupt?

Marcus Reinke: Auftragstaktik beschreibt im Prinzip, dass ich mit einem Auftrag führe. Das heißt, das, wo viele Unternehmen gerade entdecken, hey, es ist es total wichtig, den purpose und das wozu mit zu transportieren, wenn ich Ziele definiere, wenn ich eine Vision aufbaue etc., das ist mehr oder weniger Standard bei der Bundeswehr, da denkt keiner drüber nach, weil das von, ich sage mal von Beginn an, in die Köpfe der Nachwuchsführungskräfte reingeprügelt wird, dass man immer im Sinne des Auftrags denken und handeln soll, also das Große und Ganze steht immer über dem einen Auftrag, den muss ich kennen, um halt in diesem Sinne zu handeln, also in dem Intent, um halt zu erkennen, worum geht es tatsächlich. Und der Auftrag bedeutet eigentlich so, dass ich das Ziel vorgebe, klare linke und rechte Leitplanke bestimme und dass der Durchführende, also derjenige, der das dann halt ausführt, dass der relativ frei ist im Rahmen dieser Leitplanken, dieser Grenzen, bei der Auftragserfüllung. Also da ist vieles vorgegeben, der Weg nicht.

Götz Müller: Jetzt glaube ich sollte man auch ein bisschen was darüber wissen, meiner Ansicht nach, zumindest fand ich das damals sehr spannend, wo ich mich damit beschäftigt habe, wie das, ich nenne es mal das Ding, denn entstanden ist und vielleicht auch, wie sich es verändert hat.

Marcus Reinke: Also die Frage, wo die Auftragstaktik herkommt?

Götz Müller: Ja.

Marcus Reinke: Ja, klassische Offiziersantwort, ist halt militärhistorisch so gewachsen und wurde übernommen damals aus den preußischen Heeresreformen, das geht aber zu sehr in den Bereichen Militärhistorische rein, aber die Idee dahinter ist ja, dass das unveränderte Führungsgrundsätze sind, die in vielen Armeen einfach nur noch Bestand haben und das ist auch etwas, wofür die deutsche Bundeswehr von vielen Armeen bewundert wird, dass man eben mit dieser Auftragstaktik führt, hier komplett hierarchieübergreifend, also wirklich von unten nach ganz oben hin durch, wird immer im Sinne des Auftrags gedacht und gehandelt und umgesetzt und das funktioniert großartig. Ich habe super viele zivile Freunde, die sagen „Nee, bei der Bundeswehr war ich nie, weil da sagt mir jemand, was ich tun soll.“ Ja, na klar, als wenn das im Unternehmen anders ist. Ich habe Rekruten gehabt in meinen Einheiten, die haben gesagt „Also, in meiner Maurerausbildung, meine Maurerlehre, die war schlimmer, da wurde viel mehr in das eingegriffen, was ich zu tun habe als hier bei der Bundeswehr. Hier kriege ich ein Ziel, eine klare linke und rechte Grenze oder Leitplanken und kann das halt so machen, wie ich es für richtig halte, um das Ziel zu erreichen, im Sinne des Auftrags zu handeln. Und das hat sich seit Jahrzehnten nicht verändert und daran halten wir immer noch fest, weil es eben funktioniert.

Götz Müller: Da höre ich dann auch raus, das sind diese Kernelemente, dieses, wo will ich denn hin und wo darf ich nicht abbiegen, im Sinne von Leitplanken.

Nadja Böhlmann: Ja, es wird dir ja, also was Markus vorhin gesagt hat, eingetrichtert, dass du in dieser Struktur denkst und selbst als Befehlgebender an andere musst du dir auch überlegen, wo setze ich diese Grenzen, damit sich keiner verletzt, damit keiner falsch abbiegt, damit alle in die gleiche Richtung laufen oder oder oder. Also jetzt sehr stark vereinfacht ausgedrückt und wenn du diese Grenzen oder Leitplanken nicht hast, das ist ja wie smarte Zielsetzung, ja. Es wird ja auch immer gesagt, führen nie ein Projekt durch, ohne dass du vorher das smarte Ziel definiert hast, weil wenn eine dieser fünf Komponenten fehlt, dann eierst du rum. Und ähnlich ist es eben mit dieser, ja, leitplankenartigen Herangehensweise.

Götz Müller: Ja.

Marcus Reinke: Zum einen die Leitplanken, also links und rechts, wo sind meine Nachbarn, was passiert neben mir, das wird immer halt ziemlich deutlich transportiert, wenn es halt um Delegation geht bei der Bundeswehr geht, um mal diesen Begriff Befehl und Gehorsam auszuklammern, es ist eine Delegation. Jemand kriegt einen Auftrag, er muss irgendwas tun und ich habe dann, wenn ich so einen Befehl gebe, wenn ich etwas delegiere, dann gibt's immer dieses wer tut was, wo, wie und wozu, und ich kann mich an dutzende Offiziersweiterbildung erinnern, wo halt wirklich dieses wozu zerredet wurde, weil das so wichtig ist, dass man halt nach unten weitergibt, wozu ist das wichtig, wie ist diese Auftrag in das große Ganze eingebettet, was passiert, wenn wir diesen Auftrag erfüllt haben, warum machen wir das Ganze. Und das wurde halt immer mit transportiert, um eben transparent zu haben, um zu wissen, wozu ist das Ganze gut, nicht nur aus dem ganzen offensichtlich Zweck, wenn mein militärischer Führer ausfällt, weil verletzt, verwundet, ich habe keine Funkverbindung mehr zu ihm, damit ich dann halt als einzelnes Manöverelement oder als Mitarbeiter immer noch weiß, was ist die Vision, was das hier Richtung dahinter, wozu machen wir das und so halt, soll man sagen im Sinne des Kunden zu denken, da halt im Sinne des Auftrags. Mittlerweile, man kennt das von Scrum und sonstigen Entwicklungs- beziehungsweise von sonstigen agilen Frameworks, wo eben zum Beispiel nicht aufgeschrieben wird, was ist zu tun, sondern was möchte unser Nutzer, was möchte unser Kunde erreichen mit dieser Funktion, also da habe ich den Nutzen, den ich transportiere in der Aufgabe und wenn halt die Umsetzenden, also entweder die Entwickler bei Scrum oder halt die ausführenden Soldaten, wenn die halt wissen, wozu das Ganze gut ist, dann haben die auch eine Idee, was können die machen, um den Prozess zu vereinfachen, um es dem Empfänger des Nutzens noch einfacher zu machen, eine Schippe oben drauf zu legen und und und. Also man kann halt im Sinne des Auftrags denken, heutzutage zivil würde ich sagen im Sinne des Kunden denken oder eine nutzenorientierte Argumentation, weil eben dieses wozu jedes Mal mittransportiert wird.

Götz Müller: Ja, ich habe damals, und jetzt im Grunde wieder sehr, deutlich rausgehört, dass es, ich würde sogar sagen ein Teil der Leitplanke ist und dass es halt das Mitdenken fördert, so nicht dieses klassische, ja, setz ein Bein vor das andere. Also in meinem, wie gesagt, an der Stelle etwas naiven Weltbild.

Nadja Böhlmann: Ja, also es gibt auch ganz, ganz viele Sachen, wenn du einen Leidensdruck hast, also jetzt zurück auf die Bundeswehr bezogen, dann hilft dir das wozu auch gewisse Sachen durchzustehen. Das hilft dir nicht nur, dass du mitgenommen wirst, um das große Ganze zu erkennen, sondern, ich weiß nicht, wenn du bei absolut beschissenem Regen im Wald hockst und das Zelt durchnässt ist, dann hast du trotzdem dieses wozu im Hinterkopf, ja, und, ja, das ist einfach eine sehr, sehr wichtige Komponente.

Marcus Reinke: In solchen Fällen bin ich als Grenadier immer gern in meinen Panzer zurückgehuscht.

Götz Müller: Jetzt hatte, ich glaube Markus hat es vorhin angedeutet, dass andere Militärs wahrscheinlich ein bisschen neidisch auf die Bundeswehr schauen und da habe ich dann aber auch rausgehört, dass durchaus jetzt nicht nur bei der Bundeswehr diese Form existiert, sondern auch bei anderen und ich könnte mir aber vorstellen, dass es halt unterschiedliche Ausprägungen gibt. Was sind so eure Erfahrung nach die Unterschiede und was haben die Unterschiede so einfach Auswirkungen?

Marcus Reinke: Also ich hätte ein konkretes Beispiel aus dem Afghanistan-Einsatz, 2008 war ich in Kundus, und wirklich im multinationalen Umfeld, Operationen mit Amerikanern zusammen, mit Schweden, mit Norwegern etc. Und bei einer Operation, also bei einer militärischen Operation, ich war natürlich kein Arzt, bei einer so einer Operation ist mir wirklich aufgefallen, wie stumpf teilweise die Amerikaner einfach Weisungen oder Befehle befolgen, also weil da halt super wenig Handlungsspielraum ist. Auf der einen Seite war halt eine SOP, also eine Standard Operating Procedure, dass die ihre Fahrzeuge benutzen müssen, um zu schlafen, um zu nächtigen. Das heißt, die durften nicht wie wir auf Feldbetten schlafen, sondern aufgrund von Gefahren durch Schlangen, Skorpione, was auch immer, mussten die also auf den Fahrzeugen schlafen. Punkt. Super unbequem. Einer auf der Motorhaube, einer oben bei den Maschinengewehren oben drin, die anderen beiden irgendwie reingekuschelt in diesen Humvee, diesen Jeep von den Amis, haben wir nicht verstanden wir Deutschen, die Afghanen auch nicht, aber die meinten, das ist bei uns Standard. Auf der anderen Seite waren die Amerikaner aber auch so mutig und haben halt Fleisch gegessen, was da auf den lokalen Märkten angeboten wurde, in der Wüste. Man kann sich vorstellen, was passiert ist, also hätten wir keinen Arzt dabeigehabt, dann wären zwei Leute einfach verreckt, weil die halt einfach nicht nachgedacht haben oder weil es nicht explizit verboten wurde, ich weiß es nicht. Dass man der Führungskraft vor Ort eben so viel Vertrauen schenkt, dass er vor Ort, aufgrund der Lagekenntnis schon das Richtige tun wird, weil er eben weiß, was sind unsere Grundsätze, was ist angemessen, was ist angebracht, weil er eben seinen Auftrag hat und nicht im Detail vorgeschrieben hat, tue dies, tue das, tue jenes, also so wirklich komplett prozentual runtergebrochen, sondern wirklich so „Das ist dein Ziel, das sind die Ressourcen, die du zur Verfügung hast und mach den Plan und dann geht's los, rubbel die Katz“ und dann geht das los.

Nadja Böhlmann: Das kann ich bestätigen. Mir ist es auch bei den Amerikanern aufgefallen, dass wirklich, da wo der Deutschen dann aber auch sagen würde „Hä, warum soll ich da jetzt auf dem Auto schlafen?“, also weißt du, der Deutsche würde diskutieren, der würde das vielleicht auch hinterfragen.

Marcus Reinke: Hinterfragen, würde ich sagen.

Nadja Böhlmann: Ja, hinterfragen. Ich glaube, diskutieren hat auch seine Grenzen beim Militär, jedoch kannst du durchaus auch da irgendwas bei deinen Führungskräften infragestellen, ja. Und bei den Amerikanern ist es mir auch aufgefallen, die haben das einfach unreflektiert einfach gemacht, wo ich mir so denke, das kann in der falschen Situation gefährlich sein.

Götz Müller: Also im Grunde das, was man aus dem Lean-Kontext manchmal ja kennen, so: „Das haben wir schon immer so gemacht.“

Nadja Böhlmann: Jein, also ich glaube, die haben einfach keine andere Welt kennengelernt. Wenn du, ähnlich wie wir, gewisse Routine eingetrichtert bekommen haben, die du auch, wenn dich nachts um 3 Uhr runterbeten kannst, auch auch, keine Ahnung, in meinem Fall acht Jahre, nachdem ich schon raus bin, bei denen ist es halt so, die haben eingetrichtert bekommen „Tu exakt das, was dein Vorgesetzter dir sagt.“, also wer Full Metal Jacket mal gesehen hat, das ist so, das ist zwar stark überzogen, stark komödiantisch, trotzdem transportiert es das, wie es bei den Amerikanern teilweise ist.

Götz Müller: Also im Grunde höre ich da jetzt raus, Taylorismus in Reinform, oder? Uniform an, Hirn ausschalten im Extremfall?

Marcus Reinke: So krass würde ich nicht sagen, das Bild hatte ich auch, bevor ich mit denen zusammengearbeitet habe, also die sind schon so, dass die halt dann. Also das sind Profis. Ich habe mit einer Einheit von der Militärpolizei, wir waren da zusammen in der Wüste, zwei Wochen am Stück, also das war schon Profi-Level, bis halt auf solche Sachen „Hey, wir schlafen auf den Fahrzeugen, weil das so ist.“ und da wurde eben nicht hinterfragt. Hat mich halt irritiert. Weil auf der anderen Seite: „Hm, da ist Fleisch, was seit Tagen draußen bei 40 Grad im Schatten und unser Interpreter sagt, na klar kann ich das so zubereiten, dass es für euch cool ist, wir machen das mal.“ Das ist mutig, aber nicht intelligent.

Götz Müller: Das war schon wieder wahrscheinlich zum Leben erweckt, das Fleisch.

Marcus Reinke: Also Thema SOP, also Standards, Routinen, Götz, du hattest das im Vorgespräch kurz mal aufgebracht, dieses Thema, dass halt viel standardisiert ist. Und ich bin auch ein super Freund von mit Standards arbeiten, weil Struktur entspannt. Wenn ich genau weiß, welche Rollen gibt es in meinem Team, welche Rollen gibt es in meiner Abteilung, wer ist wofür zuständig, wo sind da die Übergabepunkte, wie sind da die Prozessschnittstellen etc. und auch was ist zu tun, wenn es mal nicht klappt. Dass ich dann so Rückfall-Routinen entwickle etc., das sind alles Sachen, die kriegst du eingetrichtert, also wenn du Offizier warst oder bist, dann kriegst du das eingetrichtert, dass du halt immer Reserven haben musst, dass du dir um gewisse Risiken im Vornerein wirklich schon Gedanken machst und das halt auch mit ansprichst, wenn du delegierst und das machen, was ich so mitkriege, in meinen Führungskräfteseminaren, erleben das auch mittleres Management oder auch FK1-Ebene erleben das selbst kaum, also wenn der Vorstand da irgendwelche Richtungen rausgibt, da wird auch nicht viel hinterfragt. Klar, kommt auf die Branche an, aber die machen das dann halt einfach und wissen teilweise gar nicht wozu. Das finde ich traurig, weil im Rahmen der psychologischen Sicherheit muss ich doch in der Lage sein, einfach mal etwas zu hinterfragen, wenn ich was nicht verstehe, so wurde ich zum Beispiel erzogen, also klar Bundeswehr, Leadership, Führung, wenn ich etwas nicht weiß, dann frage ich nach, um halt eben durch eine einfache Frage wie, was meinen Sie oder was meinst du damit oder den Sinn dahinter zu verstehen und dann halt im Sinne auch handeln zu können und handeln zu dürfen. Das möchte ich noch ein bisschen vertiefen, weil ich glaube, das man sich da auch ein bisschen was abgucken kann, wie wird dieses Hinterfragen geübt, weil es ja, glaube ich, nicht jedermanns Sache ist, Dinge zu hinterfragen, speziell von dem Vorgesetzten und vielleicht sogar, wie gesagt, mein naives Weltbild, in einem militärischen Kontext.

Nadja Böhlmann: Also dieses Hinterfragen lernst du, wenn du das erste Mal auf etwas zuläufst oder merkst, es ist etwas falsch gelaufen. Oder du, also das kann ich jetzt mal aus meiner Erfahrung sagen, wenn du … du bekommst, es ist ja so, wenn du eine Befehlskette weitergeben musstest beim Militär, dann ist es so, dann musstest du demjenigen, der dir deinen Befehl gibt explizit zuhören und du musstest exakt transportieren können, was der von dir will, damit du es übersetzen kannst, was deine Leute machen sollen. Und diesen Denkprozess musstest du dir selber dann auch noch überlegen, also du hast dir quasi im Zuhören schon überlegt, wie übersetze ich das, wie kann ich meine Leute einsetzen, wie kann ich gewisse Schritte absichern und der letzte Schritt im Führungsprozess der Bundeswehr ist immer die Kontrolle, das bedeutet, der Befehlgebende fragt immer nach: „Haben Sie das verstanden oder gibt es noch Fragen?“ Oder manchmal gibt es auch wie so eine Mini-Erfolgskontrolle, dass jemand extra angesprochen wird, und so „Ok, was soll ihr Zug oder ihre Kompanie machen, was sollen Sie machen, worauf ist besonders zu achten?“, weil natürlich in dieser Befehlsstruktur werden verschiedene Einheiten, Unterstützungseinheiten angesprochen damit wie in so einem riesigen Orchester das große Ganze funktioniert und da kannst du es dir halt nicht leisten, nicht aufzupassen, nicht aufmerksam zu sein und auch nicht nachzufragen, weil sonst läuft die gesamte Mission vor den Baum und das, also diese Dringlichkeit und Wichtigkeit, ich darf es nicht verkacken, ist in diesem Kontext einfach sehr, sehr wichtig, weshalb, also für mich ist es selbstverständlich geworden, nachzufragen, weil wenn du Verantwortung für vierzig Soldatinnen und Soldaten hast, für, keine Ahnung, schweres Gerät in Millionen Euro Höhe und Munition von keine Ahnung wie viel Tonnen, dann solltest du zu hören und dann solltest du auch nachfragen, wenn du etwas nicht verstanden hast.

Götz Müller: Und ich höre aber raus, es wird vom Vorgesetzten aktiv nachgefragt, und zwar zum Teil auch in einer offenen Frage, so im Sinne von „Was haben sie verstanden?“, nicht bloß, ja, und wenn man jetzt, ich meine, es gibt gewisse Kulturen, wo ganz selten mal ein Nein kommt.

Marcus Reinke: Ja, natürlich. Also das gebe ich auch in den Seminaren immer so weiter. Wenn ich dann eine Delegation durchführe, dann sollte die letzte Frage nicht sein: „Haben Sie Fragen oder alles verstanden?“ Weil natürlich sagt da jeder hat ja, jeder Mitarbeiter „Klar, natürlich, Chef, habe ich das verstanden.“ und dann geht er raus und: „Nee, jetzt habe ich doch noch eine Frage.“ Deswegen, ich habe es immer so gemacht, dass man entweder dann noch mal das Wesentliche zusammenfassen lässt durch denjenigen, der den Auftrag bekommt oder die Weisung bekommt oder dass man halt wirklich kritische Punkte noch mal abfragt, welche Risiken sehen Sie, wo fangen Sie an, was sind so die ersten Schritte, wozu ist das Ganze wichtig, was steckt dahinter und was passiert hier und linke, rechte Grenze etc., also im militärischen Kontext glasklar, wenn ich bei so etwas nicht aufpasse und Sachen falsch übernehme, dann habe ich im schlimmsten Fall das Problem, dass ich in den Bereich reinwirke, reinschieße, wo halt dann meine eigene Teile sind und dann habe ich wirklich, wirklich ein Problem. Im Business-Kontext überschreite ich heute Budget-Grenzen oder Zeit oder wer weiß was, das kommt immer darauf an, das ist dann noch mal ein anderer Schnack, aber selbst, wenn da nicht gefragt wird und wenn ich auch nicht einfordere als Führungskraft, dann lasse ich ja schon so die Lücke raus mit „Ach so haben Sie das gemeint, ja, das wusste ich nicht, das hätten Sie sagen müssen“ und eben um das zu vermeiden. Ich sage mal so, jeder Satz, der anfängt mit „Ach so, ich dachte, da ist schon mal etwas schief gelaufen in der Delegation, weil das muss klar sein, ich muss klar machen, worum geht's in diesem Auftrag, in dieser Aufgabe, in diesem Projekt, und erst wenn das Gegenüber das wirklich vollumfänglich verstanden hat, weiß genau, wozu das Ganze wichtig ist und mir die Risiken gesagt hat und mir zum Beispiel gezeigt hat, wie er vorgeht, dann habe ich das gute Gefühl, hey, der hat mich wirklich verstanden und es kann losgehen und der auch, der geht nicht raus und hat eine Frage und traut sich dann nicht, im Nachhinein das anzusprechen, weil ich eh keine Zeit habe als Führungskraft, das weiß ja jeder. Führungskräfte haben keine Zeit.

Götz Müller: Jetzt sind dem Vortrag von Mike Rother hat er unter anderem auch erwähnt, dass es halt eine gewisse Unterstützung gibt und das ist ja im Grunde das, was in der Toyota Kata, in der Coaching-Kata konkret eingebaut ist, diese Rückkopplungsschleife und jetzt im Zusammenhang mit der Auftragstaktik habe ich zumindest da rausgehört, dass das auch ein Teil ist, und auch aus euren Erzählung jetzt, eben diese Unterstützung, ich lass den Menschen da nicht allein mit seinem Problem.

Marcus Reinke: Ja. Zwei Zitate dazu, das eine ist von Mike Tyson, everybody got a plan until he gets punched in the face, also jeder hat einen Plan, bis er einen Schlag ins Gesicht bekommt. Und das zweite, militärischer Kontext, nichts ist so beständig wie die Lageänderung. Deswegen hast du automatisch drin, dass du halt ständig stehenbleibst, eine Art Lagefeststellung machst, wo stehen wir gerade, was passiert um uns herum und was ist jetzt meine Idee, also als militärischer Führer vor Ort, als Führungskraft gab’s da den Dreiklang LAD: Lage, Auftrag, Durchführung. Im Beratersprech würde man sagen „from, to, how“, also wo stehe ich jetzt gerade, was passiert um mich herum und was machen die anderen Abteilungen. To: was ist unser Ziel, was ist meine Idee, was will ich jetzt machen, zum Beispiel, wozu ist dieses Meeting jetzt wichtig, was ist das Ziel des Meetings? Und „how?“, die letzte Frage halt, die Umsetzung, wie machen wir das, was sind die nächsten Schritte? Im militärischen Kontext hat das den großen, großen Vorteil, dass jeder in meinem Bereich immer weiß, wo sind wir, was passiert um uns herum, hat sich irgendetwas in unserem Auftrag geändert, also gibt's zum Beispiel ein neues Ziel, weil das alte Ziel obsolet geworden ist oder oder oder, und ich habe die nächsten Schritte, was passiert jetzt. Ich weiß, was passiert und das gibt Sicherheit. Im zivilen Kontext vermisse ich das, weil das halt oft untergeht, dass einfach Führungskräfte Wissen voraussetzen in ihren Abteilungen, in ihren Teams, was die Führungskräfte haben, weil die in ganz anderen Besprechungen rumhängen und ganz andere E-Mail-Verteiler haben und und und, aber ihr Team nicht. Und das wird in dieser VUCA-Welt wird das oft übersehen, dass man halt die Mitarbeiter mitnimmt, dass man ihnen immer sagt, okay, so sieht es im Projekt aus, das ist in den anderen Abteilungen passiert, das sind die Zwischenergebnisse, das und das haben wir gelernt, wir hatten letzte Woche das Meeting etc., um einfach die Mitarbeiter da zu Mitwissenden zu machen, damit eben auch im Sinne des Projektes oder des Projektnutzens denken und handeln und dann entsprechend auch die Fragen stellen können. Und das halt ständig wie bei Scrum, iterativ, Retrospektiven, Reviews etc.

Götz Müller: Ja, das war ein gutes Stichwort, dieses „ständig“, also sprich, Routine und ihr habt es ja vorhin auch gesagt, wie kann man jetzt auf diese Routine einwirken. Ich meine bei der Toyota Kata kriegt halt jeder dieses Kärtchen in die Hand und am Anfang ist ja die klare Aussage „Hey, nicht irgendwie rummachen, an das Kärtchen halten.“, was dann ja manchmal absurde Situationen hervorruft.

Nadja Böhlmann: Also in unserem Fall bekommst du das antrainiert, also es gibt diese, Markus sagte gerade LAD, die etwas längere Befehlsform ist dann LADEF: Lage, Auftrag, Durchführung, Einsatzunterstützung, Führungsunterstützung. Und … guck mal, ich kann es immer noch aufsagen. So und das ist … du trainierst das, weil du in der Lage sein musst und das im Bundeswehr-Kontext in einer Extremsituation das tun zu können mit kühlem Kopf, nicht irgendwie schreiend durch die Gegend rennen, weil alles um dich herum brennt, sondern Sorge zu tragen für deine Leute, das im Kopf zu haben und die Leute damit abzudecken. Das ist wie, einer klatscht in die Hände „So Leute, mal kurz aufpassen, wir machen jetzt das.“, das ist ja … ich meine Stewardessen lernen das, bevor das Flugzeug abstürzt hauen die auch sämtliche Routinesprüche raus, weil sie Sorge zu tragen haben für die Leute und Markus hat es gerade auch gesagt, es gibt bestimmte Routinen in Scrum, im Lean Management hast du diese Routinen auch, die du beim Shopfloor Management durchführst oder Ähnliches. Das Krasseste, was mir immer auffällt, ist, ich verstehe nicht, warum es Unternehmen gibt, die ohne Kennzahlen-Boards klarkommen, wo ich mir denke, du fährst ja auch nicht mit verbundenen Augen Auto. Und dieses kurze Innehalten, was Markus ansprach, das bekommst du auch antrainiert, weil es kann sein, du bist mit deinen Leuten alleine unterwegs, es kann sein irgendetwas hat sich im Gesamtkontext geändert, aber du musst dich trotzdem kurz sammeln, ok, wo stehen wir alle, sind alle gesund, geht's allen gut, schaffen wir es, bis zum nächsten Punkt zu kommen. Psychologische Sicherheit hat Markus auch schon gesagt, dass du wirklich schaust, ist dein Team ressourcenmäßig noch so drauf, wie es sein muss. In meinem Projektmanagementkontext, den ich gerade bezüglich der neuen Werksplanung auch habe, hat der Geschäftsführer jetzt in den letzten Tagen gesagt: „Du bist mir mit den Ressourcen so auf den Keks gegangen in den letzten Monaten, aber du hast recht.“ „Ja, gern geschehen.“ Also das ist so, immer zu gucken: Haben wir auch alle Kompetenzen am Start, branchenunabhängig? Es ist doch … Ich kann doch als Führungskraft nicht von Dingen ausgehen, Dinge nicht interpretieren und auch erst recht nicht nachfragen, also wenn ich all das nicht tue, dann brauche ich mich nicht wundern, warum ein Unternehmen vor die Wand läuft oder fährt, weil es gibt Schritte, die sind notwendig und manchmal verstehe ich nicht, dass beim Militär, bei der Bundeswehr gerade so viel schlecht geredet wird, wenn die Kenntnis darüber, was da eigentlich sonst so passiert, gerade diese Führungsstrukturen, diese Führungsroutinen, die sind Goldwert und jedes Unternehmen kann sich dankbar schätzen, wenn sie erkannt haben, dass sie ehemalige Offiziere einstellen sollten, weil die ein bestimmtes Grundset an Struktur und strategischer Denke und ich setze das jetzt so um, weil das jemand so von mir erwartet. Also ich kriege manchmal auch einen Schauer, wenn ich merke, wir weichen vom Ziel abziehen, weil ich mir denke: Oh Gott, das darf nicht passieren. Wir sollten alles dafür tun, dass wir eben nicht abweichen, dass wird das Ziel erreichen und was ist dafür nötig, dass wir das tun, weil das ist unsere Mission.

Götz Müller: Den Bogen möchte jetzt ein bisschen vertiefen, weil die meisten, die jetzt zuhören, vermutlich das eben nicht in den militärischen Kontext nutzen können, sondern eben in einem betrieblichen, in einem wirtschaftlichen Kontext. Was ist so eure, ja, wie soll man es nenne, eure Empfehlung, eure Tipps auch an Führungskräfte, die vielleicht nicht diese Erfahrung machen konnten, durften, wie sie sich sowas trotzdem aneignen können? Dinge, die ihr gelernt habt.

Marcus Reinke: Bei der Bundeswehr lernt man Führung. Es gibt halt Ausbildungen, ich weiß nicht, wie viele Monate ich als militärische Führung ausgebildet wurde, mit Vorschriften auswendig lernen, dies das etc. Das hast du zivil nicht, also außer in großen Unternehmen, die irgendwelche Nachwuchsprogramme haben oder ein High Potencial Programme etc. und ich bin absoluter Gegner davon zu sagen, als Führungskraft wirst du geboren, das kann man nicht lernen. Das ist Bullshit, du kannst alles lernen, dynamisches Mindset, du musst es nur wollen. Und automatisch eignet sich der Mensch Verhaltensweisen an, die ihm vorgelebt werden, das heißt, wenn ich in einem Unternehmen mit dem entsprechenden Führungsmindset aufwachse und da zehn Jahre bin, aber ich glaube, das zehn Jahr in einem Unternehmen heutzutage mehr die Ausnahme als die Regel sind, zumindest bei jungen Führungskräften, dann eigne ich mir natürlich irgendwo den Duktus und Habitus von meinen Vorgesetzten an, von meinen Führungskräften, weil die machen das ja schon, die können das ja. Und wenn ich solche Leute dann halt in Führungskräfteseminaren habe, dann macht man mal so eine Gesprächssituationen, Rollenspiele etc., da stellen sich einem die Nackenhaare auf, weil da wirklich so krass argumentiert wird. „Wo haben Sie das denn her, wo haben Sie das gelernt?“ „Ja, das macht man bei uns so.“ Das ist halt dann Kultur geworden im Unternehmen und deswegen empfehle ich jedem, einfach mal zu sagen, okay, dann mache ich jetzt mal eine Weiterbildung. Punkt. Ich gucke mir das an, Agile Leadership zum Beispiel, was kann ich als Führungskraft tun, um eben in dieser schnelllebigen VUCA-Welt, um da nicht den Kopf zu verlieren und da immer reaktiv zu sein, sondern was kann ich tun, um da aktiv mit meinem Team zu agieren. Wie kriege ich mein Team unter Kontrolle, wie kriege ich den Kunden unter Kontrolle, was bietet sich an, um an der Team-Struktur und -Kultur zu arbeiten und warum ist es sinnvoll, je hektischer und schnelllebiger die Welt ist, desto bessere Strukturen, Regeln und Rahmen brauche ich, weil ein Rahmen gibt Sicherheit, aber der Rahmen muss atmen oder sollte mit dem Team festgelegt werden. Also was braucht das Team, um sich gut zu fühlen, um sich sicher zu führen, damit jeder da die Transparenz hat, um zu wissen, wie kriegen wir unseren Auftrag bestmöglich gewuppt.

Götz Müller: Also einerseits Routine, höre ich raus, und andererseits trotzdem Flexibilität, auch mal davon abweichen zu können.

Marcus Reinke: Genau.

Götz Müller: Und halt bewusst das zu tun, nicht per Zufall im Extremfall.

Marcus Reinke: Bewusstes Tun, bewusstes Führen, coachende Führung, auch solche Sachen wie Shopfloor Management, hat Nadja schon angesprochen, was man im Lean kennt, im Framework Management 3.0, das ist ja auch mehr ein Mindset als Führungskraft als etwas anderes, da gibt's solche Sachen, wie management by walking around, dass ich Führungskraft da bin, dass ich präsent bin, dass ich mit meinen Mitarbeitern spreche und zwar nicht nur, wenn es darum geht, an welchem Status ist das Projekt, haben wir grün, gelb oder rot, sondern dass ich halt auch Frage, wie geht's denen und was brauchen die und woran arbeiten die, dass ich mich für die interessiere, um eben näher an meinen Mitarbeitenden zu sein. Das heißt, alle Erfahrungen, alle Stories, die von Nadja und von mir kommen, das sind immer unsere eigenen Erfahrungen. Da hat jeder, der bei der Bundeswehr, auch die, die jetzt nur im Grundwehrdienst unterwegs waren, hat da mit Sicherheit andere Erfahrungen oder „Ha, das wüsste ich aber, wenn die führen gelernt haben!“, natürlich, also theoretisch lernt das jeder, was man dann selbst für sich umsetzt und mitnimmt aus dem theoretischen Führungswissen, ist immer noch Einzelschicksal, aber ich habe super Erfahrungen damit gemacht, dass ich halt auch als Kompaniechef draußen geschlafen habe und zwar nicht im Typ-2-Zelt, wo ich drin stehen kann, sondern auch in einer wohlbekannten Dackelgarage, also in diesem Minizelt. Hätte ich nicht machen müssen, natürlich nicht. Ich hätte auch reinfahren können, wie zum Beispiel der Dude, von dem ich die Kompanie übernommen habe, weil der gesagt hat „Ich bin Kompaniechef und Hauptmann, ich brauche nicht draußen schlafen. Dafür habe Stellvertreter, dafür habe ich Truppenführer, ich bin drin. Wenn was ist, ihr erreicht mich schon.“ Ich fand es zum Kotzen dieses Verhalten. Ich habe mal gelernt, da war ich noch kleiner Unteroffizier, Entbehrungen teilen. Und wenn meine Leute draußen sind, also halt im Wald bei Schneeregen oder irgendwas, dann bin ich auch draußen, allein schon für die Motivation, die sehen halt, der Vorgesetzte ist auch draußen, der friert auch oder der schwitzt auch. Das sorgt schon dafür, dass man enger zusammenwächst als Team und man nicht so eine Zweiklassengesellschaft ist. Das ist auch jetzt noch so. Ich war in einem Unternehmen tätig in München, wenn da Stress war, dann haben da alle mit angepackt, auch die Geschäftsführer die beiden, weil das halt zusammenschweißt und ich kenne auch andere, in Hannover in einem Unternehmen, wo ich unterwegs war, da meinte der Chef, der hat einen Doktortitel, so: „Man muss als Chef ja nicht alles mitmachen, ansonsten verschwimmt das ja.“ Das ist richtig. Aber wenn ich halt Stress habe und mich dann als Chef dünne mache, was für ein Bild transportiere ich dann?

Götz Müller: Zumindest kein Vorbild, höre ich da raus.

Marcus Reinke: Für mich auch nicht. Überhaupt nicht.

Götz Müller: Vielleicht zum Abschluss noch mal Richtung Nadja geguckt, natürlich durch die Lean-Brille ganz speziell, was sind so deine, ja, noch mal ein bisschen vertieft, Empfehlungen, Tipps, jemand, der im Lean-Kontext unterwegs ist, was kann der dort sich vielleicht im Extremfall anlesen möglicherweise nur, wenn er die Erfahrung jetzt nicht machen konnte, aber was sind Dinge, die du auch für dich selber einfach mitnimmst, mitgenommen hast?

Nadja Böhlmann: Ich muss sagen, die Erfahrung sind ähnlich wie bei Markus, dass ich auch beobachte, Leute werden Führungskraft über Nacht, einfach weil, hey, die nächste Position steht an und jetzt bist du Führungskraft. Und dass eben die Leute dann leider nicht mit dem, also das nicht dafür Sorge getragen wird, und das finde ich sehr schade, dass die Leute mit dem Skillset ausgebildet werden. Und ich glaube, manchen macht das auch ein bisschen Angst, die sind dann Führungskraft und denken so: „Okay, was wird jetzt von mir erwartet?“ Was ich in den produzierenden Unternehmen ganz viel beobachtet habe, auch früher in meiner Beraterzeit, ist, dass teilweise aber auch Führen mit „Ich mache das jetzt auch alles trotzdem mit“ ist und dann zusätzlich dieser ganze E-Mail-Kram, ich muss an Besprechungen teilnehmen, ich soll dies, ich soll das, ich soll das machen, wo du dann sagst, du hast jetzt eine Lean-Transformation, die das Unternehmen durchgehen soll und meistens das mittlere Management macht dann die Füße hoch, weil die sich denken „Alter, wann soll ich das denn noch alles machen?“ und weil du vorhin gefragt hast, was würden wir den Leuten empfehlen. Meldet euch aktiv bei HR für ein Führungskräfteseminar oder für zumindest, also im Lean-Kontext, Lean Leadership, was gibt's da, ich meine, okay, es gibt genügend andere Routinen, die du die du abseits von Lean Leadership lernst, auch allein durch Kaizen-Routinen, durch Lean-Routinen, die sehr technisch aufgebaut sind, jedoch bringt dir das etwas. Die anderen Sachen sind halt noch Zeitmanagement-Techniken. Also, was ich was ich auch wirklich feststelle, ist, dass dieses effiziente Denken, wie teile ich meinen Tag ein, auch in Routinen, bei mir hat jeder Tag eine Routine und vielleicht oute ich mich jetzt auch als ein bisschen bescheuert, ich trage mir selbst meine Mittagspause im Kalender ein, weil ich für mich sorgen muss. Ich schaue, dass ich gut versorgt bin, wann immer ich Seminare gegeben habe, auch mit Co-Trainer, ich habe geschaut, dass es denen gut geht, weil wir beide vorne stehen und wir beide so für Teilnehmende verantwortlich sind, wir sind den ganzen Tag Sender, wir sind, keine Ahnung, Change Agents, wir sind dafür da, dass sich etwas bewegt und dann ist es wichtig, für sich selber sorgen zu können. Und ich glaube, das ist auch etwas, das lernst du nicht, wenn du sagst „So, du bist jetzt Führungskraft, herzlichen Glückwunsch.“ und dann bleibt alles beim Alten und jemand bleibt hängen in seinem früheren Konstrukt, was jetzt nicht als Kritik oder despektierlich gemeint ist, sondern das ist einfach eine Beobachtung. Die Leute werden nicht auf diese nächste Stufe gehoben, also auf dem Papier, auf dem Gehaltszettel, auf dem Arbeitsvertrag ist das vielleicht der Fall, jedoch ist das nicht, was in der Realität ankommt.

Götz Müller: Ja, und das Gemeine an der Stille ist ja, eine gewisse Leistung, ein gewisses mehr tun, ein gewisses mehr können, hat einen ja in diese Position typischerweise gebracht und jetzt soll ich anfangen, das wegzulassen, was mich vielleicht erst dorthin gebracht hat.

Nadja Böhlmann: Ja, dann gibt's allerdings andere Sachen, für die du dich aufopfern kannst. Ja, also dieses Aufopfernde und man hat sich gezeigt und Arme und Beine gleichzeitig ausgerissen, um so weit zu kommen und dann stehst du da und denkst dir: Okay, was mache ich jetzt? Und dann fällst du halt vielleicht in dieses Muster wieder rein, weil sich das wohlig anfühlt, das fühlt sich für dich gut an. Und dann hast du halt vielleicht auf dem Papier ganz viele Führungskräfte als Unternehmen. Das ist super. Nur führen üben, Fehler machen dürfen. Ich meine, wie viele Unternehmen gibt es, wo teilweise Führungskräfte Schiss haben, eine Entscheidung zu treffen, weil denen irgendwie der Allerwerteste bis zur Halskrause aufgerissen wurde, weil dann nicht das rausgekommen ist, was man sich dabei gedacht hat und dann komme ich wieder zurück zu diesem Punkt, nachprüfen hat das Gegenüber verstanden, was jetzt hier das Thema ist, was wir erreichen wollen und ist der genug dafür ausgebildet, dass er das auch umsetzen kann, hat er die Ressourcen, braucht er vielleicht noch Hilfe.

Götz Müller: Ja, und das ist dann irgendwo die Verantwortung auch der Führungskraft, das zu reflektieren.

Nadja Böhlmann: Ja, und ich mag das an Shopfloor-Management-Runden so sehr oder auch wenn ich mit Leuten versuche, Teamboards aufzubauen und den versuche diese Routine anzutrainieren, zu sagen „Guck mal, das sind vielleicht nur 10 bis 15 Minuten, du kriegst aber mit, was in allen anderen Bereichen abgeht, du kannst Sales sagen, dass sie vielleicht ein bisschen auf die Bremse drücken sollten, weil das Lager hinten auseinander bricht“ oder oder oder. Wie viele Leute regen sich denn auch auf oder echauffieren sich, dass sie nichts mitkriegen im Unternehmen und irgendwie der Tag zwar 8 Stunden hat, aber du am Ende des Tages nicht weißt, was du gemacht hast.

Marcus Reinke: Man kann alles effizient gestalten und das ist auch, ich finde, das ist mit die erste Aufgabe einer Führungskraft, dass sie für die eigene Person die Verantwortung übernimmt, was Nadja gesagt hat, mit Selbstmanagement, Selbststeuerung, Selbstfürsorge, Stichwort Resilienz, wird immer wichtiger, weil natürlich, ich habe Führungskräfte, die kriegen 200 E-Mails am Tag. „Wie soll ich dann denn noch mit meinen Mitarbeitenden sprechen?“ Ja, gibt's denn eine Struktur für das E-Mail-Thema oder kriegst du wirklich alles oder willst du möglicherweise auch, dass jede E-Mail, die rausgeht, dass du da auf CC stehst, weil so etwas gibt’s auch, Menschen, die nicht loslassen können. Ich bin systemischer Business Coach. Ich habe viele Fälle, wo Menschen sich selber, ihre Zeit, dermaßen kannibalisieren, weil die alles an sich reißen, eben weil die denken, das muss so. „Ich bin Führungskraft und ich muss das so machen.“ 360-Grad-Reflexion der Rolle findet überhaupt nicht statt. Was wird denn von mir erwartet, was erwartet mein Vorgesetzter, was erwarten meine Kollegen auf selber Hierarchie-Ebene, was erwartet mein Team oder meine Abteilung, was erwarten die tatsächlich von mir? Wie kann ich dann halt diesen Erwartungen gerecht werden beziehungsweise welchen Erwartungen will oder kann ich nicht gerecht werden, weil es eben divergierende Ziele gibt? Geht nicht alles. Man kann es nicht jedem recht machen. Punkt. Erstens. Zweitens: Wenn ich in einem kleinen Unternehmen bin und Budget ist erschöpft, weil Corona nervt. Und HR sagt „Wir haben kein Geld, wir haben kein Budget, keine Zeit, das ist nicht vorgesehen.“, dann sollte ich als Führungskraft meine Rolle auch so weit verstehen, dass ich sagen „Ok, was kann ich tun?“ und es gibt so viel wirklich gute Sachen im Internet frei verfügbar, entweder bei YouTube oder bei ähnlichen anderen Sachen, wo ich mich inspirieren lassen kann. Ich kann Bücher lesen, Simon Sinek und und und, wo ich halt inspiriert werde, wie Führung geht, und ich meine, wie Führung heute geht. Stichwort VUCA-Welt, Digitalisierung, wird immer hektischer. Und nicht vor 40 Jahren, da hat sich auch einiges geändert, auch in der Art und Weise, wie führt man Mitarbeitende und wie ich mich um sie kümmere, da hat sich einiges geändert und wenn ich das weiß oder wenn ich ein paar Impulse bekomme, wie so etwas aussehen kann, dann habe ich wieder ein bisschen mehr für mich getan, weil ich mir selber mehr Zeiträume beschaffe und ich habe mehr für meine Teams getan, weil es mir einfach besser geht, weil ich zum Beispiel in meiner Kommunikation deutlicher werde, weil ich mit Regeln arbeite, weil ich mit Standards arbeite, weil ich ein Daily Standup einführe, was auch einen wirklichen Sinn hat und nicht einfach nur einen Status Reporting morgens und jeder sagt, was er gemacht hat und kein anderer will das hören, weil es die wortwörtlich nicht interessiert, weil das auf deren Auswirkung, auf deren Auftragserfüllung überhaupt keine Auswirkung hat. Also ich muss schon dafür sorgen, dass ich mir meinen Bereich, und dazu gehört meine Rolle als Führungskraft, dass ich mir das so baue, wie es sich gut und richtig anfühlt, ohne mich selbst kaputt zu machen.

Götz Müller: Das war ein wunderbares Schlusswort, deshalb, Nadja, Markus, ich danke euch für eure Zeit, für die, für mich, interessanten Einblicke und ich bin definitiv nicht enttäuscht worden, was die Querbeziehungen angeht, die ich vorher schon irgendwo geahnt habe und ihr sie jetzt wunderbar bestätigt habt.

Marcus Reinke: Danke schön.

Nadja Böhlmann: Gerne.

Götz Müller: Das war die heutige Episode im Gespräch mit Nadja Böhlmann und Marcus Reinke zum Thema Auftragstaktik und Lean. Notizen und Links zur Episode finden Sie auf meiner Website unter dem Stichwort 260.

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Ich bin Götz Müller und das war Kaizen to go. Vielen Dank fürs Zuhören und Ihr Interesse. Ich wünsche Ihnen eine gute Zeit bis zur nächsten Episode. Und denken Sie immer daran, bei allem was Sie tun oder lassen, das Leben ist viel zu kurz, um es mit Verschwendung zu verbringen.

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